Walküre Teatro Real Madrid - Verkommende Umwelt und dunkler Krieg!

Xl_wlkure_4183x © Javier de Real

MADRID/TEATRO REAL: DIE WALKÜRE am 18. Februar 2020

Ein Jahr nach dem „Rheingold“ wurde am Teatro Real nun der „Ring des Nibelungen“ in der altbekannten Inszenierung von Robert Carsen in Zusammenarbeit mit Patrick Kinmonth aus den Kölner Jahren 2000-2003 mit der „Walküre“ fortgesetzt. Dieser „Ring“ lief dann ja auch 2010 bei der Welt-Ausstellung in Shanghai und in Venedig, wohl auch noch an anderen Orten. Der Regisseur schockt vor allem im „Rheingold“ mit einem Menetekel auf die ökologische Zerstörung der Welt durch Gedankenlosigkeit und kurzsichtiges Machtstreben der Götter und Menschen. Die Produktion steht also in der Tradition der Crash-and-Trash-Ästhetik anderer „Ring“-Inszenierungen der letzten zwanzig Jahre.

Sie ist gewissermaßen ein mittlerweile in die Jahre gekommener Ausläufer des nun auch nicht mehr revolutionären Trends des Wagnerschen Regietheaters seit Mitte der 1970er Jahre mit J. Herz in Leipzig, U. Melchinger in Kassel und P. Chéreau in Bayreuth. Wenngleich eine solch drastische thematische Einengung ihre Vorteile im Hinblick auf die vom Regisseur beabsichtigte zentrale Aussage hat, wird sie doch niemals dem universalen Anspruch und den metaphysischen Dimensionen der Wagnerschen „Ring“-Thematik gerecht. Mit der „Walküre“ tritt nun aber noch ein zweiter Handlungsstrang in diese Inszenierung. Er beschreibt die Welt als einen unerbittlich und völlig skrupellos betriebenen Kampf von rivalisierenden Banden als Folge des Mega-Versagens Wotans im Streben nach Weltherrschaft und Machterhalt durch die Wiedergewinnung des Rings. Der 1. Aufzug der „Walküre“, der das Munitionslager des bis an die Zähne bewaffneten Hunding-Trupps im Schneegestöber zeigt und die angesichts dieser Gewalt völlig hoffnungslos in einem zerschossenen Jeep im 2. Aufzug endende liebevolle Beziehung Siegmunds und Sieglindes werden zu starken Momenten der Produktion, haben aber mit dem Ökologie-Thema keine direkte Verbindung mehr. Diese Szenen und das Schlachtfeld aus gefallenen Soldaten im 3. Aufzug, von denen zwar eine Reihe noch den auch nicht gerade zweifelsfreien Weg nach Walhall findet, die Mehrheit aber tot in Schnee und Eis (freilich als Plastikpuppen) liegen bleibt und frappierend an die toten deutschen und russischen Soldaten in den Schneeverwehungen bei Stalingrad im Winter 1942/43 erinnert, zeigen nichts anderes als die Kehrseite eines hemmungslosen und arroganten Machtstrebens der Götter. Ihr Chef Wotan hat sich als Armeegeneral in entsprechender Uniform mit seiner bourgeoisen Frau und der sich auf dem Sofa herumlümmelnden Lieblingstochter Brünnhilde in einem prangenden Wohnbau und ständig von braun Uniformierten umgeben verschanzt. Man kennt die Bilder aus den Filmen über die 1940er Jahre… Die Optik Walhalls legt somit Assoziationen mit einer auf der Wagnerbühne bereits seit Ulrich Melchingers „Ring“ von 1974 in Kassel vielfach bearbeiteten Phase der deutschen Geschichte nahe. Albert Speer lässt grüßen und macht das Ganze nicht gerade neu. Aber „neu“ ist diese Inszenierung ja auch nicht, die nun offenbar an ihre temporalen Grenzen stößt und einmal mehr klar macht, dass es auch mit der Wagner-Regie immer weiter gehen muss - nur eben handwerklich gekonnt!! Man - zumindest ich - hat/habe sich/mich auch an den jahrelang als modernes Stereotyp gepflegten Militäruniformen sattgesehen, kann sie eigentlich nicht mehr sehen. Der altbekannte Wunsch Richard Wagners drängt sich wieder einmal auf: „Kinder, schafft Neues!“ („Aber Gutes bitte!“ Anm. d. Verf.).

