
LONDON/Covent Garden: DIE WALKÜRE NI - am 14. Mai 2025
Mutti schaut von draußen zu…
Nach einem von vielen als beeindruckend empfundenen Rheingold im Vorjahrging der neue Ring des Nibelungen am Royal Opera House Covent Garden in der Regie von Barrie Kosky und den Bühnenbildern von Rufus Didwiszus unter großen Erwartungen mit der Walküre weiter. So groß sie auch gewesen sein mögen, so wurden sie zumindest für einen, der die Ring-Rezeption länger beobachtet, doch etwas enttäuscht. Zumal wenn man bedenkt, dass Barrie Kosky immer für aufregende Einfälle und Neuigkeiten gut ist, im Sinne eines von ihm meist auch gut gemachten Regisseurstheaters.
Indem er das Thema setzt, dass die Erde durch menschliche Aktivitäten ökologisch stark angeschlagen ist, greift er dieses bereits von Robert Carsen ab 2006 in Köln, Shanghai und Madrid ausgiebig behandelte Thema wieder auf. Indem er die Weltesche in den Mittelpunkt des Geschehens stellt, erinnert man sich sofort an die Inszenierung von Harry Kupfer in Berlin vor fast 25 Jahren, später auch am Teatre del Liceu Barcelona gezeigt, in der er auch den Baum ins dramaturgische Zentrum stellte. Allein der Auftritt einer alten und völlig nackten Frau als Erda (Illona Linthwaite), wirkte in London somit Kosky-authentisch, aber dennoch nicht ganz überzeugend, zumal es ein Zitat seiner eigenen Arbeit war. Schon in seinerRing-Inszenierung 2009 in Hannover und Essen zeigte er Erda als nackte alte Mutter des Seins und Werdens im Rheingold, allerdingsin dem auch passenden Moment, als sie Wotan vom Ring abrät, und als Warnung an das Publikum im Finale der Götterdämmerung.
Nun in London aber ist die alte nackte Frau ständig auf der Bühne, dreht sich auf einem kleinen Rotationsteller sogar zum Vorspiel auf leerer Bühne und auch wieder im finalen Feuerzauber, oder sie sitzt im morschen Stamm der Weltesche, das Geschehen beobachtend. Immerhin sieht sie da, was sich zwischen ihrer Tochter und deren Vater und dem ehemaligem Liebhaber Wotan abspielt, frei nach dem Motto „Mutti schaut von außen zu….“ Beim Wonnemond beschert sie Siegmund bunte Blumen aus einem Korb, mit der er seine Schwester beehrt. Und wenn er Nothung eigentlich aus der Weltesche ziehen sollte, die im 1. Aufzug aber noch auf sich warten lässt, so zieht er es aus Erdas Bauch, mit der Folge eines von ihr freudig wahrgenommenen starken Blutsturzes. Ob das so sinnvoll und nachvollziehbar ist…?
Die ökologisch endende Welt mit so einer alten nackten Frau, die Erda oder Pachamama repräsentieren soll, metaphorisch zu zeigen, mag eine ganz gute Idee sein, wenn auch ästhetisch nicht für jedermann verständlich und nachvollziehbar. Aber indem sie die Bühne fast ständig beherrscht, verliert die Idee schnell an Wirkung und läuft sich tot. Erda ist eine Figur, die die Erde, ja eigentlich den gesamten Kosmos repräsentiert. Und deshalb tritt sie im Ring nur zweimal an ganz neuralgischen Stellen auf. Sie auf eine fast ständig präsente menschliche Figur zu reduzieren, wird dieser Naturfigur in Wagners Kosmos nicht gerecht, ja wirkt gar wie eine Verkleinerung eines offensichtlich ganz Großen - Ökologie und ihre Auswirkungen hin oder her.
