Wenn das Cello von der humanen Kraft der Kultur kündet

Xl_nabucco_ohp_0002_matthias_jung_kopie © Copyright Foto: Matthias Jung

Nabucco Giuseppe Verdi Besuch am 3. Oktober 2025 Premiere

Theater Bonn Opernhaus

Wenn das Cello von der humanen Kraft der Kultur kündet

Ein zweites Mal nach Richard Wagners Die Meistersinger von Nürnberg legt die Intendanz des Bonner Theaters die Premiere einer Neuproduktion auf den 3. Oktober, die Fragen und Schwierigkeiten der Einheit thematisiert. Sei es wie bei Wagner die Allgemeingültigkeit von Werten, Sprache, Kultur. Sei es wie in Giuseppe Verdis Nabucco zur Spielzeiteröffnung das Spannungsverhältnis von Freiheit und Unterdrückung am Beispiel der Hebräer und Babylonier. Ein Stoff, der sich bekanntlich zu einer machtvollen Quelle der italienischen Reform- und Einheitsbewegung zum Ende der 1840er Jahre, des Risorgimento, entwickeln sollte.

Roland Schwab verzichtet in seinem Regiekonzept auf eine Darstellung des Konflikts zweier verfeindeter Völker im sechsten Jahrhundert vor Christus einschließlich seines religiösen Überbaus. Er ist klug genug und allemal politisch sensibel, die Gewalt als universelle Bedrohung von Freiheit und Menschlichkeit in den Fokus zu rücken. Die Welt ein Gefängnis – eine Metapher, die Schwab immer wieder thematisiert, etwa in der Szene, in der die Protagonisten wie gefesselt an Schnüre gebunden sind, die von oben herabfallen. Der Regisseur schafft regelmäßig Bezüge, die eine Verbindung des alttestamentarischen Fundamentalismus mit den Schrecknissen von heute andeuten.

Schwab sieht das babylonische Drama als zeitlos an. Sein Credo, ein Aphorismus von Peter Rudl, empfängt die Besucher, projiziert auf die ganze Breite des Vorhangs, noch ehe ein Ton der Ouvertüre erklungen ist: „Der Fanatismus ist das tödliche Metronom, ohne das die Wiegenlieder des Terrors nicht erklängen.“

Mit Nabucco schafft Verdi, gerade 29-jährig, 1842 an der Mailänder Scala seinen Durchbruch. Der Aufsteiger aus Busseto etabliert sich als fixe Größe im Opernbetrieb. Das Werk auf ein Libretto von Temistocle Solera wird in den drei Jahren nach der Uraufführung von mindestens 33 italienischen Bühnen übernommen. Der triumphale Erfolg des Dramma lirico, beflügelt durch die kollektive Stimmungslage gegen Habsburgs Truppen in Mailand und die Soldaten Frankreichs in Rom, führt den bodenständigen Komponisten gar erstmals ins Ausland. Verdi dirigiert im April 1843 die Wiener Premiere seines Nabucco höchst eigenhändig.

Nabucco-Aufführungen im Stil einer sakralen Weihestunde mit einem alles verklärenden Finale, in dem Potentaten aus unerklärlichem Altruismus einem ganzen Volk die Freiheit schenken, gelten heute als weitgehend unvorstellbar. Allenfalls sind sie noch als Spektakel in der Arena von Verona auffindbar. Erst recht undenkbar sind Bühnenbilder mit dem Protz der babylonischen Blütezeit, die im Rausch architektonischer Glanzleistungen ihre Krönung finden. Schwab, der in der Bundesstadt mit Inszenierungen von Ernani sowieOberst Chabert in guter Erinnerung ist, entgeht konsequent der historistischen Verführung einer Präsentation in Bühnenbildern mit dem Protz der babylonischen Blütezeit.