Wenn also die Gesamtaussage der Carsen/Kinmonth-Produktion auch nicht völlig stringent ist, zeigt der Kanadier sein Bühnentalent im Bespielen großer und tiefer Räume und mit einer intensiven Personenregie, die die Auseinandersetzungen der Protagonisten bis auf die Spitze treibt und starke Momente erzeugt, die in ihrer jeweiligen Wirkung für sich stehen und das Publikum in den Bann ziehen können. Es sind aber auch einige unnötige Ausrutscher zu erwähnen, die das große Ganze brechen, ja man könnte sagen, gelegentlich auch „verzwergen“ und ihm damit die eigentlich doch gewünschte elementare Wucht nehmen - trotz ganz andersartiger Optik. So lässt sich Wotan bei Brünnhildes „Hojotoho“ eine Tasse Kaffee servieren und bittet den Butler um Zucker nach, um diesen dann genüsslich mit dem Löffel zu verrühren. Ja, wir verstehen schon, der Zaunpfahl für die Arroganz der Macht - aber dennoch Unsinn. Bevor Wotan kommt, sammelt Brünnhilde noch schnell ihre goldenen Pantöffelchen ein. Was hat das mit einer Kampfmaid gemein?! Und Fricka, die sich den Lippenstift nachzieht, nachdem sie Brünnhilde gesagt hat, was ihr nun bevorsteht.

Die Demonstration der Tragödie Wotans zeigt Carsen hingegen ausdrucksvoll, als sich nach dem Fall Siegmunds um ihn alle Schotten der Bühne schließen und ihn auf der Wal gefangen nehmen. Andererseits ist wieder uneinsichtig und wirkungslos, wenn Wotan nach dem Abzug der Walküren minutenlang im Off verschwindet. Gut, soll das Alleinsein der Brünnhilde zeigen, na ja… Die Lichtregie von Guido Petzold ist hingegen nicht in der Lage, angebrachte Stimmungen und besonders starke Moment im Einheitsgrau der Bühne hervorzuheben - sie ist schlicht fast nicht vorhanden und ruft Erinnerungen wach, wie gut das damals Manfred Voss in Köln machte. Kommen wir also zu den Sängern und fangen - auch aufgrund der Gegebenheiten - ganz unkonventionell an.

Elisabet Strid, die ich zum ersten Mal 2007 in Riga in auch ihrer ersten „Walküre“ erleben konnte, war wieder einmal der stimmliche und, zusammen mit Christopher Ventris, auch darstellerische Star des Abends. Was Strid an stimmlicher Leuchtkraft und Wärme bei bester Diktion, völlig unaufgeregter und eben ganz natürlicher und zu jedem Moment passender Mimik an den Tag legt, könnte für die Sieglinde in der Gebrauchsanweisung stehen. Unvergleichlich, wie sie schon zu Beginn der Erzählung Siegmunds zu erkennen gibt, dass er ihr Bruder ist. Dann diese enorme Spannung, die sie im Dreiecksverhältnis mit Siegmund und dem äußerst wachen, ebenfalls auf starke Mimik setzenden und nebenbei noch vortrefflich singenden Ain Anger als Hunding aufrecht erhält. Dessen Erstbesetzung hätte eigentlich Günther Groissböck singen sollen, der aber in Berlin in einer ganzen „Rosenkavalier“-Serie als Ochs einspringen musste. Christopher Ventris legt ebenfalls ein hohes Maß an Empathie zu Sieglinde an den Tag, wenn er sieht, wie sie von Hunding und seinen Schergen in seinem nächtlichen Waffenschmuggler-Lager drangsaliert wird.