Für die beeindruckend tatsächlich lichterloh brennende Weltesche im Finale muss man Bühnenbildner Didwiszus aber Lob zollen. Auch der alte Bentley, mit dem Fricka, von Erda - nun im Cut gefahren - hereinkommt und Wotan seinen ebenfalls bereits verkohlten Speer bringt, ihn an seine nunmehrige Pflicht gemahnend, war interessant und reizvoll! Dass Kosky allerdings ein Stockfehler passiert und der Bentley Steuerung für Rechtsverkehr hat, ist in London nahezu unverzeihlich…
Was seine alte und stets begeisternde Theater-Pranke mit den Sängerdarstellern machte, war allerdings wieder äußerst intensiv und phantasievoll, wenn man nur an den selten so gekonnten und auf das Brutalste endenden Kampf im Finale des 2. Aufzugs denkt. Koskys intensive und ausgefeilte Personenregie schuf im zurückhaltenden Lichtdesign von Alessandro Carletti viele emotionale Momente! Victoria Behr entwarf Kostüme heutiger Zeit, wobei Wotan im Business-Anzug mit Krawatte und Erda im eleganten Abendkleid auftraten, die Wälsungen sowie Brünnhilde und ihre acht Schwestern aber in arg strapazierter Alltags- bzw. Arbeitskleidung agierten. Hunding war unnötigerweise ein Police-Cop mit Batch, unnötigerweise im 1. Aufzug Siegmund mit der Dienst-Pistole bedrohend, im zweiten dann aber mit einer Axt kämpfend! Da fand er ein etwas unrühmliches Ende, als er auf Wotans „Geh!“ wie die Götter in Romeo Castelluccis Rheingold in Brüssel und zudem noch Tosca-artig schlicht nach hinten fiel…
Die Sängerdarsteller hatten jedoch erheblichen Anteil am musikalischen Erfolg des Abends. Man entschied sich für etwas leichtere Stimmen in den Hauptpartien, die alle bestens zusammen passten. Elisabet Strid gab in London ihr Rollendebut als Brünnhilde in der Walküre und zeichnete eine jugendliche, fast teenagerhafte Wotanstochter, die mit ihrer gewohnt facettenreichen stimmlichen Darstellung, großer Musikalität und sehr authentischem Spiel begeisterte. Christopher Maltmann war ein zu ihr bestens passender Wotan und Vater, mit perfekter Diktion, guten Höhen und starkem emotionalem Ausdruck. Natalya Romaniw war eine ebenfalls mädchenhaft wirkende Sieglinde und meisterte auch stimmlich die erst kürzlich einstudierte Partie sehr gut. Stanislas de Barbeyrac war ein bestens zu ihr passender Siegmund, mit lyrisch-sängerischer Akzentuierung und überaus engagiertem Spiel. Marina Prudenskaya war die bewährt souveräne und blendend aussehende Fricka. Soloman Howard war ein junger Hunding mit starkem, aber noch an Rundung mangelndem Bass. Das Walküren-Oktett sang und agierte sehr engagiert. Durchaus unappetitlich waren die von Arbeitshilfen durch die Gegend gefahrenen Loren mit zur Unkenntlichkeit zerfallenen Skeletten von sogenannten Helden, die wohl ohnehin keinen Wert mehr für Walhall darstellten.
Antonio Pappanowählte mit dem in Hochform und mit spürbar großer Wagner-Erfahrung aufspielenden Orchestra of the Royal Opera House eine dem Geschehen auf der Bühne entsprechende intensive musikalische Handschrift. Mit zügigen Tempi ging es voran, dramatische Akzente wurden klar gesetzt. Aber auch in den subtileren Phase wusste Pappano die Musiker bestens zu führen. Im Graben stimmte an diesem Abend einfach alles! Für Pappano mit dem Orchester, das auch auf die Bühne kam, gab es ebenso wie für alle Sängerdarsteller Riesenapplaus im ausverkauften Haus. Dennoch ein etwas zwiespältiger Abend am Royal Opera House Covent Garden.
Klaus Billand
22. Mai 2025 | Drucken
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