Nukleus einer jährlichen Baroque-Sommeroper im Globe Neuss überzeugt

Xl_img_3978 © Johannes Ritter

Nukleus einer jährlichen Baroque-Sommeroper im Globe Neuss überzeugt

Alessandro Scarlatti Il giardino d’amore Besuch am 24. August 2022 (Premiere 28. August 2020 Philharmonie Köln)

Kulturamt Neuss / Festival Alte Musik Knechtsteden Globe Neuss

Beim kulturell aufgeschlossenen Publikum ist Neuss, westlich von Rhein und Düsseldorf gelegen, insbesondere wegen des seit gut 30 Jahren bestehenden Shakespeare-Festivals bekannt. Schauplatz dieser Festspiele, bei denen Stücke des englischen Dramatikers von Ensembles aus Deutschland und dem Ausland zum Teil in der Originalsprache aufgeführt werden, ist das Globe Neuss. Zu erkennen ist die zwölfeckige Holz-Stahl-Konstruktion direkt hinter der Haupttribüne der Neusser Galopprennbahn an den typischen schwarz-weißen Blendläden auf den Fenstern im ersten und zweiten Geschoss. Der Nachbau des elisabethanischen Globe Theatre in London bietet bei einer Platzkapazität von bis zu 500 Besuchern spektakuläre Voraussetzungen, in kommenden Jahren auch eine Adresse für Liebhaber der Alten Musik, speziell der informierten Aufführungspraxis zu werden.

Die Aufführung von Alessandro Scarlattis Serenata Il giardino d’amore jedenfalls in dem fast ausverkauften, nicht belüftbaren Rundbau war bei drückenden Innenraumtemperaturen von weit über 30 Grad ein beeindruckender Start in ein Projekt, das unter dem Markennamen Globe Baroque – Sommeroper im Globe Neuss zu einem weiteren Aushängeschild der 150.000-Einwohner-Stadt werden könnte. Es traf sich halt günstig. Auf der einen Seite fiel der Blick der Macher des Festivals Alte Musik Knechtsteden bei Sondierungen weiterer oder alternativer Aufführungsstätten auf das Objekt an der Rennbahn. Auf der anderen Seite zeigte sich das Kulturamt der Stadt gegenüber den Vorstellungen der Suchenden aus der südlich gelegenen Nachbargemeinde Dormagen äußerst aufgeschlossen. Die Gespräche endeten in einer neuen linksrheinischen Kulturallianz. Das Kulturamt Neuss firmiert als Veranstalter, das Knechtstedener Festival als Kooperationspartner.

Die Debütaufführung, die Realisierung der Barockoper en miniature, mit der italienischen Sopranistin Roberta Mameli, dem spanischen (katalanischen) Countertenor Xavier Sabata und dem von der Blockflötistin Dorothee Oberlinger gegründeten und geleiteten Ensemble 1700, ging in der räumlich angepassten Inszenierung von Nils Niemann mit einem relativ begrenzten Risiko über die knochentrockenen Bretter der Bühne. Ende August 2020 erlebte die Kölner Philharmonie eine konzertante Aufführung des Stücks.

Der Sizilianer Alessandro Scarlatti (1650 - 1725) – Vater des Cembalo-Titanen Domenico Scarlatti – komponiert seine Serenata für Sopran und Alt, Streicher, Trompete, Basso continuo und Sopranino-Blockflöte. Ihr Entstehungsdatum wird von den Veranstaltern nicht genannt, ist vermutlich nicht bekannt. Man darf es bei aller Vorsicht Scarlattis Glanzzeit in Neapel nach seiner Berufung zum Ersten Kapellmeister 1708 zuordnen, in der er sich zur herausragenden Figur des italienischen Hochbarock aufschwingt. Und später bedeutende Schüler um sich schart, so Johann Adolf Hasse.

Unter einer Serenata sind kleine dramatische Episoden zu verstehen, die bedeutende Komponisten anlässlich höfischer Festivitäten lieferten, quasi nebenher. Bei Scarlatti Nebenprodukte seiner über 100 Opern und rund 800 Kantaten. Um die aristokratischen Auftraggeber keineswegs zu provozieren, greifen die Komponisten gern auf mythische Figuren und Landschaften wie das antike Arkadien zurück. So auch Scarlatti und ein bis heute nicht bekannter Librettist. Erzählt wird in knapp einer Stunde die Suche der Liebenden Venus und Adonis und ihr Sich-Finden zum glücklichen Finale. Die dritte Instanz dieser favola ist wie immer in diesem Genre die Natur. Sind die Liebenden ihrer Vereinigung nahe, werden Wiesen und Wälder, Bäche und Lüfte, Zicklein und Vögel als Zeugen der Suche bemüht. Droht den beiden, sich zu verfehlen, versinkt die beschworene Natur in Stille und Passivität.

