Begegnung auf Augenhöhe - Profis müssen ihr Publikum sehr ernst nehmen.

Xl_florentine_klepper3 © Tiroler Festspiele Erl

Begegnung auf Augenhöhe - Profis müssen ihr Publikum sehr ernst nehmen. 

Ein Gespräch mit der Regisseurin Florentine Klepper während der Proben zur Neuinszenierung Schneeflöckchen der Tiroler Festspiele 

Die gebürtige Rosenheimerin Florentine Klepper inszeniert die diesjährige Tiroler Festspielpremiere Schneeflöckchen von Nikolai Rimski-Karsakov in Erl. Sie verbindet nicht nur regional ein besonderes Verhältnis zu den Tiroler Festspielen. Nachdem sie zum Beginn der Intendanz von Bernd Loebe Antonin Dvoraks Oper Rusalka in Szene setzte, eröffnet sie mit Rimski Korsakovs Oper Schneeflöckchen dessen letzte Winterfestspiele sowie die letzte Neuinszenierung unter dessen Intendanz in Erl.

In ihrer Familie gab es bei einem kaufmännischen Hintergrund wenig Bezug zu Theater und Regie. Über die Sprache kam sie zur Dramaturgie. Während der Ausbildung in München entdeckte sie, daß sie nicht nur „textlastig“ sein will. Mehr zum Menschen drängt es sie. Insbesondere nach der Aufgabenstellung einer Opernregie, die sie mit einer Uraufführung einer Oper von Jörg Widmann löste, ist sie bei der Musik angekommen. Das Erlebnis zeitgenössische Musik ist prägend und bleibt ihr weiter ein Anliegen.

Regiearbeit

„Je besser wir Stücke kennen, auch aus der Musik heraus“ - „je genauer wir lesen und hören“ desto besser eine Regiearbeit für sie. Gefühl und Hören, keine wissenschaftliche Analyse sind für sie die wesentlichen Voraussetzungen in der Einarbeitung, über Intuition nähert sie sich Libretto und Partitur.

Für die Künstlerin ist das Ziel der Regie ein gesellschaftlicher Auftrag. Im hochsubventionierten Kulturbetrieb sieht sie sich als politischer Mensch verantwortungsvoll nicht „frei“, als politischer Mensch etwas zu wollen. Trotz Freiheit der Kunst trägt der Künstler, die Regisseurin auch Verantwortung zur Reflexion in der Gestaltung.

Ab nächstes Jahr wird sie auch eine Professur am Mozarteum Salzburg übernehmen. Sie unterrichtet Sänger und Sängerinnen  in der musikdramatischen Darstellung.  Das Musiktheater muss sich für kritisch Engagierte weiterentwickeln. „Wie sehr wir unsere Zeit einbinden ist die Herausforderung, jeder Versuch den zeitlichen Abstand zwischen Werkentstehung und Gegenwart zu verringern ist notwendig.“ 

Neuinszenierung Schneeflöckchen

Auf die aktuelle Neuinszenierung in Erl angesprochen, erläutert sie vorab die Dramaturgie der Entstehung. „Durch Corona wurde die Arbeit zweimal unterbrochen, danach ergaben sich veränderte politische Verhältnisse, die seitdem von allen Mitwirkenden große Sensibilität füreinander fordern.“

In kleinen Schritten hat sie sich dem Stoff genähert, in die Musik reingehört. Dem Werk fehlt ein „roter Faden“, es lebt davon nicht stringent zu sein. Prägend ist die enge Verknüpfung einer Rahmen- und Binnenhandlung. Der Prolog baut den Rahmen auf zwei Figuren und ihrer Tochter (Schneeflöckchen) auf. Diese bringt die Jahreszeiten aus dem Gleichgewicht und nimmt dadurch Einfluss auf die Menschenwelt, in der das Verhältnis Individuum vs. Masse im Zentrum steht.

„Rimski Korsakov hat das in Russland sehr bekannte Märchen Schneeflöckchen als Zeitstück, als Reaktion auf die Verstädterung, den Verlust der Natur geschrieben“. Es sind Bilder der Sehnsucht. Wir spiegeln keinen aktuellen expliziten Bezug z.B. zum Klimawandel. Wir lesen ein traditionelles Märchen als „zeitloses Gleichnis“, um möglichst vielen Assoziationen Raum auf der Bühne - ohne Aussage über kulturelle Zusammenhänge – zu geben.. 

