© C Foto: Jochen Quast
Giulio Cesare in Egitto Georg Friedrich Händel Besuch am 30. November 2025 Premiere
Deutsche Oper am Rhein Theater Duisburg
Irrwitziger Geschlechtertausch und Liebesspiele in der Badewanne
Auf der weitgehend dunklen Bühne steht ein junger Mann, eher Jüngling nach seinem Erscheinungsbild. Bekleidet ist er lediglich mit einem Oberhemd und Pumps, die er sich alsbald von den nackten Füßen streifen wird. Die Figur, die der Sopranist Dennis Orellana verkörpert, ist Cleopatra, Königin von Ägypten, die mit ihrem royalen Bruder Tolomeo darum konkurriert, alleinige Regentin zu sein. Orellana alias Cleopatra schildert in der Solo-Arie Piangerò, la sorte mia ihre tiefe Verzweiflung über ihr Schicksal, in der Isolation des Gefängnisses, in das sie Tolomeo geworfen hat.
Mit der letzten Phrase, sanft umspült von der Theorbe, weicht der Sänger einige Schritte zurück, wobei die Umrisse einer Badewanne im Rokoko-Stil sichtbar werden. Sie wird etliche Arien und Rezitative später, Schauplatz des Liebesspiels von Caesar und Cleopatra sein. Grotesk? Nicht unbedingt, nicht in der Regiearbeit von Michaela Dicu. In der fünften Neuproduktion der aktuellen Spielzeit der Deutschen Oper am Rhein wird Giulio Cesare in Egitto, Georg Friedrich Händels populärste Oper, im Theater Duisburg gegen jegliche Tradition der Aufführungspraxis gewendet.
Radikal gegen Geist und Seele des dreiaktigen Dramma per musica. Passgenau im Gender-getriebenen Mainstream des sich modern gebenden Regietheaters, verloren im Dickicht eines ideologischen Ansatzes, der vieles will – Respekt! –, aber wenig erreicht, wenn es schon darum gehen soll, Macht und Herrschaft in neuen Erkenntnisformen zu erfassen.
Das Stück des Librettisten Nicola Francesco Heym über die Liebesbeziehung des römischen Imperators und der ägyptischen Königin ist eine heroische Oper, die das Londoner Publikum der Uraufführung 1724, der fast 40 Vorstellungen in den Jahren danach allein unter Händels Leitung in seinen Bann zieht. Auch nach der Wiederentdeckung 200 Jahre später bei den Göttinger Händel-Festspielen bis heute. Cleopatras Ruf als Schlange der Verführung und die Glorifizierung Caesars als Inbegriff des vollendeten Regenten, teils historische Wahrheit, teils willkommene Legende, erleichtert es dem Publikum, einer Handlung zu folgen, die ein komplexes Netz an historischen Figuren und verwickelten Beziehungen auf die Bühne bringt. Von diesen Mythen, die Dicu als „wahnsinnig klischeebehaftet“ empfindet, verabschiedet sich die Regisseurin, Leiterin der jungen Oper am Rhein, komplett. Ohne sich freilich bewusst zu sein damit einem neuen heutigen Klischee zu erliegen, dem des Gender-Wahns.
Mit diesem Giulio Cesare gelangt ein Experiment auf die Bühne. Zentraler Gedanke ist ein Geschlechtertausch mit dem Ziel eines Perspektivwechsels, den Dicu im Programmheft detailliert beschreibt: „Aus Giulio wird auf der visuellen Ebene Giulia, aus Cleopatra ein Cleopatro.“ Bei der Uraufführung verkörpert der Kastrat Senesino Caesar, in der Neuzeit ist es zumeist ein Mezzosopran, etwa Jennifer Larmore in der bekannten Einspielung unter René Jacobs. Die Variation in den Gesangsstimmen reicht Dicu für ihr Experiment nicht. Sie will den konsequenten Ausstieg aus der Hosenrolle des Imperators. Will herausfinden und zeigen, was geschieht, wenn Caesar eine Herrscherin der Welt wäre, mit weiblichen Attributen und einem feministischen Verständnis von Macht. Das Resultat in der Besetzungsliste: eine Mezzosopranistin als Cesare, ein Sopranist als ägyptische Königin.
