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Das Rheingold Richard Wagner Besuch am 26. Oktober 2025 Premiere
Oper Köln Staatenhaus Deutz
Parabel des Ursprünglichen in der Traum- und Fantasiemaschine des Theaters
Jede Ring-Neuinszenierung an jedem Theater, verlangt der österreichische Dirigent und Musikwissenschaftler Peter Berne in „Apokalypse“, seiner profunden Analyse der Tetralogie, müsse sich daran messen lassen, ob sie Erhellendes leistet. Ob sie konstruktive Alternativen zur gesellschaftlichen Apokalypse der militärischen, ökonomischen und ökologischen Menschheitsdämmerung aufzeigt. Oder wenigstens argumentativen Stoff zur öffentlichen Legitimation der Institution Oper. Berne, in den 90er Jahren Studienleiter an der Wiener Staatsoper, entzieht allen Versuchen, sich dem Welt-Epos beliebig zu nähern, jegliche Begründbarkeit.
Als hätte er Bernes Mahnung ernstgenommen, inszeniert Paul-Georg Dittrich an der Oper Köln den Vorabend von Richard Wagners Ring des Nibelungen mit einem Ansatz, der reichlich Begründbarkeit aufweist. Allerdings auch die spontane Frage, ob sein Konzept den kompletten Zyklus zu tragen vermag, der sich zudem im Übergang vom jahrelangen Ausweichquartier zum angestammten Opernhaus am Offenbach-Platz bewähren muss. Sein Rheingold basiert auf der Lust am Phantastischen, die sich mit der Beschwörung der wahren Natur der Menschheit paart, den Kindern und ihren besonderen Fähigkeiten.
Dittrich versteht den Ring als „politische Parabel“, in der Wagner die Geschichte einer durch Politik ruinierten Welt erzählt. Der Tendenz, den Ring in private Figurenkonstellationen und gegenwärtige soziale Muster zu übersetzen, notiert der Regisseur in einem Text im Programmbuch zur Produktion, setze er die Kraft des Theaters als „Traum- und Fantasiemaschine“ und Spiegel der Gesellschaft entgegen. Anleihen übernimmt Dittrich bei der „üppigen Märchenwelt“ Wagners. Auf der Agenda steht eine gesellschaftspolitische Parabel im Gewand eines Erwachsenen-Märchens.
Im Gold nicht Metall, sondern den Menschen in seinen unberührten Anfängen, den Kindern, zu sehen, ist eine wahrlich unkonventionelle Metapher, die Assoziationen von Unschuld und Reinheit weckt. Sie knüpft indirekt an Harry Kupfers Bayreuther Ring der 1990er Jahre an, bei dem zwei Kinder im Finale der Götterdämmerung das Vermächtnis des Rings gleichsam an die nächste Generation weiterreichen.
Zum berühmten Es-Dur-Vorspiel, das in 146 Takten eine Welt in Harmonie mit sich schildert, sind nicht nur Video-Anmutungen menschlicher Gesichter in allen Formen und Farben zu sehen. Eine Gruppe von Kindern tollt über den Bühnenboden, spielt mit roten Schnüren, die auch zum Seilspringen nützlich sein könnten. Diese Kinder avancieren in der Folge zu Begleiterscheinungen der Episoden, die Wagner erzählt. Die Rheintöchter und Alberich treten in Konzertkleidung auf. Die Kinder bilden ihre Weissagungen und ihren Dialog mit Alberich mit Lippenbewegungen nach, wie beim Playback. Sie malen in einem goldenen Wagen, in dem offenkundig der Schatz aus dem Rhein transportiert wird, Himmelswölkchen aus und kommentieren durch Bewegung und Mimik das Geschehen. Diese Meta-Inszenierungen, für die mit Paolo Fossa ein Bewegungscoach verpflichtet worden ist, wirken anfänglich putzig und doch fremd.
Die Brutalität macht freilich auch vor den Kindern nicht halt. Erst scheint es noch ein großer Spaß, zur Verwandlung Alberichs in einen riesigen Wurm dessen Alter Ego, den Drachen, nach Motiven der China-Oper zu basteln und mit ihm durch verwirrende Gerüste zu ziehen. Dabei erleben sie jedoch mehr und mehr die bedrohliche Stimmung von Nibelheim, wo sie wie die Sklaven Mimes und Alberichs in Räumen gefangen sind, die mit Computern bestückt sind. Einige von ihnen schlüpfen unter den weit ausgespannten Reifrock Erdas, um wohl dem zu entgehen, was da in der Welt der Götter, Zwerge und Riesen an Schrecklichem geschieht.