Ihre Regie sendet „keine Botschaft, Rätselhaftes im Stück wird nicht entschlüsselt. Dies bleibt dem Publikum überlassen. In was für einer Gemeinschaft leben wir, welche Werte sind konform, wie wollen wir zusammen leben.“

Zum Bühnenraum erläutert Klepper, dass es kalt werden wird. Es ist bitterer Winter. Der Ablauf umfasst viele Szenen von Einzelpersonen sowie der Gemeinschaft. Die Handlung dreht sich um die Mitte. Die zahlreichen Chorszenen sind ein „Spiel mit der Öffentlichkeit. Wann schauen Menschen zu, wieviel Intimität bleibt.“

„Ewiger Winter und Kälte sind ein fruchtbarer Boden für Ideologien bis hin zum Opfer eines jungen Mädchens für den Sonnengott“.Das gesellschaftliche Klima trägt radikale Züge, „wir sollen nicht trauern“ befiehlt der Zar, kein Bewusstsein, was es für das Individuum bedeutet. 

Auf die Bedeutung der Liebe angesprochen, spricht sie ihr eine große Rolle zu, aber die Liebe ist vielschichtig in den unterschiedlichen Wahrnehmungen und wird nicht erfüllt.

Die Ballettszenen im vierten Akt wurden gestrichen, der Länge des Stückes geschuldet. Mit zwei Pausen ist es ohnehin lang für etwas Unbekanntes. Dazu herrscht die „Erwartung eines schönen Weihnachtsmärchens“, das mit einem grausamen Ende aufwartet.

Die Gestaltung der Zarenfigur war für die Deutsche herausfordernd. Ein Herrscher als Freak ist zu einfach. „Warum sind Menschen wie er in dieser Position, welche Faszination geht von dem Herrscher aus. Er wird als gütig, liebenswert besungen und vom Chor gepriesen. Aber er ordnet auch Menschenopfer an, bestimmt den Liebesbegriff, nutzt Rituale zum Missbrauch. Wir haben eine moderne Charakterzeichnung gesucht." Die Götter und der Glauben stehen für ein Narrativ, das die Gemeinschaft zusammenhält und Sehnsüchte erfüllt.

Kulturmanagement

Mit ihrem Abschluss 2021 für Musik- und Theatermanagement verbindet sie keine Ambitionen ins Management zu gehen. Die aktuelle Diskussionen über Reformen im Theatermanagement sind wichtig. „Theater sind oft von klassischen Hierarchien geprägt, dies ist wichtig, um handlungsfähig zu bleiben,  aber birgt auch die Gefahr von zu starren Strukturen. Die Weiterbildung und meine Arbeit mit dem JTR, einem Theater für junges Publikum in Rosenheim machen mich sensibel für diese Prozesse. Als Regisseurin suche ich neue Stoffe und neue Werke. Die Erweiterung mit zeitgenössischen Themen ist essenziell.  14-17 Jährige suchen nicht das Reproduzieren von Klischees. Theater sollten keine Hemmschwelle haben, es sind besondere Spielorte, Theater sind etwas Tolles, nicht Alltägliches. Wichtig ist, dass die Jugend mitgenommen wird, denn die kulturelle Sozialisation ist mit 12 Jahren bereits abgeschlossen.“

Die Jugend hat viele Probleme, besonders nach Corona. Es geht darum Mut zu machen. „In unseren Projekten erarbeiten Profis in Workshops mit Jugendlichen Texte, die später in unser Theaterstück einfließen. Auch in Zusammenarbeit mit Schulen. Das Projekt „Depression“ ist ein aktuelles Thema, aber auch Themen wie Rassismus. Das Theater kann Inhalte anders transportieren.“ Künstler, Profis müssen ihr Publikum sehr ernst nehmen, es ist eine Begegnung auf Augenhöhe.

Vielen Dank für das Gespräch 

Dr. Helmut PItsch

Tiroler Festspiele Erl Schneeflöckchen

27.12. (Premiere), 3.1.2024, 6.1.2024

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