Versungen: Verdis Reverenz gegenüber der Belcanto-Ära erlebt das Publikum unter Wert

Xl_bal_9328-11-min__002_ © Sandra Then

Un ballo in maschera Giuseppe Verdi Besuch am 18. April 2024 Premiere am 14. April 2024

Oper Köln Staatenhaus Deutz

Versungen: Verdis Reverenz gegenüber der Belcanto-Ära erlebt das Publikum unter Wert

Un ballo in mascheraspürt dem historischen Ereignis des Stockholmer Königsmordes von 1792 nach. Das Interesse von Guiseppe Verdi an den historischen Umständen des von Antonio Somma in ein Libretto gefassten Plots nach der Vorlage von Eugène Scribe fällt allerdings von Anfang an gering aus. So trifft ihn das Verdikt der neapolitanischen Zensur von 1858 nicht wirklich. Ein Jahr später kommt ihm die Initiative des Impresarios des römischen Theaters Apollo höchst gelegen. Dieser lässt seine Kontakte zum Polizeichef der Stadt spielen und erwirkt zugunsten des Komponisten quasi einen Freibrief für eine liberalisierte Fassung.

Selbst das Skandalon einer verbotenen Liebschaft in höchsten Kreisen darf nun öffentlich und zum Sujet einer italienischen Oper werden. 1859 wird so das Jahr eines doppelten Maskenballs, eines bevorzugten Vergnügens der höfischen Gesellschaft und einer Demaskierung des Establishments.

Gut eineinhalb Jahrhunderte danach ist die Freiheit der Kunst nicht so wie zu Verdis Zeiten von staatlicher Repression bedroht. Gleichwohl wird der Entschluss, das Melodramma aufzuführen, im Zweifel für jedes Musiktheater zum Wagnis. Regisseur Philipp Gloger geht in seiner Neuinszenierung für die Oper Köln einen Mittelweg. Er rekurriert weder auf die ursprüngliche Geschichte um König Gustav III. noch auf die Transformation des Geschehens ins US-amerikanische Boston, wo der in der Bevölkerung beliebte Gouverneur Graf Riccardo heimlich eine Affäre mit Amelia, der Frau seines Beraters und Freundes, unterhält.

Vielmehr verlagert er das Drama um Liebe, Rache und Tod in ein unbestimmtes Europa der revolutionären Bewegungen nach der Mitte des 18. Jahrhunderts, was den Fokus auf die Eleganz der leichtlebigen Hofgesellschaft weitgehend zunichtemacht, aber den Blick des Publikums auf die Allgemeingültigkeit des Missbrauchs von Macht und Herrschaft lenkt. Als lüde Gloger die Besucher in ein Museum der Revolutionen ein, durchziehen vielfältige Anspielungen auf Umstürze und Umbrüche das von Ben Baur ersonnene Bühnenbild im Verein mit den Kostümen von Sibylle Wallum, die verschiedene Zeitebenen assoziieren. Im Staatenhaus-bedingten Einheitsbühnenraum mit griechischen Säulen, Stahlgittern, Treppenverläufen und einem Podest für den Gouverneur simulieren Statisten mit Schlägermützen Aktivisten der Arbeiterbewegung und der kommunistischen Revolution. Für kurze Augenblicke wird die rote Fahne der Anarchisten geschwenkt.

Statuen des Herrschers, mutmaßlich des Gouverneurs, was aber nicht sicher ist, bevölkern in unterschiedlichen Größen den Raum. Bisweilen werden sie von den Untertanen liebkost. Am Ende wird die überlebensgroße Nachbildung mit Zugseilen von seinem Podest Richtung Boden bewegt, was aber zur Hälfte der Strecke abgebrochen wird. Eine Anspielung auf den Sturz von Diktatoren vom Schlage Saddam Husseins?

So uneinheitlich wie die Bühnenbilder, so unbestimmt bleibt auch die Personenregie. Ist dieser Riccardo für Gloger der Schurke auf dem Thron, wie er im Libretto von seinen Widersachern gezeichnet wird? Oder ist er der opportunistische Menschenverführer, dessen zweite Seite im Verborgenen bleibt? Darauf deutet Riccardos Ausstattung mit einer dieser Schiebermützen hin, ein Indiz für seine Haltung, sich anzubiedern. Tatsächlich wirkt dieses Utensil aber lächerlich.