Um die ahistorische, themenzentrierte Sichtweise schon in der Ausstattung erkennbar zu machen, ist in die aus flexiblen Gerüsten und Podien gebaute Bühne von Rifail Ajdarpasic das Wort Power buchstabengetreu eingezogen, wie eine Inschrift eingraviert in einen Gedenkstein. Geht es Dicu, auch wenn ein belehrendes Momentum nicht ganz zu leugnen ist, doch immer um Macht. Um Macht zwischen Herrschern und Volk, Frauen und Männern. Die Kostüme von Ariane Isabell Unfried variieren mehr oder weniger direkt die Idee des Geschlechtertauschs, insbesondere bildhaft in dem Augenblick, in dem der weibliche Cesare mit dem Krönungsmantel des Königs nach seiner Errettung aus dem Fluss die Szene betritt.
Wie nun freilich der Kern des Konzepts, die laut Regieintention weibliche Machtausübung wirkt, als innovative Qualität einer neuen, auch heutigen Weltordnung, ist insgesamt nicht auszumachen. Dass ein femininer Imperator eine maskuline Herrscherin zum alleinigen König ausruft, mag ein Reflex in die gewünschte Richtung sein, kann das Fehlen dieser Komponente indes nicht wirklich wettmachen.
Die Protagonisten im Wechselspiel mit Ausstattung und Kostümen kreieren etliche Bilder, die beeindrucken. Der Leichnam des getöteten Pompeo, dessen abgeschlagener Kopf zuvor in einem bluttriefenden Beutel von Hand zu Hand geht, ehe er von Curio, dem indignierten römischen Tribun, aus dem Saal getragen wird, ist auf einer lang gezogenen Tafel aufgebahrt. Hier streut der überzeugend agierende Chor, einstudiert von Patrick Francis Chestnut, unter dem Gesang von Klageliedern weiße Blumengebinde als Ausdruck der Trauer. Hier agiert seine Witwe Cornelia ihre Verzweiflung über die Tat aus, schwört sie Rache an seinem Mörder Tolomeo, wozu sie ihren Sohn Sesto zur Unterstützung ruft. Dieser erklimmt in einer anderen Szene die halbe Höhe eines mit Pflanzen ausgeschlagenen Gerüsts, was vermutlich – jetzt einmal historisch – an den Garten des Harems erinnern soll. Die durchaus anstrengende Klettertour unterstreicht den Persönlichkeitswandel des Sesto vom unsicheren Jüngling ohne Vater zum Mann und Beschützer seiner Mutter.
Ungeachtet allen Geschlechtergrimms nimmt Dicu den unterhaltsamen Touch von Händels Historiendrama ernst, der einst das Publikum anzieht und die Tageskasse sichert. Freilich völlig anders als der Meister der italienischen Oper im damaligen London. Wir lernen Tolomeo und Achillo, seinen Heerführer und Ratgeber, bei einem Tennismatch kennen, bei dem Nirena, im Original Nireno, Vertrauter Cleopatras und Tolomeos, die Balljungen im Blick hat. Der vom Publikum laut belachte Gag kulminert in der sattsam bekannten Aneinanderreihung von Elementen der Gegenwartskultur, vom Zigarettenrauchen während des Rezitativs über die Applausstafetten wie beim TV-Wettbewerb Das Supertalent bis hin zum Rollkoffer beim Aufbruch Caesars zur Heimreise. Neu scheint der Gebrauch des Smartphones als Begleiter und Transporteur einer Arie.