Während die erste Szene am Rhein mit Video-Kulissen und virtuellen Elementen eher irritiert, entsteht mit dem Aufziehen des Vorhangs zur Szene vor Walhall ein völlig anderes Bild. Mit der von Pia Dederichs undLena Schmid geschaffenen Bühne im Verein mit den äußerst phantasievollen Kostümen von Mona Ulrich, der nicht minder einfallsreichen Lichtregie von Andreas Grüter sowie der Videokunst von Robi Voigt entwickelt sich Dittrichs Vision einer von Wagner inspirierten Märchenwelt. Wotan zeigt sich im golden glitzernden Kostüm als Mann im Mond, stilecht auf der bekannten Sichel. Er hat dort – wir sind ja im Märchen – keine Mühe, von oben im Rhein nach dem Goldschatz zu angeln. Fricka startet ihre Tirade gegen den Gemahl aus einem Meer von Wolken.
l Als Wotan später seinen Sichelthron verlässt, nimmt Loge Wotans Platz für kurze Zeit ein. Überdeutlich wird hier, dass der Halbgott, den die Ausstattung aus einer Tür mit aufgebrachter Flamme auftreten lässt, längst die Regie über das Treiben des Göttervaters auf der Jagd nach dem Ring übernommen hat.
Ist der Ring in der ersten Szene noch als illuminierter Kreis präsent, mutiert er in den Folgeszenen zur Ellipse des Auges. Es könnte den Preis symbolisieren, den Wotan für das Erringen Frickas gezahlt hat. Fortan umrahmt sie den Fortgang des Geschehens in wechselnden Spielarten. In dieser Ellipse rücken die Riesen mit Freya, die als Ballettprinzessin kostümiert ist, auf einem Bagger an. Fricka thront einmal auf dem wuchtigen Gerät, um später auch noch die Baggerschaufel auszuprobieren. Selbstredend ist die Schaufel auch das Gefährt, in dem Freya wegtransportiert wird, nachdem der Deal der Riesen mit Wotan nicht zustande gekommen ist.
Graduell entfernt sich die Inszenierung von den anfänglichen bunten Märchenwelten. Der Ernst des Lebens in Gestalt von Gewalt, Raub, Mord zieht nun die Fäden. Mit einem solchen, wohl als moderner Teaser zu verstehen, traktiert Loge den gefangenen Alberich, um seinen Widerstand zu brechen. Fast schon beklemmend wirkt die Szene der Auslösung Freyas. Bevor mit Lichtsäulen gemessen wird, ob das Gold reicht, um die Lieblingstochter Wotans zu befreien, entern einige Kinder einen übergroßen Ring, der wie ein Rhönrad ausschaut. Für Minuten halten die Kinder wie paralysiert in dem Räderwerk aus, wofür sie wie für ihr Spiel generell nach dem Finale das Publikum mit besonderem Beifall überschüttet werden.
Von den vier Teilen der Tetralogie sind einzig beim Rheingold Text und Vertonung innerhalb eines Jahres entstanden, 1853. Zwischen der Arbeit am Libretto und der Partitur liegen bei der Götterdämmerung im Übrigen mehr als 26 Jahre. Daraus darf geschlossen werden, dass Wagners Abkehr von der tradierten Form der Oper und die Begründung der Einheit von Wort und Ton im Rheingold seinen ersten geschlossenen Ausdruck gewinnt. Dittrichs Konzept scheint dieser Einheit nicht hinreichend verpflichtet. Exemplarisch hierfür sein Umgang mit den stimmungsvollen sinfonischen Zwischenspielen, die dem Primat der Schauwerte mit spielenden Kindern oder kühnen Kulissen unterworfen werden. Sinnfällig hierfür auch zahlreiche Brüche zwischen Bühne und Musik.
Wenn es ein bombastisches Element im Einstieg in den neuen Ring am Rhein gibt, dann das akustische Großkino, das das Gürzenich-Orchester Köln ebenerdig über die volle Breite des Saales in der exponierten Position vor der Bühne bietet. Von den vier der von Wagner geforderten sechs Harfen am linken Rand bis hin zum Schlagwerk mit Pauken. Becken und großer Trommel am rechten. Mit Rekurs auf den verdeckten Orchestergraben im Bayreuther Festspielhaus und die von Wagner hierzu entwickelte Theorie ließe sich von einer orchestralen Werkstatt am Rhein sprechen.
Marc Albrecht, der Chef dieser Werkstatt, schafft es, den strömenden Fluss und die phasenweise glühende Tonsprache der Partitur im Zaum zu halten und bis zum strahlenden Walhallmotiv des Finales über die Runden zu bringen. Das Vorspiel in Es-Dur mit der unheimlich wachsenden Intensität lässt sich gewiss organischer musizieren, was aber zu einem Teil der speziellen Staatenhaus-Akustik zuzuschreiben ist. Gut zu verfolgen sind die plastisch herausgearbeiteten Leitmotive, die Thomas Mann als „Beziehungszauber“ gerühmt hat. Wie sehr Albrecht mit dem Orchester an Details gearbeitet haben dürfte, lässt sich exemplarisch an der Wagnertuba festmachen, die je nach gewünschtem Szeneneffekt von rechts außen nach links und wieder zurückwandert. Dass es zwischen Bühne und Orchester mehrfach hapert, ist Albrecht wohl nur bedingt zuzuschreiben.
