"Parsifal" an der Wiener Staatsoper: Erlösung in der Nervenheilanstalt

Xl_parsifal-wien-4-18-2 © Michael Pöhn

Erlösung in der Nervenheilanstalt Wien: Parsifal- Letztlich unbegründete szenische Verlegung der Oper in die Psychiatrie mit vielen Fragenzeichen, musikalisch mit zurückgenommener Lesart und tollen Sängern "Meine nicht allzu lange Erfahrung als Opernregisseur lehrt mich, dass es eine Mission Impossible ist, alle glücklich zu machen": So sprach Alvis Hermanis in einem seiner ungewöhnlich vielen Interviews in den verschiedensten Medien, wo er sein Konzept für Richard Wagners Parsifal noch und noch zu erklären versuchte. Ist natürlich richtig, was er sagt und trifft auf viele Inszenierungen zu. Sein übertriebener Erklärungsbedarf erscheint jedoch schon in die Richtung verdächtig, dass er vielleicht selbst von seiner Konzeption gar nicht so hundertprozentig überzeugt ist. Und so lässt der lettische Regisseur das Bühnenweihfestspiel, wie angekündigt, was auch nicht unbedingt eine neue Idee ist, in einer Nervenheilanstalt im Fin de siècle, zum Ende des 19. Jahrhundert spielen. Aber nicht in irgendeiner sondern genau verortet in Wien auf der Baumgartnerhöhe. Dazu lässt er ein prachtvolles Bühnenbild im Jugendstil bauen, sehr ästhetisch, vielleicht etwas überladen und nicht so elegant wie das Original des Spittals vom Jugendstil-Architekten Otto Wagner. Auch die Innenkuppel der Kirche am Steinhof senkt sich immer wieder wie eine Art riesige Lampe in das Geschehen hinab. In diesem Einheitsbühnenbild gibt es immer wieder Zwischenwände, die herabgesenkt oder hereingeschoben werden, die auch teilweise als Projektionswände für das Opernlibretto in altdeutscher Schrift verwendet werden, was allerdings sehr entbehrlich erscheint. Aber nicht nur das Wien der Jahrhundertwende mit dem goldenen Jugendstil haben es Hermanis angetan sondern auch die sich damals ausformende Psychoanalyse des Sigmund Freud. Und so taucht nicht nur dessen berühmte Couch seitlich auf sondern auch er selbst höchstpersönlich, wie auch Gustav Klimt, Egon Schiele, Johann Strauß und viele weitere Prominente in Kostümen der damaligen Zeit, die Kristine Jurjane erdacht hat, ganz besonders bei der Enthüllung des Grals, der eher keine religiöse Handlung mehr ist sondern zum Event wird. Vielleicht ist wegen des Erstarkens der Psychoanalye auch der Gral ein Gehirn, das hell zu leuchten beginnt und im Laufe der folgenden Akte immer mehr an Grösse gewinnt. Parsifal in der Psychiatrie also: Gurnemanz im weißen Kittel ist der Chefarzt, Gralsritter sind die Assistenzärzte, die Knappen die Pfleger und Krankenschwestern, der Chor die Patienten. Die ankommende Kundry wird gleich einmal von den Pflegern in ein Gitterbett gesperrt. Gegen Ende des Aktes wird sie mitsamt diesem Bett von Dr. Klingsor, ebenfalls ein Arzt, ein Pathologe, wie sich im zweiten Akt herausstellen wird, abgeholt und mitgenommen. Klingsor betreibt Experimente um die Toten wieder zu erwecken, mit Elektroschocks und Schädelbohrungen. Irgendwo in diesem Gruselkabinett liegt auch Herzeleide, die Mutter von Parsifal. Im ersten Akt gibt es noch so manche Idee und Personenführung. Im zweiten und ganz besonders im letzten versiegen diese jedoch völlig und es herrscht bald lähmende Statik. Auch wird im dritten Akt die Natur nur mit einer halbherzigen, eingespielten Projektion angedeutet. Es steigt in der bald nicht mehr nachvollziehbaren Assoziationskette und den szenischen Absurditäten immer mehr die Ratlosigkeit und es mehren sich unbeantwortete Fragen, wie etwa warum der Speer wie eine Stricknadel in dem riesigen Gehirn steckt, von wo ihn Parsifal herauszieht? Durch als dies nimmt Hermanis dem Parsifal all seinen Mythos und seine Ernsthaftigkeit. Das Spiel mit den Zeiten, Räumen und Stilen mutet letztlich nur dekorativ an. Die Verlegung der Erlösungsgeschichte in die Spitalssphäre bleibt am Ende inhaltlich unbegründet.

Sängerisch ist der Abend auf hohem Niveau, wobei überwiegend mit großer Wortdeutlichkeit gesungen wird: Christopher Ventris ist ein Parsifal mit jugendlich, schlankem Tenor, dem man gerne zuhörte. Anja Kampe spielt und singt die Kundry sehr intensiv und ausdruckstark, mit kleinen Höhenproblemen. An Kwangchul Youn ist die Zeit zwar nicht spurlos vorübergegangen, er kann als Gurnemanz mit seinem warmen Bariton immer noch sehr einnehmen. Jochen Schmeckenbecher debütiert als tadelloser Amfortas, dem es jedoch etwas an gestalterischer Größe mangelt. Boaz Daniel ist ein blasser Klingsor, dem jegliche Dämonie fehlt. Ryan Speedo Green singt den Titurel stimmgewaltig aus dem Off. Die Blumenmädchen, die zuerst als zugedeckte Leichen auf Tischen liegen und dann auferstehen, singen zwar sehr lieblich, versprühen jedoch in dem schrecklichen Ambiente einer Prosektur keinerlei Erotik. Die kleineren Rollen sind alle untadelig besetzt. Der Chor der Wiener Staatsoper singt kraftvoll, markig und ausbalanciert.

Semyon Bychkov am Pult lässt die Musiker des Orchesters der Wiener Staatsoper mit ungemeiner Zärtlichkeit und feiner Dynamik spielen. Manchmal wird jedoch wegen der besonders im ersten Akt zu stark zurückgenommenen Tempi und der zu wenig aufgebauten Spannung, die Lesart etwas zäh. Er berückt aber meist mit wunderbarem Klangzauber.

Helmut Christian Mayer

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