Turandot Wiederaufnahme in München mit Starbesetzung

Xl_1817dd01-512d-47ad-b6d8-cb14a996ef35 © Winfried Hösl

Wiederum herrschte Spannung bei den Opernfreunden. Anna Netrebko, die Primadonna unter den Sopranistinnen, kündigt ein neues Rollendebüt an. In München wird sie erstmalig die Eisprinzessin Turandot, singen.

Giacomo Puccinis letzte Oper blieb unvollendet, Fragmente lassen darauf schliessen, dass es ein romantisches Happy End gegeben hätte. Er selbst starb über Entscheidung mitten in der Vollendung des letzten Akted. In München wird die unvollendete Originalpartitur aufgeführt, diese endet nach dem berührendem Tod der Sklavin Liu und den schmerzhaften Abschiedsworten des hilflosen alten Timur. Dessen Sohn Calaf ist in rasender Liebe für die eiskalte chinesische Prinzessin entflammt. Die quälende Erinnerung an ihre vergewaltigte, geschundene Geschlechtsgenossin lässt diese zur unnahbaren rätselhaften Kaisertochter werden. Ihrem Vater hat sie das mörderische Versprechen abgerungen, nur dem zur Frau gegeben zu werden, der ihre martialischen Rätselfragen löst. Gelingt dies nicht droht die Hinrichtung. Calafs Liebe siegt über die Rätsel, die Liebe der Prinzessin ist aber nicht entfacht. Er gibt ihr seinerseits die Frage nach seiner Identität als Rätsel auf. Bis zum Morgengrauen hat sie Zeit. Mit allen Mitteln versucht die Rasende seinen Namen herauszufinden. Timur und Liu werden aufgespürt und gefoltert. Liu stellt sich heldenhaft dem Tod, nicht ohne davor die Liebe gepriesen zu haben. Ein aussergewöhnlicher Märchenstoff, den Puccini am Wendepunkt der Musikgeschichte zum Beginn der Moderne vertont hat. Die Romantik ist im Abklingen, Impressionismus, das Aufbrechen von Harmonik und Melodik im Expressionismus und Zwölftonmusik zeigen neue Wege, die alle Spuren in dieser beliebten Oper hinterlassen haben. Meisterhaft fertigt Puccini unvergessliche Melodien in grossen Arien wie wohl seine berühmteste "nessun dorma" an, rückt nah an die Grenzen der Tonalität, flechtet expressionistische Rhythmen ein und überschüttet nahezu mit triffender romantischer Symphonik im grossen Orchester.

Treffend bemerkt Anna Netrebko in einem Interview, dass die Rolle der Turandot in keinster Weise für einen dramatischen Sopran angelegt ist, die lyrischen kantilenenhaften Passagen sprechen umso mehr für frische transparente Stimmen. Mit ungeahnter Flexibiltät schöpft sie alle Register und Farben ihrer weiterentwickelten Stimme in dieser Rolle mit Bravour aus. Dunkel und voll startet sie mysteriös, meditativ ihre grosse Arie „in questa reggia„ und geht vom ersten Ton gleich in die Vollen ihrer Möglichkeiten. Verzaubernd berührend erzählt sie, nach Verständnis und Hilfe suchend, die Lebensgeschichte ihrer Ahnin, gleichsam als Rechtfertigung für ihre angstgetriebene Unnahbarkeit. Eine Videoprojektion in der aufwendigen aber gelungenen Regie von Carlos Pedrussa und der katalanischen Künstlergruppe Fura dels Baus untermauert die Legende lebendig. Majestätisch stellt sie die Rätsel, wie ein Heerrufer, kann aber eine gewisse Süffisanz gegenüber dem prahlenden Prinzen nicht unterdrücken. Mädchenhaft, flehend drängt sie den Vater sie nicht frei zu geben. Sie ist ganz Turandot und dann doch wieder Anna, die ihren Ausdruck und ihre Persönlichkeit in die überladene Inszenierung bringt. Immer wieder seilen sich Statisten von der Bühnendecke akrobatisch herunter, das Volk marschiert in prächtigen Kostümen auf, Eisläufer, Turner, eine Kinderschar, alles drängt auf die Bühne, aber Anna Netrebko ruht in der Mitte und zieht alle Aufmerksamkeit auf sich.

Wieder ist sie im Paket mit Ihrem Ehemann Yusif Eyvazov auch nach München gekommen. Er ist mittlerweile auf vielen grossen Bühnen aufgetreten und bereist die Konzertsäle mit ihr. Unterschiedlich sind seine Bewertungen. Seine Tenorstimme hat sicherlich viel Kraft, auch Höhe aber sie sitzt tief und vermisst Strahlkraft. Wirkt er im ersten Akt noch reduziert und belegt, zeigt er seine Stärken im zweiten Akt und reckt sich stramm gegen die übermächtige Prinzessin. Ohne grossen Druck antwortet er selbstbewusst und packt die Gefallene in feine Romantik. Zuletzt bleibt ein Hauch in seiner Bereitschaft für sie zu sterben. Wohl ausbalanciert und auch zu feinen Piani fähig zeigt sich seine Stimme in seiner grossen Arie Nessun Dorma für die er zu recht einen Zwischenapplaus mit Bravi bekommt. Aber es sind nicht nur die beiden, die überzeugen.

Selene Zanetti berührt als feine, aber sehr weibliche und reife Liu. Alexander Tsymbalyuk, in langem orangem Talar und im Rollstuhl sitzend, ist visuell nicht zu übersehen. Mit seiner mächtigen tiefen, aber klar klingenden Basstimme verschafft er sich zusätzlich Gehör. Boris Prygl, Manuel Günther und Andreas Agudelo führen als Ping, Pang und Pong mit das Geschehen und sind in ihren langen Kostümen mit Leuchtschild auffallend. Stimmlich passen die Drei gut zusammen und entführen beseelt in ihre Träume. Wieder einmal sorgt der Chor und Extrachor der Bayerischen Staatsoper für die richtige Stimmung in den grossen Volksszenen und huldigt mit durchschlagender Stimmkraft den Herrschern und verfolgt mit Achtung und Spannung die Rätselschlacht. Der junge Italiener Giacomo Sagripanti hält die Fäden fest am Pult zusammen, lässt das Orchester richtig aufbrausen, aber besticht noch mehr in den zurückgehaltenen feine Begleitungen. Transparent schlicht, nahezu operettenhaft werden melodiöse Passagen untermauert und nicht übermäßig auf Gefühle gedrückt. Die Tempi sind anspruchsvoll. Eine Wiederaufnahme, die wie eine glanzvolle Premiere wirkt. Nicht nur die Starbesetzung, sondern die Gesamtleistung und die unverändert beeindruckende ideenreiche Regie überzeugen das Publikum, das begeistert lange seine Lieblinge vor den Vorhang holt.

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