Ist der Göttervater im Rheingold wie der Walküre die Schlüsselfigur, kommt der Besetzung des Wotan eine besondere Bedeutung zu. Jordan Shanahan ist bei seinem Rollendebüt der Phänotyp dieser um ihre Macht ringende Autorität, bereits deutlich geprägt von Verzicht und Leid. Sein in der Mittellage angenehmer Bariton bevorzugt eine teils juvenile Leichtigkeit. Ob er über die kernige Kraft verfügt, die er im Zuge des Geschehens mehr und mehr brauchen wird, um seine nur noch auf Verträge gestützte Herrschaft zu stabilisieren, wird sich erweisen müssen.
Bettina Ranchist Fricka, die frustrierte wie aufbegehrende Gemahlin, die der Neigung Wotans zu Verdrängung robuste stimmliche Substanz entgegensetzt. Ihre Ermahnung Erwache, Mann, und erwäge! klingt wie eine Kampfansage. Als Wotans Gegenspieler ist der Alberich von Daniel Schmutzhard eine packende Erscheinung. Aus der gewissen Reserve zu Beginn im Gemenge mit den Rheintöchtern bricht mit der Verfluchung der Liebe erstmals die brachiale Kraft seines Baritons auf, die sich danach noch steigert. So in Nibelheim beim Kujonieren Mimes und des gefesselten Nachtalben in den Fängen der Götter, die ihm mit List und Heimtücke Tarnhelm, Gold und Ring abjagen.
Martin Kochbeindruckt als Mime durch vokale Prägnanz und vorzügliche Textverständlichkeit. Mauro Peter gibt mit seinem sowohl schwelgerischen wie schneidenden Tenor Loge, den spin doctor Wotans, dem die zynische Raffinesse wie das strategische Gefühl für die angebrachte Distanz zu den Mächtigen zu eigen ist. Die Schlusspassage Ihrem Ende eilen sie zu, in der Loge den Göttern den Untergang prophezeit und in der er sich das Ausscheiden aus dem Zirkel derer „dort oben“ vorbehält, gestaltet er als eine kleine Bravoureinlage. Peters Lust am intellektuellen Umgang mit den Mächtigen und seine kalte Erbarmungslosigkeit gegenüber Alberich sind die Extrempole einer Charakterstudie, die mit zum Besten dieser Aufführung zählt.
Tuomas Katajala ist in den weiteren Götterpartien als Froh ein Pluspunkt des Abends. Wie liebliche Luft wieder uns weht, seine belcantistische Beschwörung der Utopie einer ewigen Jugend und eines guten Ausgangs des Dramas, hat bezwingenden Charme. Miljenko Turk als Donner und Emily Hindrichs als Freia sind weitere passable Besetzungen. Unter den Riesen gelingt dem Fafner von Lucas Singer im Vergleich mit dem Fasolt Christoph Seidls vokal die markantere Rollengestaltung. Adriana Bastidas-Gamboa ist mit ihrem blühenden Mezzo eindrucksvoll. Sie erreicht aber nicht die erfüllende Alt-Tiefe des mahnenden Ur-Weibs, das es versteht, Wotan zum Einlenken zu bringen. Die Rheintöchter, Giulia Montanari als Woglinde, Regina Richter als Wellgunde,Johanna Thomsen als Floßhilde, erzielen ihre schönsten vokalen Effekte ausgerechnet im Finale, als die Götter gen Walhall schreiten, aus dem Off.
Wenn Dittrichs Inszenierung eine ideologisch unverstellte Besinnung auf Wagners schonungslose Analyse der Zerstörung von Natur und Phantasie erreicht, die in den aktuellen Krisen und Katastrophen sowie der Einengung kindlicher Lebenswelten angelegt sind, ist seine Sicht auf das Welt-Epos nicht in den schlechtesten Händen. Da sein Ansatz schon beim Vorabend des Zyklus nicht frei von Ungereimtheiten ist, liegt die Frage nahe, ob er über die ganze Ring-Strecke hält. Heftige Buhrufe beim Erscheinen des Regieteams nähren diese Zweifel.
Hingegen dürfte der brausende Beifall im voll besetzten Saal für alle Akteure im Orchester und auf der Bühne anzeigen, wie sehr ein neu zu schmiedender Kölner Ring zwei Jahrzehnte nach Robert Carsens Inszenierung musikalisch willkommen sein wird. Weißt du wie das wird? Erda hat die Frage der Nornen und des gesamten Zyklus schon gestellt. Eine nächste Antwort ist am 29. März 2026 zu erwarten. Dann gibt es die Walküre-Premiere.
Dr. Ralf Siepmann
Copyright Foto: Matthias Jung
30. Oktober 2025 | Drucken

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