Regisseur Niemann fokussiert seine auf die engen räumlichen Verhältnisse ausgerichtete Inszenierung unter Anleihen am period acting, der barocken Gestik des 18. Jahrhunderts, vor allem auf die Personenregie. Mameli als Adonis (Adone) und Sabata als Venus (Venere) - die Hauptdarsteller sind im Stil der Zeit Scarlattis in einem Rollentausch verbunden – stilisieren die Charaktere ihrer Figuren in artifiziellen Gebärden, die leicht als historischer Manierismus missverstanden werden können. Doch will Niemann sein Publikum in eine Situation versetzen, als sei es gerade zur Gartenparty des Fürsten eingeladen worden. Unterstützt wird diese Intention durch die von Johannes Ritter erdachten Kostüme und Maskeraden, die die Illusion eines arkadischen Liebesspiels befördern. Der Videokünstler Torge Møller steuert harmlos-liebliche Projektionen von Naturidyllen auf eine von Fresken umrahmte Fläche bei, vor der sich das barocke Schäferspiel erfüllt.

Das Ensemble 1700 unter Oberlingers musikalischer Leitung teilt sich die Bühne analog der Concerto-grosso-Aufstellung in zwei Gruppen. Links die Streicher, rechts Cembalo, Basso continuo, Violoncello, Laute und Fagott. Unabhängig von ihrer kollektiven Barock-Kompetenz verfügt die 2002 in Köln gegründete Formation über die Einzelkönner, die es braucht, um das verschwenderische instrumentale Spiel Scarlattis mit der Natur zum Erlebnis zu machen. So Jonas Zschenderlein, Konzertmeister und Soloviolinist, der zwischen dem Rezitativ und der Arie Andiamo, o caro bene Veneres brilliert. So der Trompeter Jörg Altmannshofer und der Percussionist Peter Bauer, die von höherer Warte, vom ersten Rang aus, ihr Handwerk vorzüglich präsentieren. Und last not least Oberlinger mit ihrer staunenswerten Virtuosität.

In der dem eigentlichen Spiel im Liebesgarten vorgeschalteten Sinfonia, in drei Teile gegliedert, hat Oberlinger im Mittelteil mit der solistisch eingesetzten Blockflöte im Grunde schon ihr Bravourstück geliefert. Bis in den Schluss hinein behauptet sie im Concerto mit den Violinen ihren dominanten Part souverän. Gern verzeiht man schlussendlich der Blockflöte, dass sie etwa im Vergleich zur Piccolo- oder Bachtrompete nur einen eingeschränkten Raum der Affekte erschaffen kann. In Mameli und Sabata vermag die Produktion zwei Akteure aufzubieten, die die Anforderungen der Serenata in Gesang und Spiel vorzüglich erfüllen. Der Sopran der Mameli versteht es mühelos, der verhaltenen Sehnsucht wie dem unbändigen Zorn Adones Ausdruck zu verleihen. Ihr Pendant Sabata besticht vor allem in den von Leid und Schmerz geprägten Sequenzen mit seinen fast schon seidigen Counter-Qualitäten. Auf sein Ottone-Debüt in Claudio Monteverdis L’incoronazione di Poppea in der kommenden Spielzeit an der Wiener Staatsoper darf man schon jetzt gespannt sein. Prächtig harmoniert er mit Mameli in den drei Duetten, den eigentlichen Juwelen der Partitur, in denen vokale Virtuosität das Spiel mit den Rollen und Geschlechtern auch mal vergessen lässt.

Ob das Publikum bei stetig steigenden Temperaturen die Feinheiten von Musik und Performance in jeder Nuance aufnimmt und zu verarbeiten in der Lage ist, kann offenbleiben. Jedenfalls zeigt es im begeisterten finalen Schlussbeifall, dass es von dem zahlreich gewährten Zwischenapplaus noch lange nicht erschöpft ist. Der Nukleus einer barocken Innovation im Globe Neuss ist platziert. Am Publikum wird eine Fortsetzung gewiss nicht scheitern.

Dr. Ralf Siepmann

Copyright Johannes Ritter

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