
Götterdämmerung Richard Wagner Besuch am 25. Mai 2025 Premiere am 18. Mai 2025
Theater Dortmund Opernhaus
Wagner-Kosmos der Merkwürdigkeiten rundet sich mit einem musikalisch beglückenden Finale
Zurück vom Ring!Ein letztes Mal sucht Hagen, sich in den Besitz der Macht zu bringen. Doch die Rheintöchter ziehen ihn in die Tiefe des Stroms. Floßhilde hält jubelnd den wieder gewonnenen Ring in die Höhe. Mit der Apokalypse, dem Untergang des Alten, wird die Geburt des Neuen, einer besseren Welt, zur konkreten Möglichkeit. Im Schluss der Dortmunder Götterdämmerung werden weder Brünnhildes Ritt auf ihrem Ross Grane in den brennenden Scheiterhaufen noch das Ende Hagens alias des Bösen zum Bild. Auf einem hellen Vorhang, hinter dem allmählich die Halle der Gibichungen verschwindet, wird das Finale mit schwarzen Lettern aus den Regieanweisungen von Richard Wagner berichtet, ehe das Weltepos in einem verklärten Des-Dur unter letztmaliger Anspielung von Motiven aus der Tetralogie verklingt.
Breaking new.Die Art, wie Regisseur Peter Konwitschny den Zusammenbruch erzählt, gehört zu den Merkwürdigkeiten des Dortmunder Ring-Projekts, das sich über einen Zeitraum von vier Jahren erstreckt. Nicht allein, was auf der Bühne passiert, erscheint ein Stück weit wunderlich. Die Aufführungsgeschichte selbst ist höchst ungewöhnlich, ist aber entwirrbar. Dabei folgt die Logik, wie die einzelnen Teile der Tetralogie – Rheingold nachWalküre undSiegfried, lediglich originär Götterdämmerung zum Schluss – auf die Dortmunder Bühne gelangt sind, mehr dem Regisseur, weniger Wagner oder dem Publikum.
Verständlicherweise gönnt die Intendanz dem 80-jährigen Konwitschny das Momentum, einmal einen kompletten Ring des Nibelungen zu inszenieren. 2000 ist es ihm nicht vergönnt, als seine Inszenierung der Götterdämmerung lediglich das Finale des Stuttgarter Rings markiert, dessen Einzelteile in den Händen jeweils eines anderen Regisseurs liegen. Dass nun mit der Übernahme eben dieser Stuttgarter Produktion eine Götterdämmerung inklusive Bühnenbild und Kostüme, die von dem inzwischen verstorbenen Bert Neumann stammen, ein Vierteljahrhundert nach der Erstausgabe erlebbar wird, ist zumindest nicht ganz problemlos. Erwartet doch das Publikum mit jeder Neudarstellung von Wagners Geschichte unserer Zivilisation eine Sichtweise, vielleicht auch Deutung, die sich mit der Gegenwart auseinandersetzt. Die jedoch ist Konwitschnys Sache eben nicht.
Ob das Spiel mit der Reihenfolge der Ring-Teile publikumsfreundlich genannt werden kann, insbesondere aus der Sicht eines Neubesuchers, mag dahingestellt bleiben. Der Regisseur, einer der letzten Märchenerzähler des deutschen Musiktheaters, erklärt seine Idee, die Zyklus-Einzelstücke in anderer Reihung spielen zu lassen, mit der Intention, den autonomen Charakter jedes einzelnen Teils hervorzuheben und erfahrbar zu machen. Was damit bewiesen wird, dürfte letztlich nur jeder einzelne Besucher beantworten können. Perspektivisch spricht alles für ein künftiges Dortmunder Ring-Projekt in der klassischen Bayreuther Dramaturgie, sollte es überhaupt in absehbarer Zeit zu einer Neuauflage des Mammut-Projekts kommen.
