"Guillaume Tell" von Rossini am Theater an der Wien: Der beinahe gelungene Apfelschuss

Xl_tell-wien-10-18-1 © Moritz Schnell

Verächtlich dreht er den toten Körper von Gesler um, zerrt ihm die Uniformjacke vom Leib und zieht sie sich selbst an. Der alte Diktator ist tot, ein neuer kündigt sich: In der Inszenierung von Thorsten Fischer von Gioacchino Rossinis letzter Oper „Wilhelm Tell“ am Theater an der Wien wird die Figur des zwielichtigen Walter Fürst, eigentlich ein Mitstreiter des Titelhelden, stark aufgewertet. So ist er als der eigentliche Drahtzieher des Geschehens fast immer omnipräsent. Schon zu Beginn in der durchinszenierten Ouvertüre, wo die Tötung Geslers vorweggenommen wird, hilft er Tell dessen Leiche wegzuziehen. Er ersticht den alten Melchtal. Er beäugt fast ständig das Geschehen, auch das Liebespaar Arnold und Mathilde und zeigt diese Begegnung sowohl Gesler wie auch Tell. Und er stachelt das Volk gegen die Besatzer auf, indem er Flugblätter mit „Liberté“ unter sie wirft. Er wird von Edwin Crossley-Mercer aalglatt und zynisch gespielt und ideal gesungen.

Auch sonst hat der deutsche Regisseur auf der kalten, fast leeren Bühne mit den metallischen Wänden und einer Brücke als zweiter Spielebene in heutigen Gewändern und Uniformen (Ausstattung: Herbert Schäfer und Vasilis Triantafillopoulos) viele Ideen. Einige wirken gut, manche weniger. Beeindruckend ist die Eisendecke, eine Art Trittgitter, auf der Gesler immer wieder steht, und die sich immer wieder bedrohlich auf das darunter befindliche Volk senkt. Packend ist teilweise auch die eigentliche Personenführung, insbesondere in der Apfelschussszene. Ansonsten sieht man vielfach gezeigte Diktaturklischees in Uniformen und vielen heutigen Waffen, die an totalitäre Regime erinnern. Eigenartigkeiten durchziehen auch immer wieder die Inszenierung, wenn etwa während der Ouvertüre, die im Schnee spielt, aus den Schneehäufen, Untote wie Zombies auftauchen. Störend und teils lächerlich wirkt auch die unsinnige, choreographierte Bewegungsregie bei den Chorszenen. Schon während der Ouvertüre muss der Chor mit Schneeschubern den Schnee wegräumen, um dann diese Geräte an der Rampe im Rhythmus der Musik auf und ab zu bewegen. Ebenso seltsam erscheint das Rotieren von gefüllten Weingläsern über dem Kopf oder das choreographierte Hemdanziehen und Krawattenschwingen. Entbehrlich erscheint auch die schmale, stark blendende Videowand mit den ewig herumfliegenden Kriegsflugzeugen.

Die Oper ist der in Musik gewordene Beweis, dass Rossini nicht nur Komödien sondern auch eine „Grand opéra“ schreiben konnte. Das Stück ist ihm 1829 gattungsmäßig teils mit vier Stunden recht weitschweifig geraten. Es hält sich jedoch dank seiner großartigen Musik bis heute auf den Spielplänen. Bereits die ersten, wunderbar weichen Töne der Solocelli lassen aufhorchen. Dann wird bei über den populären Marsch-Galopp bis hin zum grandiosen Schlusschoral, dem Dankgebet, temperamentvoll musiziert. Diego Matheuz aus Venezuela hätte als Dirigent bei den Wiener Symphonikern allerdings mehr Nuancen und Differenziertheit erklingen lassen sollen. Trotzdem ist die Melodik blühend wie auch die dramatischen Steigerungen gewaltig erklingen.

Eindeutig auf der Habenseite sind auch die Sänger. Gewählt wurde die französische Fassung: Allen voran singt John Osborn die schwierige Partie des Arnold mit den unzähligen Spitzentönen ohne Mühe und mit großer Sicherheit, ein tenorales Kraftpaket. Er ist aber auch zu vielen Schattierungen und feinen Tönen fähig. Jane Archibald mit ihrem schlanken, koloraturen- und höhensicheren Sopran kommt ihm als Habsburger Prinzessin Mathilde am nächsten. Christoph Pohl gibt einen draufgängerischen Schweizer Volkshelden und singt ihn mit schlanker Stimme, kernig, stimmkräftig und fassettenreich. Sein Sohn Gemmy ist bei Anita Rosati mit ihrem hellen Sopran in den besten Händen. Seine Mutter Hedwig wird von Marie-Claude Chappuis glasklar gesungen. Ante Jerkunica ist ein zynischer, böser Gesler mit bärbeißigem Bass. Jerome Varnier als Melchtal verfügt über einen dunklen, tragenden Bass. Gut besetzt sind die vielen kleineren Rollen, bei denen der fabelhafte Anton Rositskiy als Fischer heraussticht. Der in dieser Oper viel beanspruchte Arnold Schönberg Chor spielt und singt wunderbar und ausgewogen.

Großer Jubel!

Helmut Christian Mayer

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