Piero Vinciguerras Bühne ist ein nüchterner Kasten, der im Hintergrund von einer tiefschwarzen Wand begrenzt wird. Aufschriften an den Seitenwänden stellen die Frage der gefangenen Hebräer nach dem Verbleib ihres Gottes. Als Mobiliar reichen Stühle aus Holz, wie sie in jedem zweitklassigen Café oder Bistro zu finden sind. Für die Figuren, die herrschen wie Nabucco oder die Herrschaft anstreben wie Abigaille, sind Ledersessel verfügbar. Die Kostüme von Renée Listerdal folgen einem einfachen Muster von hell und dunkel. Schwarz die versklavten Juden und ihre Unterdrücker, allen voran Abigaille in einer kühnen Ledermontur. Einzig in Hellgrau Fenena und Ismaele, die Liebenden, die um ihr Leben kämpfen.

Imponierend ist der Auftritt Nabuccos, als er mit seinem Militär, das Maschinen- und andere Pistolen mit sich führt, den Tempel Salomons besetzt. Ist sein Thron zu Beginn spektakulär hoch über der Szene postiert, bewegt sich dieser dann langsam zum Boden. Zu den seltenen religiösen Zitaten gehört der Augenblick, in dem der König demonstrativ Seiten aus einem Buch zerreißt, das als Tora verstanden werden soll. Irritierend wirkt der tosende Crash einer Konstruktion aus Leuchtschriften, der sich mit dem Blitz von oben ereignet, der den sich selbst erhöhenden König trifft. Hier sind die Namen historischer wie aktueller Potentaten eingraviert, unter denen sich auch der von Donald Trump findet.

Va, pensiero, sull´ali dorate, den legendären Chor der hebräischen Gefangenen, lässt Schwab aus tiefstem Dunkel aufsteigen, das dank Boris Kahnerts durchdachter Lichtregie in einem extrem verzögerten Prozess dem Hellen weicht. Seine Quelle sind Smartphones, die Chor und Extrachor des Theaters Bonn in die Höhe recken, womöglich eine Anspielung auf das einzige Kommunikationsmittel von Migranten untereinander zu unserer Zeit.

Die Choraufstellung hat durchaus eine Aussagekraft, wenn auch nicht von der Wucht, für die sich 2019 der im Moskauer Hausarrest gehaltene russische Regisseur Kirill Serebrennikow bei seiner Nabucco-Inszenierung an der Staatsoper Hamburg entschied. Am Gänsemarkt sang die Hymne ein 40 Mitglieder umfassender Projektchor syrischer Geflüchteter. Das von André Kellinghaus bestens einstudierte Bonner Ensemble beeindruckt mit großer Homogenität insbesondere in den zurückgenommenen Passagen. Die unterschiedlichen dynamischen Wechsel und Abstufungen nicht nur in dieser Szene – Nabucco lässt sich als Chor-Oper verstehen – werden vorzüglich gemeistert. Auch und gerade bei Immense Jehova, einer ausgreifenden A capella-Passage, in der sich Stimmen des Chores und der Solisten suchen, treffen, lösen und wieder finden.

Intendant Bernhard Helmich leistet sich beim Empfang zum Tag der Deutschen Einheit vor der Premiere einen köstlichen Versprecher. Für Nabucco habe man „teure, Verzeihung tolle Sänger“ verpflichten können. In der Tat weist die Besetzung etliche herausragende, in Einzelfällen „tolle“ Vokalkünstler auf. Mit der Titelpartie seiner dritten Oper begründet Verdi die Tradition der führenden Bariton-Rollen bis hin zum finalen Falstaff. Aluda Todua gibt den König von Babylon mit expressiver Kraft in seinen Auftritten als absoluter Herrscher und interimistisch als Gott, zu dem er sich ausruft, bis seine Hybris bestraft wird. Todua beherrscht aber auch die leisen Töne, die verletzlichen Momente des gebrochenen Herrschers mit seiner anheimelnden Baritonstimme konturen- und nuancenreich. So in Diu diguida zu Beginn des Schlussaktes.

Der basso profundo Derrick Ballard ist ein Zaccaria der machtvollen wie geschmeidigen Linien. Sperate o figli!, die Mahnung des Hohepriesters der Hebräer an die Juden, die Hoffnung nicht zu verlieren, zeichnet er mit subtil fließender Melodik. Seinen Antipoden, den Hohepriester des Baal, konturiert Christopher Jähnig mit Vehemenz. Ioan Hotea knüpft als Ismaele mit seinem Belcanto-Tenor an die Leistung an, die er 2023 als Rigoletto-Duca so vorzüglich geliefert hat. Leider hat er mehr mit den Widersachern zu kämpfen, die sich ihm in den Weg stellen, als Noten zu singen. Als Offizier Abdallo verschafft sich Ralf Rachbauer mit Harlekinmütze und Schwert Respekt und Abstand.

