Wenn Belcanto-Tragik gleichermaßen verstört und begeistert

Xl_15443_beatriceditenda_169_foto_jochen_quast © Copyright Foto: Jochen Quast

Beatrice di Tenda Vincenco Bellini Besuch am 27. Juni 2025 Premiere

Deutsche Oper am Rhein

Theater Duisburg

Wenn Belcanto-Tragik gleichermaßen verstört und begeistert

Die Musiktheater an Rhein und Ruhr öffnen dem Kernrepertoire des Belcanto regelmäßig ihre Türen. Erfreulicherweise auch den Hauptwerken von Vincenzo Bellini. Das Aalto-Theater Essen vor einigen Jahren La Straniera, als inszenierter Trouvaille. Die Deutsche Oper am Rhein in der vorletzten Spielzeit La sonnambula, ebenfalls in einer viel beachteten szenischen Fassung, die als magisches Erlebnis in Erinnerung ist. Nun, in der aktuellen Saison, Beatrice di Tenda, konzertant. Ein Werk, das gleichermaßen begeistert wie verstört. Das, mit einem Wort, Oper vom Feinsten ist.

Bei der Vorbereitung von Il Pirata an der Mailänder Scala, Vincenco Bellinis dritter Oper, lernt der Komponist 1827 Felice Romani kennen. Daraus erwächst mit La Straniera, dann vor allem mit Norma eine sehr produktive Zusammenarbeit. Der Librettist liefert den Süßstoff, den Bellini mit Vergnügen für fünf seiner sieben Kompositionen in einem neuartigen lyrisch-dramatischen Stil verwendet. Romanis Textbücher strotzen nur so vor schaurigen bis absurden Handlungen wie im Belcanto-Klassiker La sonnambula. Hier offenbart die junge Amina, eine Außenseiterin in der ländlichen Gesellschaft, nachtwandelnd auf dem Dach ihre Liebe zu Elvino, dem reichsten Bauern der Gegend, und konterkariert so den Verdacht der Untreue mit dem Grafen Rudolfo.

Eine ähnliche, teils kolportagenhafte Episode liegt auch der 1833 uraufgeführten Opera seria Beatrice di Tenda zugrunde, freilich mit dem Unterschied, dass sie auf einer historischen Begebenheit in der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts beruht, einem Femizid im heutigen Verständnis. Die Titelheldin erleidet an der Seite ihres treulosen und empathiefreien Ehemanns Filippo Maria Visconti ein brutales Schicksal. Der Herzog von Mailand, letzter Spross einer vermögenden Familie, trachtet danach, Beatrice loszuwerden. Eine von Agnese del Maino, Beatrices Hofdame, angezettelte Intrige bringt Filippo seinem Ziel näher. Agnese, Geliebte des Herzogs, dichtet Orombello, Lord von Ventimiglia, fälschlich ein Verhältnis mit Beatrice an. Am Ende lässt Filippo Beatrice zur Hinrichtung führen, nicht jedoch bevor diese im herzzerreißenden Finale Ah!se un’urna è a me concessa ihre Getreuen auffordert, für Filippo zu beten, und sich von ihnen verabschiedet.

In der fünften und letzten Aufführung der Tragedia lirica, der Premiere im Theater Duisburg, knapp acht Wochen nach dem Beginn der Serie am Düsseldorfer Stammhaus, leitet wieder Belcanto-Spezialist Antonino Fogliani das Orchester, diesmal die Duisburger Philharmoniker. Zusammen mit dem Chor der Deutschen Oper am Rhein, einstudiert von Francis Chestnut, agiert ein Ensemble von vorzüglichen Solosängern auf der Bühne, welches das leider nur etwa halb gefüllte Haus in seinen Bann zieht.

Schon mit dem kurzen, aber prägnanten Preludio, in dem das Pizzicato der Kontrabässe Unheimliches vorwegnimmt, erneuert Fogliani das Geheimnis einer vorzüglichen konzertanten Aufführung insbesondere im Belcanto-Fach – die Chance zur absoluten Konzentration auf die Musik. Mit 23 Jahren entschließt sich Bellini, das Genie aus dem sizilianischen Catania, nach dem Erlebnis einer Aufführung von Gioachino Rossinis Semiramide in Neapel, Opern zu komponieren. Richard Wagner, der Bellini außerordentlich schätzt, schreibt ihm „bei aller Pauvretät wirkliche Passion und Gefühle“ zu.

