Günter Titsch über die European Choir Games im Gespräch mit Opera Online

Xl_427dbf1e-da63-4d92-aba7-e4625c8dcef5 © Interkultur Jonas Persson

Begründer der World Choir Games: „KI kann Juroren nicht ersetzen“

Günter Titsch über die European Choir Games im Gespräch mit Opera Online

Der in Heidenpiltsch im heutigen Tschechien geborene Günter Titsch ist wesentlich als Gründer des Vereins Interkultur mit Sitz in Mittelhessen und Initiator der World Choir Games bekannt. Diese haben sich zu einem globalen Netzwerk der universalen Chorszene entwickelt. Seit dem Beginn 1988 in Budapest veranstaltet Interkultur Wettbewerbe und Festivals für Laienchöre. Die World Choir Games, gestartet 2000 in Linz/Österreich, finden alle zwei Jahre auf unterschiedlichen Kontinenten statt.

Nach Auckland/Neuseeland 2024 sieht das schwedische Hälsingborg 2026 die nächste Ausgabe. Bis heute sind über 11.000 Chöre mit fast einer halben Million Sänger aus 109 Ländern den Einladungen von Interkultur gefolgt. Menschen unabhängig von Alter, kultureller und regionaler Provenienz im gemeinsamen Singen Begegnungen und Austausch zu verschaffen, ist Titschs zentrale Motivation. Die Attraktivität insbesondere der von Ihnen begründeten World Choir Games in der universellen Chorcommunity ist über die Jahrzehnte gestiegen.

Was ist hierfür der wesentliche Grund? Gibt es vielleicht ein Geheimnis?

Titsch: Ein Grund, warum Chöre aus aller Welt unsere Veranstaltungen besuchen – sie wollen ihre Qualität beweisen, sie dann im Austausch mit Experten verbessern. Es werden nicht nur Spitzenchöre zugelassen, sondern genauso Chöre der musikalischen Basis. Das ist ein Kern der Philosophie von Interkultur. Gradmesser für die Qualität von Chören ist die von uns entwickelte Weltrangliste, die Top 1.000, die ihr Leistungsvermögen dokumentiert, auch in speziellen Kategorien wie Pop, Jazz, Gospel, Spiritual und Barbershop oder auch Kinder- und Jugendchöre.

Wettkampf, Wettbewerb reizt?

Anfänglich wurde die Weltrangliste nicht so gut angenommen. Das hat sich aber geändert. Viele Chöre kommen insbesondere deswegen. Ihre Position in der Liste wird auch in den Städten anerkannt, in denen sie leben. So hat sich beispielsweise ein Chor aus Südafrika auf die Reise gemacht, um hier in Aarhus an seiner Qualität zu feilen und seinen Platz in der Rangliste zu verbessern.

Ein offenes Geheimnis ist der Wunsch von Chören, von hoch anerkannten Musikexperten bewertet zu werden. Diese Wertungen, die sich auch in Diplomen nach Wettbewerbskonzerten ausdrücken, werden von ihnen akzeptiert.

Die European Choir Games, die in Aarhus in Dänemark ihre sechste Ausgabe erleben, sind neben den Asia Pacific und den African Asia Pacific Choir Games kontinentale Schauplätze der Idee, Begegnungen von Chorbegeisterten unabhängig von Herkunft, Alter und kultureller Provenienz zu ermöglichen. Gekoppelt mit dem Veranstaltungsformat Grand Prix of Nations, das Top-Chören frei von der kontinentalen Bindung die Chance zur Teilnahme eröffnet. Was ist in Ihrer Bilanz das Wichtigste?

Dänemark gehört wie Schweden zu den Ländern, die ihre Kultur äußerlich sichtbar machen. Die Büros wie die Zentrale von Interkultur – ein Beispiel - waren im Musikhuset, dem phantastischen Musikhaus, in Zimmern untergebracht, die mit Klavieren ausgestattet sind. Wir haben hochprofessionelle Partner erlebt, die mit uns eine grandiose Veranstaltung organisiert haben. Besonders freut mich, dass mit Cantamus Gießen in der Kategorie Kammerchöre nach langer Zeit wieder ein Chor aus Deutschland Champion of the European Coir Games wurde.

