
Pietro Mascagni Cavalleria Rusticana/ Ruggero Leoncavallo I Pagliacci Bayerische Staatsoper 1.6.2025
Ohne Rusticana, ohne Bajazzo - ein Opernabend wie Pizza ohne Teig in München
Verismo war die dominante Strömung der Kunst in Italien im ausgehenden 19.Jahrhundert. Der Stilwechsel, auch als „Wahrhaftigkeit“ zu übersetzen, rückte reale zeitgemäße Inhalte und damit das Leben sowie die Probleme der Bevölkerung ins Zentrum der Werke der Künstler und insbesondere auf der Opernbühne. Die zwei Einakter Pietro Mascagnis Cavalleria Rusticana und Ruggero Leoncavallos Pagliacci gelten als die bedeutenden Vertreter dieser Bewegung und erfreuen sich unverändert großer Beliebtheit.
Die Bayerische Staatsoper präsentiert nun eine Neuinszenierung der beiden Opernhits unter der Regie von Francesco Micheli. In seinem Hausdebüt entfremdet er die beiden Eifersuchtsdramen ihrer Handlungsorte sowie insbesondere in I Pagliacci auch wesentlicher Handlungselemente. Im dunklen Bühnenbild von Edoardo Sanchi findet sich der Betrachter der Cavalleria Rusticana in einem sterilen Ambiente wie einer Heilanstalt wieder. Eine riesige leere Halle mit Jalousien an den Wänden. Von oben schwebt eine große Scheibe mit schwarzen Tischen, Hockern und Betten herab, kein Sizilien, keine Weinstube oder Dorfleben. Alle Handelnden sind immer gleichzeitig auf der sich ab und an drehenden Bühne. Santuzza bekommt noch eine erfundene Schwangerschaft aufgepfropft.
Zuvor aber zur wunderbaren Musik des Vorspiels wird hektisch inszeniert. Ein gedrückter Turiddu mit einem großen Koffer steht vor dem Vorhang und mit großen Buchstaben und auch aus Lautsprechern wird die Geschichte eines Reisenden tituliert und damit auch der zentrale Umsetzungsgedanke und das Konzept des Regisseurs. Für ihn stehen die beiden Werke für das Thema Emigration und Entfremdung. Beide Werke entstanden im neu geschaffenen italienischen Staat. Dessen Entstehung führte zur Schaffung des ersten italienischen Heeres und damit der Einführung eines generellen Militärdienstes. Dieser löste eine Auswanderungswelle wie auch eine Entwurzelung der Landbevölkerung aus. So verliert Turiddu im Libretto der Cavalleria Rusticana während des Militärdienstes seine geliebte Lola, der er sich nach seiner Heimkehr und einer Beziehung mit Santuzza wieder nähert. Hier wird er in den Zug gesetzt und zum Gastarbeiter in der Fremde genauer oder banaler in München. Rachegelüste der verlassenen Geliebten führen zum falschen Verrat an den gehörnten Ehemann und zum Duell, das in dieser Inszenierung nicht erfolgt sondern Turiddu wandert mit seinem Koffer wieder aus. Er besteigt wieder einen Waggon und trifft Tonio im Abteil.
Wirr ist auch hier eine Handlung zum Vorspiel in Szene gesetzt, die die beiden Werke nicht wirklich verbindet sondern nur zur Verwirrung beiträgt. Die wird im weiteren Ablauf des Abends zum traurigen Durcheinander fernab der eigentlichen und wahren bekannten Begebenheiten der Oper Bajazzo. Ständig werden Eisenbahnwaggons herumgeschoben und zu Guckkästen. Einmal sehen wir Nedda und Canio in der Strandbar Rimini als Cafe- und Eisverkäufer, dann Nedda und Tonio in einer Küche messerwetzend kochend. Silvio hat einen Handel für Ausstattung italienischer Restaurants. Zum Abendgebet wird plump und effekthaschend ein großer Fernseher zur Übertragung des Länderspiels Deutschland: Italien 1970 auf die Bühne gerollt.
Keine Schauspieltruppe oder Theateraufführung findet statt, diese ist ein geschmackloses Eifersuchtsdrama inmitten der Menge auf einem Volksfest. Weitere sinnlose Einzelheiten wie ständiges Koffertragen ersparen wir uns. Das einzige was für den Besucher Entfremdung spüren lässt, ist die verfremdende Abweichung von der eigentlichen Handlung zu der auch noch Hand an den Text gelegt wird. Die Intimität und Emotionen der beiden Werke gehen in der Überinszenierung und dem gnadenlosen Verfolgen der tragenden Konzeptidee verloren.
Die Personenregie insbesondere in den Massenszenen baut keine Spannung auf. Die Kostüme von Daniela Cernigliaro sind hübsche Alltagskleider nicht wirklich zum Thema einfanche Landbevölkerung passend.
Daniele Rustioni obliegt die musikalische Deutung der beiden Opern, die er mit viel italienischem Herz und Sinn für Dramatik ansetzt. Er lässt das Orchester der bayerischen Staatsoper kräftig aufspielen. Er öffnet aber auch Platz für lyrische gefühlsbetonte Momente, die er auch mit bewusster Phrasierung auskostet. Stimmungsbilder und Gefühle stehen für den Verismo und diese Wahrhaftigkeit werden zu Bilder in dieser eher monumental angelegten Interpretation.
Dies ist nicht immer einfach für die Sänger, aber diese zeigen sich an dem Abend in guter Form. Besonders erfreut der junge russische Sänger Ivan Gyngazov mit einem kräftigen in der Höhe strahlenden und immer sicheren Tenor. Schön gestaltet er die Melodien und geschickt niancuert pflegt er seine Stimmungen ein, ein eindrucksvolles gelungenes Hausdebüt als Turiddu. Yulia Matochkina ist eine engagierte dramatische Santuzza mit hellem weichen Mezzo ohne Schrille. Rosalind Plowright bleibt in dieser Regie eine farblose Mamma Lucia, die nur den Koffer packen darf. Wolfgang Koch ist ein strammer Alfio, der dann als Tonio im Prolog von Bajazzo nicht durchschlagend den Reigen eröffnen kann. Im Spiel zeigt er seine Routine. Jonas Kaufmann wirkt gut gelöst als Canio mit der üblichen Enge in der Höhe aber mit anständigem Forte. Ailyn Perez ist eine wandelbare gut disponierte Nedda mit kernigen Sopran, perlender Höhe und gut intonierter Führung. Tomas Perez liefert einen soliden Silvio.
Großer Beifall für die Sänger, Dirigent und Musiker..
Dr. Helmut Pitsch
02. Juni 2025 | Drucken
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