Phantasievolle Deutung des Schreckens ewiger Verdammnis in Mannheim

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Mannheim/Nationaltheater: „DER FLIEGENDE HOLLÄNDER“ - Premiere am 24. April 2022

Phantasievolle Deutung des Schreckens ewiger Verdammnis

Ende April kam das Nationaltheater Mannheim – NTM endlich mit seiner mehrmals verschobenen Neuinszenierung des „Fliegenden Holländer“ von Richard Wagner heraus, und es wurde ein umjubelter Erfolg. Vor knapp zehn Minuten ging fast niemand aus dem Saal. Es war in der Tat erfrischend, einmal wieder an einem großen deutschen Haus eine Wagner-Produktion zu erleben, die mit phantasievoller und stets werkbezogener Optik unter Vermeidung der Langeweile eines Einheitsbühnenbilds wie meist bei durchgehend gespielten Stücken wie diesem auskommt. Und das auch noch bei völliger Unterlassung gehirnakrobatischer Seiltänze regietheatralischer Exzesse, deren zumindest ansatzweises Verständnis nur durch ex-ante Analyse des mittlerweile immer öfters zuvor auch online zur Verfügung gestellten Programmhefts zu bewerkstelligen ist - Werkneulinge unerwünscht!

Die Spielvogte und alle übrigen vor und hinter dem Vorhang wissen eh, wovon man redet. Roger Vontobel stellt mit Maren Schäfer diesen „Holländer“ im Bühnenbild von Fabian Wendling und den Kostümen von Ellen Hofmann bei starker Choreografie von Zenta Haerter in eine Seemannswelt, in denen Taue zum Sinnbild für alles Seemännische werden, Umgarnung, Ektase und Tod. Eine geschickte Rotation einer Vielzahl von solchen Tauen mit Gegengewichten schafft bei phantasievoller Beleuchtung von Florian Arnholdt stets neue Räume und Spannungen. Das Holländer-Schiff kommt ganz unerwartet imposant aus höchsten Höhen, wo man nur den „Parsifal“-Schlusschor vermuten würde – ein eindrucksvoller Regietrick! Dass der Holländer und Senta einen Schatten (Traum) zur Seite bekommen, die Verdoppelung der Rollen à la Klaus Guth, der es wohl erfunden hat, ist und bleibt Geschmacksache – meiner ist es nicht. Das Herumgetolle der beiden Tänzer auf der Bühne zu durchaus nicht immer als entsprechend zu erkennenden Überlegungen von Senta und Holländer wirkte allzu oft überflüssig wenn nicht gar störend. Was soll diese immer mehr um sich greifende Verdoppelungs-Besessenheit mancher Regisseure hinsichtlich der Protagonisten?! Glauben sie Richard Wagner etwa nicht, seine Figuren in Aktion und Musik ausreichend konzipiert zu haben?! Es handelt sich wohl eher mal wieder um eine neo-stereotype Regiebesonderheit, ein als „genial“ empfundener Einfall, ähnlich wie früher die Koffer, dann die Putzfrauen bzw. -kolonnen und zuletzt, wesentlich durch Stefan Herheim, aber auch an manchen anderen Wagner spielenden Bühnen wie Kassel befördert, die bisweilen massenhaft auftretenden Statisten und manchmal sogar auch Protagonisten in weißem Feinripp – Gott weiß wofür!

Umso mehr faszinierten in dieser erfrischenden „Holländer“-Inszenierung die Videos von Stefan Bischoff, die stets in den Dienst der Werk-Ästhetik und -Aussage gestellt waren, ganz besonders im Vorspiel. Das hat man selten so gut gemacht erlebt! Michael Kupfer-Radecky gibt sein Rollendebut als fliegender Holländer mit seinem unter anderem bei den Tiroler Festspielen Erl gewohnt guten Heldenbariton, der für diese Rolle noch an Volumen gewinnen müsste, um auch die ganze Finsternis des Charakters abbilden zu können. So wurde es eher ein Holländer light. Daniela Köhler debutiert als Senta mit einer Rolle, in die sie wohl erst noch hineinwachsen muss. Der relativ vibratoreichen Stimme fehlt es an jeglicher Wärme und damit charakterspezifischer Menschlichkeit, die ja gerade das sich aufopfernde „Weib“ Senta dem Holländer entgegenbringt. Nur laut Singen reicht da nicht.

Ganz hervorragend singt der junge Jonathan Stoughton den Jäger Erik, mit klangvollem, tenoral intensivem Timbre und auch viel Emphase. Erfreulich zu hören, dass er hier gerade auch den Parsifal in der über 50 Jahre alten Schüler-Inszenierung gesungen hat. Der Koreaner Sung Ha sprang kurzfristig als Daland ein, da Patrick Zielke im Verkehr stecken geblieben war und spielt einen etwas bizarren Daland mit ausdrucksstarkem, etwas schlankem Bass. Juraj Holly als Steuermann ist um gute Töne bemüht, sein Tenor neigt in der Höhe aber zu einer gewissen Enge und Grellheit. Die Mary vom Marie-Belle Sandis war fast nicht zu hören und das Gesungene auch nicht wirklich gut.

Dani Juris hatte den Chor des Nationaltheaters Mannheim hervorragend einstudiert, ein schlagkräftiges und ausdrucksstarkes Ensemble bei den Damen wie bei den Herren. Jordan de Souza war für den zu „Bohème“-Aufführungen an die Met gereisten GMD eingesprungen und machte seine Sache gut. Schnelle Tempi, vielleicht bisweilen etwas zu schnell, aber damit auch stets den großen Spannungsbogen haltend. Das Orchester des Nationaltheaters Mannheim war in sehr guter Form. Es liegt tief im Graben in diesem bemerkenswerten Haus des Architekten Gerhard Weber (1909-1986), der sich im Wettbewerb immerhin gegen keine geringeren als den Bauhaus-Papst Ludwig Mies van der Rohe und den Architekten der Berliner Philharmonie Hans Scharoun durchsetzte. Mit der in Mannheim verwirklichten Qualität einer modernen Spielstätte wurde Weber auf der Internationalen Architekturausstellung in São Paulo als bester Theaterarchitekt ausgezeichnet. Der Klang des Orchesters wirkt damit sehr kompakt und homogen, was gerade für die – oft auch klanglich – stürmischen Wogen des „Fliegenden Holländer“ von großem Vorteil ist und sich an diesem Abend auch so erwies. Ähnlich wie bei Richard Wagners Festspielhaus in Bayreuth steht nach Wunsch des Architekten in Mannheim die sehr große Bühne im Mittelpunkt „unter weitestgehendem Verzicht auf Ausstattungsluxus“. Seit 1986 steht das NTM folgerichtig unter Denkmalschutz als exemplarisches Zeugnis der 1950er Jahre, und seit 1997 wird es im Denkmalbuch des Landes Baden-Württemberg als „Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung“ geführt. Nach einem Nachhören der Premiere auf dem Streaming-Kanal Operavision wurde offenbar, dass durch die technische Übertragung der Stimmen über (sichtbare) Microports die vokalen Leistungen im Internet-Stream signifikant anders ausfielen als in den analogen Verhältnissen der besuchten Aufführung, die dieser Rezension zugrunde liegt.

Fotos: Christian Kleiner/Nationaltheater Mannheim

Klaus Billand

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