Dazu passt dieses Bühnenbild besonders gut. Ventris ist ein Wagner-erfahrener, wortdeutlich singender und stets auch gemütvoller und besonders charismatischer Sängergestalter, gerade auch als Parsifal. Da macht es nichts aus, dass er keine Stentor-Töne wie ein Siegfried produzieren kann. Zu Beginn des 2. Aufzugs sieht sich dann meine Erwartung auf einen neuen Wotan schnell enttäuscht. James Rutherford wirkt wie ein zu junger Hans Sachs, der sich in die „Walküre“ verlaufen hat. Zwar hat der Sänger eine nahezu perfekte Diktion und versucht auch Ausdruck in den Gesang zu bringen. Allein, es reicht für einen Wotan nicht, zumal für den der „Walküre“. Rutherford wirkt insgesamt als Persönlichkeit farb- und harmlos, die Korpulenz in der zu engen Uniform trägt auch dazu bei, und das stimmliche Volumen ist nicht groß genug für die Rolle. Da ist weder das Format eines Gottes noch eines Armeegenerals zu erkennen, der er hier ja nun mal sein soll. Es fehlt die wünschenswerte Fallhöhe der Figur. Dazu kommt statt des Speeres dieser alberne Gehstock, für den der Sänger allerdings nicht kann. Sein Gesang geht oft auch in eine Art Sprechgesang über. Im „Rheingold“ hatte man noch den guten Greer Grimsley. Die Erstbesetzung der „Walküre“ war Tomasz Konieczny, auch nicht grade der Sangesfreuden letzter Hort, wenn es um den Wotan geht. In ganz anderer Form enttäuscht aber auch die Brünnhilde von Ricarda Merbeth, völlig unverständlich vor der glänzenden Ingela Brimberg die Erstbesetzung, Man ist halt bekannter und hat schon in Bayreuth gesungen! Das heißt aber nicht, dass man automatisch eine gute Hochdramatische ist. Das casting griff hier hörbar daneben. Wie schon als Isolde in Brüssel letztes Jahr geht es nach einem ordentlich „Hojotoho“ mit dem Stemmen der Töne los, als ginge es nur darum, diese möglichst laut zu produzieren. Den Kopf dabei immer nach oben, sodass auch keine Beziehung zu den angesprochenen Personen entsteht. Immer erst nach Absetzen des Gesangs kümmert sie sich dann etwas um diese. Merbeth singt erratisch, viel zu unruhig bei entsprechender Einheits-Mimik und kann zu keinem Zeitpunkt verheimlichen, dass sie mit den hochdramatischen Partien Wagners überfordert ist. Dazu kann man fast kein Wort verstehen. Als Elisabet Strid im 3. Aufzug vorsichtig und emotional mit perfekter Aussprache intoniert „Nicht sehre dich Sorge um mich: einzig taugt mir der Tod!“ klang das für mich wie plötzlicher Balsam auf die vokal geschundene Seele… Es mangelt Merbeth auch an stimmlicher Homogenität, besonders auffallend in der Tiefe, wo auch mal hässliche Töne produziert werden.

Daniela Sindram überzeugt einmal mehr als erfahrene Fricka, auch wenn der Glanz ihres Mezzos nicht mehr so strahlt wie noch in den vielen „Ring“-Aufführungen an der DOB in Berlin vor einigen Jahren. Unter den Walküren fällt besonders Bernadett Fodor mit gutem Mezzo als Schwertleite auf. Daniela Köhler, die ja im Sommer in Bayreuth die „Siegfried“-Brünnhilde singen soll, fiel mir einmal mehr als Helmwige durch die Grellheit ihres Soprans auf.

So kommen wir zum eigentlichen Höhepunkt des „Ring“ von Madrid, dem Orchester des Teatro Real unter der Leitung von Pablo Heras-Casado. Bereits vor Beginn beeindruckt der riesige Graben mit den relativ hoch sitzenden Musikern - und, wie Wagner es wollte, tatsächlich sechs Harfen! Schon die rasende Hetze des Vorspiels zum 1. Aufzug kommt gut herüber. In der Folge glänzt immer wieder das Blech, aber auch der Streicherteppich sorgt für eine international beachtliche Klangintensität und Dynamik, die man nicht alle Tage hört. Heras-Casado dirigiert mit großem Elan und Augenkontakt zu den Sängern und, wo möglich, auch zu einzelnen Musikern. Er zelebriert fast diese „Walküre“. Durch die hohe Lage der Musiker zeichnet sich das Klangbild durch ein großes Maß an Plastizität aus. Mythos war nicht gefragt. Aber das passte auch zur Ästhetik des kriegerisch trostlosen Geschehens und seiner Optik. Völlig zurecht bekommen Heras-Casado zusammen mit Elisabet Strid den heftigsten Applaus, dann Ricarda Merbeth (laut kommt ja immer gut an) und weit weniger Rutherford. Alle anderen waren schon im Hotel. Es kommt wohl nicht ganz von ungefähr, dass James Rutherford den Feuerzauber minutenlang mit einem Feuerzeug in Gang setzt - ein kleines Flämmchen! Dann geht ein Hintervorhang hoch und legt doch noch Brünnhildes Feuer frei. In einem Jahr kommt „Siegfried“. Er wird keine Mühe haben, es zu überqueren…

Klaus Billand

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