In Nabucco sind die weiblichen Partien schwächer ausgeprägt als die männlichen, was selbstredend am Stoff liegt, nicht am Librettisten, geschweige dem Komponisten. In der stimmlich und spielerisch äußerst fordernden Rolle der Abigaille beeindruckt Erika Grimaldi bei ihrem Haus- und Rollendebüt mit polarisierender Charakteristik, die der Figur entspricht. Sie agiert leuchtend und schneidend im dramatischen Fach, wird mit den extrem schweren Intervallsprüngen der vermeintlichen Königstochter fertig, die schon bei der Uraufführung von Giuseppina Strepponi nur mit Mühe gemeistert werden, der späteren Ehefrau Verdis.

Grimaldi vermag aber ebenso die lyrischen Farben hervorzulocken, sie geradezu zu streicheln. Besonders augen- und ohrenfällig wird dies in der Arie Ben io t'invenni, o fatal scritto! Registriert sie anfänglich mit Wut und Verletzung das Dokument, das sie als Sklavin und eben nicht als Noble ausweist, findet sie anschließend, umspielt vom sinnlichen Flötenspiel, in ihr Schicksal. Als Fenena gelingt Charlotte Quadt mit ihrem gut ausbalanciertem Mezzo das Porträt einer wahren Königstocher, die Empathie gegen Willkür setzt. Berührend gestaltet sie ihr Gebet Oh, dischiuso è il firmamento. Die Anna von Marie Heeschen fügt sich adäquat in das große Ganze ein.

Mit Will Humburg steht am Pult des Beethoven Orchesters Bonn ein Künstler, der am Bonner Haus als Dirigent verschiedener früher Werke Verdis ein Begriff ist. Sein Gefühl für die Partitur mit ihren peitschenden Rhythmen und melodischen Höhenflügen auf dem Weg zum differenzierten Musikdrama ist exorbitant. Es überträgt sich scheinbar bruchlos auf die blendend aufgelegten Orchestermusiker. Ohne Übertreibung ließe sich von einem Zustand beseelten Glücks sprechen, der Humburg und seine Musiker vereint.

Dies empfindet auch das Publikum im praktisch ausverkauften Haus. Es überschüttet den Dirigenten mit anhaltendem Jubel, mehr und mehr auch stehend gespendet. Er fällt noch intensiver aus als die Emphase, die allen Künstlern des Abends bei leichter Abschwächung für das Regieteam gilt. Es ist ein großer Augenblick der Aufführung, Humburg in diesem Strahl von Emotionen zu erleben, gezeichnet von seinem auch physischen Einsatz für das Musikalische, gerührt von der Anteilnahme der Besucher.

Ein Momentum eigener Art gelingt dem Dirigenten im auch schon bei Ernani bewährten Zusammenspiel mit Schwab mit einem ungewöhnlichen Fokus auf das Cello als Symbol von Kultur und Menschlichkeit wider die Brutalität des gewalttätigen Fanatismus. Schon zu Beginn verteidigen die hebräischen Gefangenen Celli, die ihnen die Soldaten Babylons entreißen wollen. Eine vom Cello vorgetragene betörende Melodie, gedacht als fragile Begleitung des Sterbens Abigailles, wird auf der Bühne vom Solo-Cello aufgegriffen und paraphrasiert, zugleich vervielfältigt von einer bewegungslos verharrenden Gruppe von Cello-Statisten.

Die Impression weckt Erinnerungen an den bosnischen Cellisten von Sarajevo, der zu Beginn des Bürgerkriegs während des Beschusses der Stadt inmitten der Ruinen 22 Tage auf seinem Cello das Adagio von Albinoni spielt. Ein starkes Bild und ein noch stärkeres Zeichen für die Kraft der Kultur. Es dürfte im Gedächtnis bleiben.

Dr. Ralf Siepmann

Copyright Foto: Matthias Jung

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