Schlussendlich lösen sich alle tatsächlichen oder vermeintlichen Geheimnisse im Tanz auf, in dem des Balles am Hofe, zu dem die Tänzer in der Choreographie von Nwarin Gad nur Pflichtübungen beisteuern. In dem des Todes, wenn auch in wunderlicher Weise. Der Graf, bereits unrettbar getroffen, wiegt sich noch Minuten lang im Takt zu dem Masken- und Tanzthema, das Melodik und Tonalität des ganzen Dramas prägt. Erst dann, nach einem mit letztem Atem herausgepressten Addio, per sempre, miei figli bricht er zusammen.

Das Gürzenich-Orchester unter Leitung des Italianatà-versierten Giuliano Carella erweckt Verdis filigran instrumentierten Orchesterpart zu glutvollem Leben. Die gelegentlichen Kommunikationsdefizite in der Interaktion mit den Protagonisten auf der Bühne aufgrund der heiklen Position links von der Bühne, außerhalb des üblichen Sichtbereichs, vermag es indes nicht zu verbergen. Hier wird erst die Wiedereröffnung des Hauses am Offenbach-Platz eine Lösung des Problems bringen. Unter Leitung Rustam Samedovs steigert sich der Chor in eine formidable Abendform. Insbesondere in der Szene des Maskenballs im letzten Bild in bunter karnevalesker Kostümierung.

Versungen! Mit diesem Wort quittiert Beckmesser in der dritten Szene des ersten Aufzugs in Richard Wagners Die Meistersinger von Nürnberg den Vortrag des Preislieds, mit dem Walther von Stolzing Aufnahme in die Zunft der Meistersinger und die Hand Evas begehrt. Das Etikett Versungen könnte bei einer Ausnahme auch über der sängerischen Performance der Hauptakteure dieses Ballo stehen. Gaston Rivero in der Rolle des Riccardo, Astrik Khanamiryan als Amelia, Verdis Hommage an die großen Frauenrollen seit Violetta und Leonore, und Agostina Smimmero als Weissagerin Ulrica präsentieren ihre Partien in geradezu ungenierter Weise in einem Dauer-Vibrato, das geeignet ist, die belcantistische Freude an diesem vom Komponisten als Fest der Sänger konzipierten Werk massiv zu schmälern.

Keine Frage, der Tenor Rivero Gaston verfügt über ein strahlendes Timbre und eine flexible Ausdruckskraft. Er vermag auch den unterschiedlichen Facetten des Grafen von der Empathie gegenüber der Geliebten bis hin zur Verhöhnung der Verschwörer plastisch Ausdruck zu vermitteln. Doch bringt er sich selbst mit den ständigen nervigen Schwankungen in der Tonhöhe um die graziöse Wirkung, die der Komponist gerade dieser Partie in die Kehle geschrieben hat. Dies zeigt sich insbesondere im anfänglichen rhythmischen È scherzo od è follia und ebbt auch bis zum todesnahen Ella é pura nicht ab.

Dem dramatischen Sopran Khanamiryans fehlt es an Melos und Phrasierungsnuancen. Ihr Spiel ist eindrucksvoller als ihr Gesang, was sich auch auf die Ulrica der Smimmero übertragen lässt. Ihr Mezzo ist markant und auch schrecklich-schön, aber nicht in der Weise gespenstisch, wie Verdi die von ihm geschätzten Rollen alla cingara auszustatten pflegt. Es ist schon bezeichnend, dass die Verschwörer die vokale Architektur des zweiten Akts retten, der „eigentlich“, von der Partitur her, in dem berauschenden Duett Amelia! Tu, m’ami … Riccardos mit Amalia seinen Höhepunkt findet. Christoph Seidl (Samuel) und William Socolof (Tom) erledigen die Sache der Verschwörer im Übrigen ganz ausgezeichnet.

Die vokale „Versöhnung“ partiell mit der Besetzung ist Simone del Savio in der Partie des Renato mit seinem an Farben reichen, in der Amplitude geraden Bariton. Mit dem melodischen Alla vita che t’arride seiner Anfangsszene setzt er einen wohlgefälligen Maßstab, den er bis zum Schluss durchhält. In der Rolle des Pagen Oscar umschmeichelt Hila Fahima mit quirligem Sopran und eleganten Koloraturen das Publikum, ohne freilich das Momentum der Soubrette in dieser Rolle mustergültig zu treffen.

Während der Szenenapplaus des Publikums in den drei Akten entweder verhalten ausfällt oder ganz wegbleibt, gewinnt der Beifall im fast ausverkauften Saal nach dem Schlussvorhang spürbar an Intensität. Der Meister von Le Roncole findet eben immer seine Gemeinde. Da mag eine Inszenierung wie jetzt in Köln noch so unbefriedigend ausfallen.

Dr. Ralf Siepmann

Copyright Foto: Sandra Then

 

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