Lukullische Hommage an eine Säule des Spätbarocks mit vokaler und instrumentaler Verführungskraft

Xl_haendel_gala_1740_63f21086bcb777.96303928 © Felix Grünschloß

Georg Friedrich Händel, Johann Adolph Hasse u. a. Metastasio Vincit Omnia Galakonzert Besuch am 18. Februar 2023 Einziges Konzert

Internationale Händel-Festspiele Karlsruhe Badisches Staatstheater

Lukullische Hommage an eine Säule des Spätbarocks mit vokaler und instrumentaler Verführungskraft

Nicolo Antonio Porpora undPetro Metastasio gelten als die Säulen des italienischen Spätbarocks. Der eine als Komponist und Gesangslehrer, so der berühmten Kastraten Farinelli undCaffarelli. Der andere als Librettist, der Textbücher für die bedeutendsten Komponisten seiner Zeit verfasst. Für die Phalanx von Baldassare Galuppi überGeorg Friedrich Händel bis hin zuAntonio Vivaldi undWolfgang Amadeus Mozart, sozusagen das Tafelsilber seiner Epoche. Darunter auch Porpora, von dem der junge Metastasio Musikunterricht erhält. Ihn, den Meister der Schilderung von Stimmungen und Gefühlen in das Zentrum eines Galakonzerts einen Tag nach Eröffnung der 45. Internationalen Händel-Festspiele Karlsruhe zu rücken, ist daher mehr als eine Geste des Respekts. Eher eine Hommage an einen Künstler, ohne den es die Strahlkraft der Barock-Opern nicht gäbe. Jener Welt der musikalischen Galanterien, die in den letzten Jahrzehnten neu erweckt worden ist.

Als Motto des Programms hat sich die Dramaturgie der Festspiele die Formel Metastasio Vincit Omnia einfallen lassen. Sie nimmt den Wahlspruch von Minnesängern im Mittelalter auf und unterstreicht so die elementare Haltung des Librettisten, seine Texte in den Dienst des Gesangs zu stellen. Für Metastasio, ist überliefert, galt Zeit seines Lebens und seiner Profession der absolute Vorrang für die menschliche Stimme.

Den Beweis für die Gültigkeit dieses Credos liefert das Konzert im gut besuchten Großen Saal des Badischen Staatstheaters auf spektakuläre Weise. Der in Bologna und Ferrara ausgebildete Countertenor Carlo Vistoli und die aus Rom stammende Sopranistin Roberta Mameli verzaubern das Publikum mit einem zweistündigen Programm, das sich als ein lukullisches Hors d'œuvre zum „Hauptgericht“ der Händel-Festspiele des kommenden Jahres verstehen lässt. Siroe, re di Persia, Händels 1728 in der letzten Saison der Londoner Academy of Music uraufgeführte Seria, und Johann Adolph Hasses fünf Jahre später in Dresden auf die Bühne gebrachte gleichnamige Oper, die beide auf Metastasios Libretto beruhen, werden in dem Konzert in ausgewählten Arien einander gegenübergestellt. Händels Komposition soll dann auch die 46. Ausgabe der Karlsruher Festspiele im nächsten Jahr eröffnen.

Annähernd 35 Vertonungen von Metastasios Drama über den Perserkönig Cosroe, der den Thron nicht an seinen erstgeborenen Sohn Siroe übergeben will, sondern an dessen jüngeren Bruder Medarse, sind nachgewiesen. Ein Teil von ihnen ist allerdings verschwunden. Zu den erhaltenen Vertonungen zählen die von Giuseppe Maria Orlandini und Leonardo Vinci, aus denen jeweils eine Sopran-Arie präsentiert wird. Torrente cresciuto per torbida piena, den Auszug aus Orlandinis Bearbeitung, steigert Mameli nach dem furiosen Einsatz der Bläser, insbesondere der beiden Hörner, zu einer von Intervallsprüngen gespickten Gesangslinie par excellence. Vincis Gelido in ogni vena gestaltet sie mit Perfektion in allen Stimmlagen, gekrönt von der Fähigkeit, Töne effektvoll herauszustoßen, um sie zwei, drei Sekunden später wieder einzufangen und zurückzuhalten.

