"L'Ange de Nisida": Seltene Donizetti Oper aus Bergamo auf DVD

Xl_ange_de_nisida-donizetti-bergamo-1-21 © Gianfranco Rota

„L’Ange de Nisida“: Seltene Donizetti Oper aus Bergamo auf DVD

Die Oper gehört wohl zu den obskursten Raritäten Gaetano Donizettis. Jeder, der sich für den Komponisten interessiert, wusste, dass er „L´Ange de Nisida“ um 1840 geschrieben hat. Aber niemand wusste mehr darüber. Denn das Werk wurde zu Lebzeiten des Komponisten nie aufgeführt, da der Auftraggeber, das Pariser „Théâtre de la Renaissance“ pleite ging. Der Belcanto-Komponist, der nie ein gutes Stück Arbeit verschwendete,verwendete anschließend einen Großteil des Materials bei der Umarbeitung der Oper. Den ersten Akt schrieb er fast vollständig neu und versetzte die Handlung von Italien nach Spanien, wohl um die italienische Zensur zu umgehen, immerhin ging es bei der weiblichen Hauptperson ursprünglich um eine Geliebte des Königs von Neapel. Schließlich wurde die Oper unter dem Titel „La favorite“ in Paris uraufgeführt. Die ursprüngliche Version von „L’Ange de Nisida“ geriet in Vergessenheit und wurde erst 2008 in handschriftlicher Form auf Hunderten von Seiten verstreut, von der italienischen Musikwissenschaftlerin Candida Mantica in Paris wiederentdeckt. Zehn Jahre später wurde die Oper in London konzertant uraufgeführt. Im November 2019 erfolgte endlich in französischer Originalsprache die szenische Weltpremiere und italienische Erstaufführung in seiner Heimatstadt im Rahmen des Festivals Donizetti Opera im Teatro Donizetti di Bergamo. Dabei wurde auch erstmalig davon eine DVD Nr. 37848 und Blu-ray fabriziert, die jetzt kürzlich bei Dynamic erschienen ist.

Die Handlung ist relativ unkompliziert: Der Soldat Leone kommt auf Nisida, einer Insel vor Neapel an, um den Kammerherrn des Königs Don Gaspar zu treffen. Leone entdeckt seine frühere Liebe Sylvia wieder, die jetzt die Geliebte des Königs ist und von der Bevölkerung der Insel Nisida als Engel angesehen wird. Ein mysteriöser Mönch droht, den König Don Fernand wegen Ehebruchs zu exkommunizieren. Um den Papst zu besänftigen, verheiratet der König Sylvia mit Leone, ohne zu wissen, dass der tapfere junge Mann, der aus Neapel geflohen ist, in sie verliebt ist. Die Erkenntnis, dass er benutzt wird, verursacht für Leone jedoch eine Gewissenskrise, er lehnt Sylvia ab und zieht sich in ein Kloster zurück mit tragischen Folgen, denn am Ende sterben Leone und Sylvia. Es ist also eine Geschichte über die Kämpfe zwischen Kirche und Staat, den Status von Frauen (insbesondere am Rande der Gesellschaft) und die Wiederentdeckung der wahren Liebe sowie die Suche nach Erlösung.

Der Festivalleiter Francesco Micheli legt selbst bei der Inszenierung Hand an. Da das Teatro Donizetti zum damaligen Zeitpunkt renoviert wird, wird das Parkett des Theaters zur Bühne, das auch durch die Beleuchtung wie eine ovale Insel wirkt. Die Zuschauer sitzen in den Logen sowie auf der eigentlichen Bühne des Theaters, auf extra errichteten Tribünen. Es ist eine inspirierende Kulisse, die aus jedem Blickwinkel vom Publikum umgeben ist. Micheli nutzt den Raum bei seiner Personenführung recht geschickt aus. Anstelle von Bühnenbildern verwendet er Projektionen verschiedener Bilder - Bilder von Nisida, Wappen sowie musikalische Skizzen. Im ersten Teil des Abends ist der Boden mit Papierzettel bedeckt, die Fragmente der Arbeit symbolisierend. Im zweiten Teil werden auch Tänzer eingesetzt, um einen lebendigen Eindruck des höfischen Lebens zu vermitteln. Dem Regisseur gelingt es in seiner intelligenten Inszenierung auch ganz besonders, Sylvias Notlage sensibel hervorzuheben. Stark wirkt die Szene, wo Sylvia auf einem Podest mit einem Mantel umhüllt, aufgestellt und von der Menge gelobt wird. Die Stimmung kippt jedoch durch Eintritt des Mönchs, der sie demütigt, wodurch auch das Volk sie plötzlich verachtet.

Jean-Luc Tingaud kehrt im, auf der Bühne sitzenden und mit hoher Qualität spielenden Festivalorchester die Schönheiten der Partitur und den Stellenwert der Oper hervor, die einen Platz im Repertoire verdienen würde. Da wird mit viel Leidenschaft und Schwung musiziert. Der jugendliche Chor mit teils historisch stilisierten Kostümen ist gut vorbereitet und singt mit frischem Ton und großer Homogenität.

Dieses Werk von Donizetti ist weniger von protzigen Kabaletten und virtuosen Koloraturen dominiert als andere, sondern mehr von melodramatischen und hochromantischen Gefühlen. Die stimmlichen Herausforderungen sind jedoch enorm und werden auf sehr hohem Standard präsentiert: Als Sylvia singt Lidia Fridman zwar ziemlich textunverständlich aber mit einem dunklen, lodernden Sopran, mit heller Höhe und makellos sauberen Koloraturen. Ihr Liebesinteresse wird von Kim Konu mit leidenschaftlichem, silbernem Tenor und feiner Phrasierung gesungen. Als Don Gaspar bringt Roberto Lorenzi den gewünschten rustikalen Buffo mit viel Witz und vitaler Bühnenpräsenz auf die Szene. Federico Benetti hört man mit einem schroffen Bass in die Rolle des Mönchs. In der Rolle des Königs Don Fernand ist Florian Sempey mit tadellosem Legato zu hören. Die wunderbar abgerundete Stimme ist in fabelhafter Form. Auch seine Diktion ist kristallklar.

Die Bild- und Tonqualität auf der Dynamic DVD ist sehr gut und wird mit vielen Nahaufnahmen und Blickwinkeln gut dargestellt

Dr. Helmut Christian Mayer

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