Bei den European Choir Games 2019 in Göteborg und Riga 2017 fand eine TV-Show mit dem Partner European Broadcasting Union (EBU) europaweite Aufmerksamkeit. Chöre aus europäischen Ländern traten vor Fernsehkameras gegeneinander an. Jetzt in Aarhus fehlt diese Facette.

Wir mussten feststellen, dass die öffentlich-rechtlichen Sender Europas für ein solches Format kein Geld geben wollten. Das zeichnete sich bereits ab. Stellte jeder der beteiligten Sender 2017 noch ein Budget von 50.000 Euro zur Verfügung, sank dieses zwei Jahre später auf 15.000 Euro. Offensichtlich verfolgen sie andere Prioritäten, so dass für diese Art der Kultur keine Mittel mehr da sind.

Die Corona-Pandemie hat 2020 zur Verschiebung der World Choir Games in den flandrischen Städten Antwerpen und Gent um ein Jahr geführt. Immerhin haben sie dann stattgefunden. Offenkundig übrigens mit einer Spur Nachhaltigkeit, was die Zahl von mehr als einem Dutzend Chören aus Belgien in Aarhus andeutet. Ist die Corona-Krise in der Welt der Chöre vorbei?

Ja und nein. In der internationalen Chorszene ist sie vorbei. Die Chöre, die es sich leisten können, reisen wieder. Hierzu eine Beobachtung zu unserer Veranstaltung auf Mauritius im kommenden September. Aus Südafrika hatten sich hierzu 18 Chöre angemeldet. 16 davon haben storniert, weil die Kosten für Flüge von Südafrika nach Mauritius sehr hoch geworden sind. Gleichwohl, die Chöre kommen, weil sie, was ich immer sage, sich begegnen, gemeinsam singen wollen. Menschen zusammenbringen rund um den Kern, den Gesang, das ist das Entscheidende.

Für die weltweite Chorcommunity sind die Sozialen Medien, über die sich sehr wohl kritisch diskutieren lässt, offenkundig von großem Wert.

Ganz zweifellos. Impressionen von Aarhus, Bilder von den Konzerten und Workshops, die unser Team aufnimmt, sind in Sekundenschnelle weltweit auf Facebook, Instagram, Tik Tok verfügbar. Sie werden vor allem von jungen Menschen wahrgenommen und helfen, die internationale Vernetzung der Chöre voranzubringen.

Ist Künstliche Intelligenz für Interkultur ein Thema?

Wir arbeiten mit KI, beispielsweise im Vertrieb oder im Bereich Media. Aber sollte sich jemand vorstellen, KI könne Juroren ersetzen – nein, das geht nicht und wird nicht kommen.

Der Kulturbürgermeister von Aarhus, Rabih Azad-Ahmad, hat in seiner Rede in der abschließenden Zeremonie in der Arena der Stadt Solidarität mit den Palästinensern in Gaza angemahnt. Keine Kulturveranstaltung, erst recht keine grenzüberschreitende kann sich aus der Politik heraushalten. Sie betonen stets das Eintreten für den Frieden in der Welt.

Das ist richtig. Es ist eine unmittelbare Folge von Politik, wenn Chöre aus Israel, die ihre Teilnahme in Aarhus gebucht haben, nicht anreisen können, weil Flüge wegen der Lage in ihrem Land gestrichen werden. Die Konzerte im Geiste der Freundschaft, unser Konzert für Frieden in der Domkirche von Aarhus sind nicht Programmpunkte unter vielen. Sie stehen auch für unsere Haltung.

Interview: Dr. Ralf Siepmann

Copyright Foto: Interkultur/Jonas Persson

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