Puccinis „Tosca“ bei den Salzburger Festspielen: Einmal mehr überlebt das Böse

Xl_tosca-salzburg-netrebko-tezier-8-21-1 © Marco Borelli

Es knallt, es fallen Schüsse, viele Schüsse: Noch bevor die Musik anhebt, gibt es eine an eine Mafia-Aktion erinnernde, wilde Schießerei in einer Tiefgarage unter der Kirche, von wo Cesare Angelotti dann in den sich absenkenden Kirchenraum flüchtet. Erst dann startet Giacomo Puccinis „Tosca“ musikalisch mit dem bekannten, wuchtigen Scarpia-Motiv. Es die Produktion der Salzburger Osterfestspiele aus 2018 in der Inszenierung von Michael Sturminger, die jetzt von den sommerlichen Festspielen übernommen wird. In der Konzeption des österreichischen Regisseurs wurde der bösartige Polizeichef jedoch durch die Messerattacke von Tosca offensichtlich nicht tödlich verletzt, sondern hat sie überlebt. Nach der Hinrichtung Cavaradossi von ausgewählten Zöglingen eines katholischen Bubeninternates, kommt es zum Schluss zwischen den beiden auf der Dachterrasse eines Bubeninternats mit Blick auf die Engelsburg nochmals zur finalen Konfrontation, zum Showdown. Aber es gibt im Gegensatz zur Version aus 2018 kein Duell mehr zwischen ihnen, bei dem beide starben. Sondern diesmal wird die Titelheldin, anstelle ihres sonst üblichen Sprunges von der Engelsburg, von Scarpia kaltblütig erschossen. Und so überlebt einmal mehr das Böse!

Hauptsächlich zu Beginn und zum Ende ist Sturminger einiges an neuen, doch etwas merkwürdig anmutenden Ideen eingefallen, aus denen jedoch keine neuen Erkenntnisse gewonnen werden können. Denn ansonsten ist die Inszenierung über die weitesten Strecken völlig konventionell und hart am Libretto, außer dass er sie in die Gegenwart verlegt, um offensichtlich die berechtigte Zeitlosigkeit der Themen wie Machtmissbrauch, Willkür etc. aufzuzeigen. Renate Martin und Andreas Donhauser zeigen in heutigen Gewändern eine an das Original gemahnende historische, sehr ästhetische Kulissen der römischen Kirche Sant‘ Andrea della Valle mit beweglichen, raumverändernden Säulen, des Inneren des Palazzo Farnese sowie der Engelsburg im Hintergrund.

Als Titelheldin ist diesmal keine Geringere als Anna Netrebko auch darstellerisch von eifersüchtig über zickig bis liebend, eine exzellente Tosca aufgeboten, die mit feinsten Details und reichen, farblichen Abstufungen fasziniert und bei ihrem Gebet „Vissi d’arte“ mit inniger Pianokultur und tiefer Emotion punkten kann. Yusif Eyvazov singt einen soliden, robusten, kraftvollen Cavaradossi mit der ihm eigenen timbrierten Mittellage und mühelosen Höhen. Er kann auch die „Vittoria!“-Rufe strahlend und mühelos schmettern. Ludovic Tézier ist ein Scarpia mit edler baritonaler Eleganz, dem es jedoch an dämonischer Bösartigkeit fehlt. Bei den kleineren Rollen sticht vor allem Michael Mofidian als schönstimmiger Cesare Angelotti hervor. Matteo Peirone als Mesner ist vom Stimmvolumen her etwas unterbelichtet. Wunderbar singt der junge Knabe Daniel Fussek den Hirten. Verlässlich und voluminös wie immer die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, dessen Einstudierung einmal mehr Ernst Raffelsberger besorgte und der Salzburger Festspiele und Theater Kinderchor, einstudiert von Wolfgang Götz.

Marco Armiliato ist ein sehr guter Kapellmeister. Er dirigiert wie immer sehr routiniert, gibt den Sängern, insbesondere der Diva sehr viel Freiraum, indem er förmlich an ihren Lippen hängt. Dabei geht jedoch   der große Sinn für Effekte und Klangmischungen etwas verloren, und es fehlt immer wieder an geschärfter Dynamik und an Biss. Die Wiener Philharmoniker können ihre „Tosca“ und spielen sie mit duftiger und luxuriöser Klangschönheit.

Zum Schluss gibt es viel Jubel für Netrebko und Tézier, der Regisseur bekommt je doch auch einige Buhs ab.

Dr. Helmut Christian Mayer

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