Was die beiden Barock-Virtuosen in Arien für Sopran respektive Alt aus Händels und Hasses Siroe-Version auf dem von Attilio Cremonesi am Pult der Badischen Staatskapelle ausgebreiteten Klangteppich zelebrieren, demonstriert die sehr eigene Qualität dieser Vertonungen. Dann auch die recht unterschiedliche musikalische Herangehensweise beider Komponisten. Händel favorisiert für das Londoner Publikum einen moderaten Stil mit einem schmal gehaltenen Orchesterapparat, der den Gefühlslandschaften der Protagonisten den musikalischen Primat überlässt. Hasse türmt zur Beschreibung der Tugenden und Bösartigkeiten des Personals am persischen Hof ein Gebirge an ekstatischen Höhenzügen auf. Er verlangt seinen Sängerdarstellern ein Maximum an Virtuosität ab, zieht über Metastasios Epos eine Notenbrücke mit einem Furioso an Koloraturen und Melismen.

Die Differenz wird speziell mit der Interpretation der Medarse-Arie Fra l’orrore della tempesta spürbar, die wortgleich in beiden Vertonungen vorkommt. Hasses Version für Sopran steigert Mameli zu einem Feuerwerk an disruptiven Sprüngen und Wechseln der Tempi. Vistolis Interpretation von Händels Version für die Alt-Stimme bleibt in der technischen Bravour keineswegs zurück, fokussiert aber stärker auf die emotionale Betroffenheit Medarses, der um Thron und Zuneigung des Bruders bangt.

Metastasios Credo vom absoluten Vorrang der menschlichen Stimme ist im Karlsruher Konzert spätestens jetzt zu einem Stellvertreter-Wettstreit unter den Komponisten gediehen. Der ist zwar nicht angesagt, entwickelt sich aber aus der Differenz der Musiksprachen fast automatisch. Dieser Eindruck erwächst auch aus der physischen Performance an den Sängerpulten. Vistoli agiert diszipliniert, beherrscht und bleibt zurückhaltend in der Körpersprache. Mameli bringt ihre komplette Physis ein und ruft Assoziationen zu diversen Legenden um die Entstehung Roms hervor.

Zwei erfreulicherweise ins Programm integrierte Duette für Sopran und Alt lösen die Divergenz des Erscheinungsbildes ein Stück wieder auf. Se mai turbo il tuo riposo aus Händels Oper Poro, Re dell’Indie – eine Episode aus dem Indienfeldzug von Alexander dem Großen, die ebenfalls auf einem Libretto Metastasios beruht – verlangt noch einmal Feuer und Virtuosität. Ah, che vuol dire quel pianto aus Hasses Spätwerk Romolo ed Ersilia lässt in ihrer klassischen Form die Nähe zu Mozart hörbar werden. Ähnlich wie die vorausgegangene Sinfonia aus der Oper mit einem famosen Solo-Klarinettisten im Fokus der Aufführung. Hasse erlebt Mozart in Wien, seiner letzten Lebensstation, auch persönlich.

Obwohl die Stimmen von Mameli und Vistoli relativ dicht beieinander liegen, ergeben sich doch genügend Kontraste, um den Charme beider Duette sinnlich werden zu lassen. Man möchte die stiefmütterliche Behandlung von Ensemblenummern in vielen Barockopern, insbesondere bei Händel, bedauern, auch wenn dies natürlich vergebens ist.

Wie an dem an Intensität zunehmenden Szenenapplaus erkennbar wird, goutiert das Publikum die Leistung der Sopranistin und des Countertenors wie der Instrumentalisten und ihres Dirigenten mit Vehemenz und auch Dankbarkeit. Am Ende steigert sich der Beifall auf ein Rekordniveau. Vielleicht ist ja auch ein Funke der Vorfreude mit im Spiel, beide Sänger alsbald wieder auf der Karlsruher Bühne zu erleben. Womöglich schon im kommenden Jahr.

Dr. Ralf Siepmann 

Copyright: Felix Grünschloß

 

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