
La Cenerentola Giachino Rossini Besuch am 25. Juli 2025 Premiere am 18. Juli 2025
Festival Rossini in Wildbad Kurtheater Bad Wildbad
Spielwitz und Belcanto-Glück im schäbigen Schloss des Don Magnifico
La Cenerentola zählt zu den am häufigsten inszenierten oder auf Tonträger eingespielten Opern von Gioachino Rossini beim Belcanto Festival in Bad Wildbad. Ganz sicher liegt dies an der hinreißenden Musik des Meisters aus Pesaro, deren Qualität durchaus höher eingestuft werden kann, als die des späteren Welterfolgs Il barbiere di Siviglia. Gewiss nicht minder an der Fähigkeit der Festspielleitung, immer wieder aktuelle oder kommende Stars der Belcanto-Szene an die Enz zu locken, 2004 Joyce Di Donato und Bruno Pratico sowie den exzellenten Rossini-Dirigenten Alberto Zedda. Und diese mit großartigen Gesangstalenten zusammen zu bringen.
Der Dauererfolg der 20. Oper Rossinis an der Enz hat nicht zuletzt direkt mit dem Libretto, der Thematik, der Oper zu tun, die das ursprüngliche Märchen erdet und gerade deswegen die Herzen der Menschen erreicht. La Cenerentola, halb buffa, halb semiseria, ist im Grunde eine Geschichte von Oben und Unten. Sie passiert seit 200 Jahren auf allen Opernbühnen der Welt mit dem Vorzug, dass sie gut ausgeht und das Glück schenkt, das wir märchenhaft nennen. Sie erzählt von einer Welt, die streng trennt zwischen der feinen Herrschaft und ihren Bediensteten. Die da oben sind aber weder fein, geschweige nobel. Und die da unten, die ein Herz haben, sich aber in Staub und Küchendreck schinden und auch noch erleben müssen, verachtet zu werden.
Jochen Schönleber, Intendant des Festivals und Regisseur der Wildbader Cenerentola `25, scheint mit den Jahren und den von ihm verantworteten Inszenierungen eine leichtere Regiehand entwickelt zu haben und sich zu erlauben. Anders als Bruno Klimek 2024 im Aalto-Musiktheater Essen, der dem Stück seine letzten Spurenelemente von Märchenzauber auszutreiben und die immanente Geschlechterhierarchie über den Haufen zu werfen sucht, ist ihm nicht groß an einer Deutung gelegen. Dafür investiert er viel Energie und Spielwitz in sein Unterfangen, dieFabel von Charles Perrault, auf der das Libretto von Jacopo Ferretti unter weitreichenden Änderungen beruht, äußerst unterhaltsam erzählen und die Köstlichkeiten des Stückes ausbreiten zu wollen. Dies wiederum schließt Anspielungen auf eine Gesellschaft von heute nicht aus, in der Betrug und Egoismus nicht unbekannt sind. Ganz im Gegenteil.
Die relativ kleine Bühne im feinen Kurtheater begünstigt den Ansatz, sich auf die einzelnen Stationen des Dramma giocoso zu konzentrieren und das Gelingen der Aufführung weitgehend den Akteuren auf und unterhalb der Bühne zu überlassen.
In der ersten Szene, die im Saal des herunter gekommenen Schlosses von Don Magnifico, des Barons von Montefiascone, spielt, fokussiert Schönlebers Bühne auf den Kamin, an dem Angelina alias Cenerentola kauert und ihr Lieblingslied vom Prinzen singt, der Pomp und Reichtum verschmäht und eine treuherzige einfache Braut sucht. Der Ofen wird durch eine winzige Laterne, umgeben von Holzscheiten, angedeutet, die an der Spitze von aufgeschichteten Requisiten positioniert ist. Zu beiden Seiten sind Kleiderschränke aufgestellt, aus denen sich Clorinda und Tisbe, Aschenputtels Halbschwestern, bedienen, während sie sich in Lobpreisungen ihrer eigenen Schönheit ergehen. Deren Inventar ist zuvor von einer Dienerschar in Plastiktüten herbeigeschafft worden, womöglich aus Second-Hand-Boutiquen angesichts der finanziellen Misere des Magnifico.
Das Zimmer im Schloss von Il principe ist schlicht gehalten, als wolle die Ausstattung den Traum Angelinas vom unprätentiösen Traummann untermauern. Im Finale wandeln sich die Requisiten durch einfache Drehungen in einen Thron samt rot gepolstertem Thronsessel, dem Angelina sich über einen roten Teppich nähert. Effektvoll ist die Idee, die Höflinge mit und an einem langen Balken agieren zu lassen, der mal als Raumteiler, dann als Tisch für die Festtafel dient.
Die Kostüme von Claudia Möbius treiben den spielerischen Ansatz weiter. Clorinda und Tisbe dürfen in farbenfrohen Stoffen und phantasievollen Kleidern schwelgen. Cenerentola erscheint anfänglich als die graue Maus, die sie im Verständnis ihrer Bagage auch bleiben soll. Als unbekannte verschleierte Dame im Schluss des ersten Akts, die die komplette Schlossgesellschaft verzaubert, ist sie in eine elegante Robe gewandet. Ramiro und Dandini sind dagegen underdressed. Ihr doppelter Kleidertausch funktioniert gut, weil kein Wert auf pompöse Ausstattung des Prinzen gelegt wird. Allerdings ist Dandini mit Sonnenbrille und Dienstkluft in Weiß allzu sehr auf den neapolitanischen Macho getrimmt. Magnifico ist ebenso schäbig gekleidet wie die Anmutung seines Besitzes.