Die für Bellini prototypische Partitur mit einer in das Zentrum gerückten anspruchsvollen Solodarstellerin, zumeist Sopranistin, machtvollen instrumentalen Tutti und Choreinsätzen, die einfühlsam Solo- und Ensemblenummern umspielen oder verstärken, weist in verschwenderischer Weise Melodien und klangliche Virtuositäten voll „wirklicher Gefühle“ auf. Fogliani beherrscht das legere wie das strenge Dirigat perfekt. Unter seinen Händen erblühen die Holzbläser, insbesondere die Raum und Stimmungen prägende Klarinetten. Das facettenreiche Blech generiert einen Sound voller Rasanz und Wehmut. Die Harfe verleiht der Romanze der Agnese Ah! Non pensar noblen Ausdruck, das wundervolle Horn Filippos Qui m’accolse oppresso, errante eine Wehmütigkeit, die dem Despoten eigentlich fremd ist.

Die Kunst des Belcanto wird durch eine spezielle Gesangstechnik ermöglicht, die sich durch ausgeglichenes Stimmregister über die gesamte Tessitur, ein konsequentes Legato, ausgefeilte Melismen, Messa da voce sowie die Ornamentik der Stimme auszeichnet. Sie ist nur durch ein intensives fokussiertes Training erreichbar. Mit ihrem schönen sinnlichen Timbre, ihrer ausgefeilten Technik und atemberaubenden Koloraturen kommt Stacey Alleaume in der Titelpartie diesem Anforderungsprofil ziemlich nahe. Von ihrer Auftrittsarie Ma la sola, ohimé, son io an überstrahlt sie in Bellinis expressiven Gesangslinien das jeweilige Geschehen, sei es elegisch im ausgedehnten Il mio dolore in wehmütiger Erinnerung an ihren früheren Ehemann, sei es vehement in den Quintetten im ersten Finale und in der Gerichtsszene. Im Terzett Angiol di pace im zweiten Finale schlussendlich, das von Orombello effektvoll aus hinterer Entfernung mit der begleitenden Harfe eingeleitet wird, verbindet sie sich berührend emotional mit Agnese.

Als diese seconda donna ist die Mezzosopranistin Maria Kataeva eine deutliche, bisweilen scharf kontrastierende Antipodin. Ihre Gestaltung der Partie der Agnese, ursprünglich für Sopran geschrieben, lässt die Rachegefühle der Geliebten Filippos mehr als deutlich werden, so dass phasenweise der Eindruck eines ungewöhnlichen Angestrengtseins entsteht. Der Bariton Bogdan Baciu leuchtet mit bruchlosen Übergängen in allen Registern und dem fugenlosen Wechsel von der Brutalität hin zum Gestus der Versöhnlichkeit die Facetten des grausamen Ehemanns plastisch aus.

Als Orombello ist der Tenor Konu Kim ein glaubhaft begehrender wie leidender Liebhaber. Seine Ausstrahlung bleibt freilich hinter der eines Lord Arturo in I Puritani erheblich zurück, da Bellini die Rolle nicht mit den Spitzentönen und der Leidenschaft bedacht hat, die wirklich Effekte machen. In den Rollen des Orombello-Freunds Anichino und Agneses Bruder Rizzardo del Maino komplettiert Henry Ross mit seinem angenehm klingenden Tenor das Ensemble.

Der stürmische bis frenetische Applaus verdeckt ein Stück weit die Situation in Parkett und Rang. Sie muss auch nach den umjubelten vier Vorstellungen im Düsseldorfer Opernhaus die Intendanz der Rheinoper keineswegs bewegen, ihr Engagement für den Belcanto und speziell für Bellini zurückzufahren. Warum auch?

Dr. Ralf Siepmann

Copyright Foto: Jochen Quast

 

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