„Fürs Herz muss ich singen“ - Ein Gespräch mit Gabriela Scherer über Beruf und Privatleben

Xl_scherer_gab © Harald Hoffmann

„Fürs Herz muss ich singen“ - Ein Gespräch mit der Sopranistin Gabriela Scherer über Beruf und Privatleben als auch über Fachwechsel in der Karriere 

Quirlig, offen und herzlich, so wirkt die junge Schweizerin, Mutter von zwei Kindern, gleich beim Kennenlernen. Quirlig, offen und herzlich gestaltet sich auch ihr inhaltsreiches Leben.

Als Kind in eine Schweizer Lehrerfamilie geboren, war der Kollege für Musikunterricht ihres Vaters die erste prägende Begegnung. Im Kinderwagen erlebte sie Chorproben, mit vier äußerte sie erstmals den Wunsch Opernsängerin zu werden. Dabei blieb sie, wie Tagebuchaufzeichnungen sowie ihr Werdegang beweisen. Dafür brach sie die Schule ab und startete ohne Abitur eine Gesangslehre und arbeitete als Sekretärin in einer Vermögensverwaltung in Zürich. Ein Studium am Mozarteum in Salzburg war der nächste Schritt. 2005 gewinnt sie den Gesangswettbewerb der Kammeroper Rheinsberg. Der Preis ist eine Rolle, hier Hänsel in einer Produktion am Theater Brandenburg, mit der sie auch auf eine Tour geschickt wird. Danach springt die Karriere als Mezzosopranistin schnell an. 

Ein Engagement bei den Pfingstfestspielen in Baden-Baden als Meg Page in Falstaff unter Thomas Hengelbrock im Alter von 25 Jahren, sowie ein Festengagement an der Oper Leipzig folgen. In Baden Baden lernt sie ihren jetzigen Gatten, den Bariton Michael Volle kennen. 

Selbstkritisch beobachtet sie ihre Stimme und Zweifel an der Ausrichtung der Karriere folgen. Beispielhaft nutzt sie zum Einstudieren und Einsingen die Breite ihrer Stimme. Für die Rolle des Sesto singt sie auch für sich die Rolle der Vitellia. Sie erkennt „beide Rollen nicht stimmlich ebenbürtig zu singen, obwohl sie in ähnlicher Lage geschrieben sind“. Ihr Mezzo dunkelt ab, ihr Sopran ist hell strahlend. Hier macht sich Unsicherheit, dort Wohlgefühl breit. Gefühlt gelingt die Höhe leichter als die Tiefe. Kritisch betrachtet empfindet sie vertikale geschriebene Rollen, also Rolle, die einen großen Tonumfang verfügen, für sich besser als horizontal geschriebene, die sich meist in derselben Tessitura bewegen wie etwa Cherubino. Ein Termin bei  der Lehrerin von Elina Garanca gibt die fachliche Bestätigung: kein lyrischer Mezzo sondern Sopran. Geprobte Rollenbeispiele wie Pamina liefern den Beweis.  

„Wie damit umgehen“, wenn bereits verschiedene Engagements wie Ensemblemitglied in München und Rollen festzugesagt sind (Dorabella, Hänsel, Annio) bemerkt die strebsame pflichtbewusste Künstlerin. 

Einschneidend ist 2010 die schwierige dramatische Geburt des ersten Kindes, lebensbedrohend für Mutter und Kind. Tief gräbt sich das Erlebnis ins Bewusstsein, ein geplanter Wiedereinstieg rückt in weite Ferne, das Singen wird komplett beendet bis gesundheitlich stabile Verhältnisse eintreten. Nur wenige Produktionen und Verpflichtungen werden noch erfüllt. Gleichzeitig erfolgt eine „Kollision“ von Vorkommnissen:  die Weltkarriere des Ehepartners und das starke Gefühl von ihrem Sohn gebraucht zu sein, in der Mutterrolle eine Erfüllung zu empfinden. Die Geburt des zweiten Kindes gibt ihr persönlich Auftrieb und nach fünf Jahren Pause überlegt sie erste Versuche, auf die Bühne zurückzukehren. 

Wegweisende Entscheidungen stehen an. Diesmal als Sopran und sie stellt sich den Vorurteilen des Opernbetriebes. Das „Schubladen Denken“ hält die offene, dem Neuem aufgeschlossene Sängerin nicht viel.

Die Auswahl des richtigen Agenten, der ihre Wünsche akzeptiert und unterstützt, wird schwierig. Nicht „verheizt zu werden“ und „fachlich professionell begleitet zu werden“, sowie „nicht die Ehefrau eines berühmten Sängers“ zu sein, ist ihr großes Anliegen. Nach der Zusammenarbeit mit mehreren Agenturen fühlt sie sich jetzt auch hier in den richtigen Händen. Als jugendlich lyrischer Sopran startet sie 2016 als Ariadne am Theater Luzern, Rollendebüts als Gräfin und 2017 als Arabella und Agathe folgen. 2020 singt sie die Senta am Opernhaus Wiesbaden.

Nunmehr füllt sich der Terminkalender und das Gespräch führt zur wesentlichen Frage „wie den Spagat Karriere und Familienleben“ zu realisieren. Die Vollblutmutter reagiert philosophisch. Der Wunsch auf die Bühne ist in ihr stark gewachsen. Für den Wunsch einzustehen ist für sie auch ein Vorleben, eine Vorbildfunktion für ihre Kinder und der Gesellschaft. 

„Fürs Herz muss ich singen“, es ist meine Berufung. 

Aber „Was ist Karriere?“ Herausfordernd ist jedes Engagement abzuwägen, um bei den Kindern nicht deren Entwicklung zu versäumen und einen Ausgleich für Körper, Geist und Seele angesichts der Anforderungen als Künstlerin zu finden. 

Eine festangestellte Nanny ist unverzichtbar und längere Abwesenheit zu vermeiden. Ohne striktes Zeitmanagement mit 6 Uhr aufstehen lässt sich der Spagat nicht verwirklichen. Bereichernd empfindet sie denselben Beruf des Ehepartners, dessen Rat und Kritik sie proaktiv sucht und einfordert. Oft sind es die „simplen Dinge“, die nicht gesagt werden.

„Welche Wünsche bleiben noch offen“ führt das Gespräch zum letzten Thema. Hier sind am Wichtigsten, Rollen zu singen, die ihr wichtig sind, mit guten Künstlerkollegen, guten Partnern auf der Bühne, in tollen Produktionen. Und außer der Desdemona wäre es toll, wenn Vitellia, viel Elsa und weiterhin Strauss hinzugefügt werden könnten. Das italienisches Fach liegt ihr in ihrer eigenen Einschätzung genauso wie das Deutsche von Richard Wagner.

Offen für das was kommt, nimmt sie gerne den Rat von Regisseuren entgegen. „Inszenierungen müssen mich überzeugen, die Musik muss plausibel der Regie und umgekehrt folgen“, äußert sie sich offen - „Keine Selbstverwirklichungen oder unansprechende Ausstattungen“ ergänzt sie. 

Pragmatisch gedacht schließt sie nüchtern - „„Gesund bleiben und viel Zeit mit den Liebsten haben.“

Vielen Dank für das Gespräch.

Frau Scherer gibt im Mai ihr Rollendebüt als Donna Elvira an der Staatsoper unter den Linden.

Dr. Helmut Pitsch 

 

| Drucken

Mehr

Kommentare

Loading