Relativ neu für eine Inszenierung im Kurtheater ist der reichliche Einsatz von Videoeinspielungen, die die wechselnden Auftritte der Solosänger begleiten, je nach Charakter verdeutlichen oder überspitzen. Was anfänglich amüsiert, läuft sich nach einer Weile tot, weil sich die Bildausschnitte wiederholen. Hier wäre weniger mehr gewesen.
Einiges in Schönlebers Regiekonzept offenbart sich nicht auf Anhieb. Zur Ouvertüre lässt er Alidoro, Philosoph und Lehrer Ramiros, hinter den Kulissen der eigentliche Drahtzieher des Geschehens, als Bettler in Erscheinung treten, der die Kunst des Kartenlesens beherrscht. Vor dem Vorhang trifft er auf Angelina, die sehr an einer Vorhersage ihrer Zukunft interessiert ist. Aus offenkundiger Dankbarkeit über die Weissagung wirft sie ihm eine Münze in einen mitgebrachten Pappbecher. Choristen, womöglich Abgesandte Magnificos, der seine Familie mit allen Mitteln gegen Widersacher verteidigen will, überfallen und berauben Alidoro. Wie ein Stück Wiedergutmachung wirkt im Schluss die Geste Angelinas, die Alidoro, jetzt wieder der Bettler, auf den Thron komplimentiert und mit fürstlichen Speisen bewirtet, die ihm allerdings Magnifico und die galligen Schwestern streitig machen.
Gesungen wird auf einem mehr als passablen Festspielniveau. Herausragend bis überwältigend geraten die Ensemblenummern, insbesondere das Quintett Signor, una parola und speziell das grandiose SextettSiete voi … Questo è un nodo avvilupatto. Mit „vollkommener Verwirrung“ reagiert da die Mischkulanz auf die Entdeckung des Abends und des ganzen Stücks. Dandini ist nicht der Diener des Fürsten, sondern dieser höchstselbst, Prinz Don Ramiro. Und dieser begehrt niemanden mehr an seiner Seite auf dem Thron als Cenerentola, deren Tage als erniedrigtes Aschenputtel gezählt sind.
Patrick Kabongoist dieser Prinz mit tenoraler Spinto-Qualität, die er mit seinem anrührenden Einstieg Tutto è deserto unmittelbar unter Beweis stellt. Er begeistert im anschließenden Duett mit Angelina Un soave non so che mit eben der beseelten Inbrunst, die Polina Anikina in der Titelrolle zu einem gewissen Grad fehlt. Die technische ausgezeichnete Mezzosopranistin versteht es von ihrer ersten Aria Una volta c'era un re an, die von den Stiefschwestern jäh unterbrochen wird, bis zum famosen Schlussrondo Nacqui all’affanno, no pianto die Traumwelten auszumalen, die sie erfüllen, ohne jedoch dabei das wünschenswerte Charisma der Figur zwischen Unterdrückung und Hoffnung zu erreichen.
Der Bassbariton Filippo Morace ist als Magnifico eine Wucht, der den legendären Pratico in dieser Rolle phasenweise vergessen lässt. Mit gespielter Empörung ganz ausgezeichnet in der Arie Sia qualunque delle figlie und als polternder Buffo im Duett mit Dandini Un segreto d'importanza, als sich herausstellt, dass er sich total verzockt hat. Als Ramiros Diener ist ihm Emmanuel Franco in seiner Burschikosität zumindest ebenbürtig. Ein spöttisches Glanzstück ist sein Come un’ape, ne giorni d’aprile, bei dem sich der Bariton auf den Spuren Don Giovannis wähnt. Der Bassbariton Dogukan Özkan zeichnet die Figur des Alidoro mit Würde und schönem Timbre, das seine einzige Aria Là del ciel nell'arcano profondo in einen Edelstein des Belcanto verwandelt. Ellada Koller als Clorinda und Verena Kronbichler als Tisbe sind prächtig singende und dank ihrer variantenreichen Mimik noch bessere Schauspielerinnen.
Unter Leitung des Dirigenten José Miguel Pérez-Sierra präsentieren sich das Orchester und der auch darstellerisch überzeugende Männerchor der Szymanowski-Philharmonie Krakau in bester Verfassung. Virtuos und witzig werden die Instrumentalisten in den Rezitativen assistiert von Gianluca Ascheri am Tafelklavier. In den Tutti-Passagen avanciert das Kurtheater förmlich zur großen Rossini-Arena. Bei der Temporale, der Gewittermusik, die zur Enträtselung des Geheimnisses um Ramiro und Dandini überleitet, wird die linke Tür zum Saal geöffnet. Für die Windmaschine wäre angesichts der begrenzten Raumkapazität kein Platz gewesen.
Mit minutenlangem frenetischem Jubel quittiert das Publikum knapp drei Stunden Rossini-Glück an der Enz. Fünf Mal öffnet sich das Portal des Kurtheaters zur Cenerentola `25, der Kernköstlichkeit des Festivals. Auch gelegentlich beschaffte zusätzliche Stühle reichen nicht, um alle Rossini-Affcionados unterzubringen. Belcanto-Herz, was willst du mehr.
Dr. Ralf Siepmann
Copyright Foto: Patrick Pfeiffer
30. Juli 2025 | Drucken
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