In seiner Regiearbeit vereint Konwitschny den Sinn für akribische Personenführung mit Elementen der Ironie, des Sarkasmus, der kindlichen Freude an skurrilen und schrillen Effekten sowie des Humors. Dieser lässt uns Heutigen, wie er ausführt, die Nähe zu unserem eigenen Desaster eher ertragen. Zur Geltung kommt sein Faible für überraschende Bilder bereits zu Beginn mit einer Reprise aus seiner Rheingold-Inszenierung. Drei aus der Kinderschar von Erda dort, die sich mit dem Sammeln von Müll beschäftigen, agieren nun als Nornen, die mit Plastiktüten und Bettelpappen auf der Straße leben.
Ist vom Bären die Rede, der in der Götterdämmerung und speziell als Symbol für Hagens grausamen Charakter eine große Rolle spielt, tollt ein Statist im Kostüm des Zotteltiers vor und mit den Rheintöchtern, was freilich eher belustigende als schaurige Effekte hervorruft. Konwitschny liebt es überhaupt zu irritieren. Die ergreifende Szene des Sterbens und Todes Siegfrieds mündet vor Wie Sonne lauter strahlt mir sein Licht, Brünnhildes Apotheose der über alles Irdische triumphierenden Liebe, in ein Auferstehen des jungen Helden. Er erhebt sich und verlässt seitlich die Bühne.
Schläfst Du Hagen mein Sohn?– Die Szene Alberichs mit Hagen, in der er ihn auf die Weltherrschaft einschwört, endet mit dem Versinken Alberichs, der von Hagen in ein weißes Tuch gehüllt wird, im Bühnenboden.
Hagen ist für Konwitschny zwar der Dämon, der Zerstörer, aber nicht der Dominator. Er wirkt in einigen Szenen verstört und nervös, hastet durch das Domizil der Gibichungen, hält sich immer wieder im Hintergrund, auch einmal hinter dem Chor versteckt. Bis zu seinem „mit furchtbarem Trotze“ ausgestoßenem Ich, Hagen, schlug ihn zu tot durchläuft er jedoch eine Entwicklung hin zu maximaler Entschlusskraft.
Narrative Kraft verrät das Bühnenbild, das mit einfachen Mitteln plakative Wirksamkeit auslöst. Brünnhildenfelsen, Palast der Gibichungen und die Waldlandschaft am Rhein werden durch einen riesigen drehbaren Kasten aus Holz gebildet. Darauf ist die Halle der Gibich-Sippe installiert, wobei schwarze Planenschmale Fensterluken freilassen, die variantenreiche Ein- und Ausblicke ermöglichen. Eine Treppe, ausklappbar wie der Ausgang aus einem Flugzeug, erlaubt das Hinabsteigen zum Bühnenboden. Das schmale Steingemach, in dem Siegfried und Brünnhilde den neuen Tag ihres Miteinanders bei Sonnenaufgang angehen, entsteht durch Teilung des Einheitsraumes mittels einer Leinwand. Der hintere Prospekt zeigt wie eine Kitschpostkarte ein Alpenpanorama.
Bevor sich Siegfried mit Fellen an Rumpf und Beinen, Brustharnisch und Walkürenhelm auf zu neuen Abenteuern macht, revanchiert sich Brünnhilde mit einem Steckenpferd, das Grane symbolisieren soll, für den Ring, den Siegfried ihr ahnungslos zum Geschenk macht. Eine Anspielung auf den Stil traditioneller Ring-Inszenierungen, die spätestens dann nur noch Geschichte sind, als Siegfried sich im schwarzen Büroanzug unter den Gibichungen bewegt.
Gabriel Feltz, der scheidende Dortmunder GMD, zaubert aus dem Graben beachtliche Wagner-Kompetenz. Der Dirigent wählt mit den Dortmunder Philharmonikern achtsam fließende Tempi, die das Geflecht der vielfältigen Stimmungen, Naturbilder und menschlichen Verstrickungen voll zum Blühen bringen. Das Blech generiert die größten Effekte, die vom mächtigen Stirnhorn noch gesteigert werden. Die aus Walküre undSiegfried bekannten sechs Harfen, jeweils drei links und rechts am Bühnenrand platziert und von goldigem Licht umflort, sind erneut aufgeboten. Zusammen mit einem Projekt-Extrachor beeindruckt der Opernchor Theater Dortmund, einstudiert von Fabio Mancini, in den Massenszenen. In diesem Klangrausch stört dann auch nicht weiter, dass die Sänger, bei Wagner die Mannen, Straßenanzüge tragen und von der Jagd im Wald künden.
Feltz weiß ein exzellentes Sängerensemble an seiner Seite, das – auch dank einiger Gäste – Format entwickelt. Das tragische Paar, das zur Liebe erst im Tode findet, ist mit Stéphanie Müther als Brünnhilde und Daniel Frank als Siegfried mehr als passabel besetzt. Hat Müther in der „Männer-Oper“ Siegfried gerade einmal 20 Minuten, um sich zu profilieren, avanciert sie jetzt mit leuchtendem Sopran und dramatischem Aplomb zum vokalen Gestirn der Aufführung. Frank ist nach wie vor nicht der Heldentenor, der Wagner für die Rolle des Wälsungen vorschwebt. Ihm gelingen indes berührende Momente insbesondere in den lyrischen Passagen, so der Schilderung des Gesangs der Vöglein, und der Sterbeszene. Leider taucht hier nicht der Waldvogel aus Siegfried in Gestalt eines Wesens mit grünem Ballettröckchen wieder auf, das den in der Badewanne liegenden Fafner mit Champagner verwöhnt.
Mit dem Fortgang des Geschehens schält sich der Hagen von Samuel Youn als dominierende Gestalt im Regieverständnis Konwitschnys wie im Sängerensemble heraus. Der ausgewiesene Wagner-Spezialist legt die Partie des Bösewichts mit seinem Bassbariton heller an als gemeinhin. Das kommt aber dem Verständnis entgegen, mit dem Konwitschny dieser Partie begegnet. Den Gunther, in Dortmund schwach, weich und zaudernd, tendenziell schlicht überfordert, gibt Joachim Goltz stimmlich und spielerisch einprägsam. Der Macho, der Brünnhilde an einem langen Seil in die Halle der Gibichungen zerrt, ist dieser Gunther gerade nicht.
Barbara Senator ist eine rollenkonforme Gutrune mit verhaltenem Sopran, der vorzüglich zur gezwungen-konformistischen Haltung in der Männergesellschaft der Gibichungen passt. Eigentlich fehlen nur noch die Modemagazine, in denen Gutrune gelangweilt blättert. Seine kurze Szene als Alberich meistert Morgan Moody mit beschwörender Eindringlichkeit. Großartig ist die Waltraute der Anna Lapkovskaja die auch die Zweite Norne singt. Wie sie Brünnhilde mahnt – Höre mit Sinn, was ich Dir sage! –, den Ring den Rheintöchtern zurückzugeben, avanciert zu einem Höhepunkt des Abends. In Doppelfunktion ist ferner Tanja Christine Kuhn als Wellgunde und Zweite Norne zu erleben. Als Woglinde gefällt Sooyeon Lee, als Flosshilde Ruth Katharina Peeck. Erste Norne ist Rita Kapfhammer.
Alles, was ist, endet, kündet Erda im Rheingold. Ein Gefühl der Wehmut scheint auch im anhaltenden begeisterten Jubel des nahezu vollbesetzten Theaters enthalten, der alle Mitwirkenden umhüllt. Mit einer jedenfalls musikalisch beeindruckenden Leistung schließt sich der Dortmunder Wagner-Kosmos. Wer weiß schon, ob und wann er eine Fortsetzung findet.
Dr. Ralf Siepmann
Copyright Foto: Thomas M. Jauk
27. Mai 2025 | Drucken
Kommentare