Zu den zählbaren Pluspunkten der Aufführung gehören die Duisburger Philharmoniker mit Attilio Cremonesi am Pult sowie das Sängerensemble bei wenigen Abstrichen. Händels geniale Partitur mit ihrem Füllhorn an musikalischen Charakterisierungen, an virtuosen Sequenzen mit solistisch eingesetzten Instrumenten – hervorstechend das obligate Horn in der Cesare-Arie Va tacito e nascosto im ersten Akt – kann kaum einen besseren Verwalter als den Barock-Spezialisten haben.
Mit Orellana, der glockenrein und gefühlvoll singt, sowie den Countertenören Tobias Hechler als Tolomeo und Maximiliano Danta als Sesto, alle drei erstmals an der Deutschen Oper am Rhein zu Gast, akzentuiert die Besetzung vokal eine traditionsabweisende, auch weniger maskuline Sicht auf Roms ersten Kaiser. Während Hechler verstärkt die brutalen Züge seiner Rolle forciert, imponiert Danta mit der tiefen Musikalität, mit der er seinen Sesto anlegt. Großartig seine Entwicklung von Cara speme, questo core tu cominci a lusingar voller Hoffnung, allein mit Basso continuo hin zu Rachegefühlen in La giustizia. Einfühlsam auch sein Part im Duett Son nata a lagrimar mit Cornelia.
In dieser Rolle als Mutter und Witwe vollbringt Katarzyna Kuncio vor allem spielerisch eine bewundernswerte Leistung. Etwa im Gram am Leichnam Pompeos. Etwa in der Szene im Harem, als sie für die Lust Tolomeos von dessen Sklaven vorbereitet wird. Ihr Mezzosopran ist von jahrelanger Bühnenerfahrung geprägt, klingt gelegentlich angestrengt. Doch furios in Priva son d’ogni conforto, der Reaktion auf die Nachricht von der Tötung Pompeos. Zu bedauern ist sie ein Stück weit in der Szene, in der sie am Boden kniend ihr Leid beklagt und dabei vom Licht (Michael Kantrowitsch) krass ausgeleuchtet wird, was sie aber tapfer erträgt.
Cornelia ist mit ihren Rachegedanken fast ein Gegentyp zu Cesare. In dieser, der Titelpartie, hinterlässt Anna Harvey, Mitglied des Ensembles der Rheinoper, bei ihrem Rollendebüt gemischte Empfindungen. Ihr etwas spröder Mezzo meistert mühelos die heroischen Anforderungen der Figur, nicht zuletzt in der Arie Va tacito, die Händel so prächtig ausschmückt. Hingegen lässt sie die wärmeren Farben des leidenden und sich sehnenden Menschen Cäsar vermissen. Dass Dall’ondoso periglio / Aure, deh, per pietà, die von Accompagnato-Rezitativen unterbrochene Arie mit der flehentlichen Anrufung der Götter zu einem Höhepunkt der Aufführung wird, ist wohl eher dem Komponisten zuzuschreiben.
In weiteren Rollen bestätigen der Bariton Roman Hoza als Achilla, der Bassbariton Torben Jürgens als Curio mit staatsmännischem Format und Annabel Kennedy als Nirena die Qualität der Besetzung. Die Vertraute Cleopatras gewinnt in ihrem Bemühen Sympathien, sich mit tastendem Mezzo rollengerecht in eine Zukunft zu bewegen, wohl mit Sesto.
Nach der Pause haben sich die Reihen im Parkett bereits deutlich gelichtet. Das verbliebene Publikum feiert Orchester, Chor und Sänger mit anhaltendem Beifall. Ungeachtet einiger Buh-Rufe erntet auch das Regieteam stürmischen Applaus. Die breite Akzeptanz der Produktion kann die von Akt zu Akt wachsende Skepsis der Regie gegenüber bei kritischer Distanz dennoch nicht wettmachen. Wie würde das Publikum – gesetzt den Fall – in der folgenden Situation eines Gedankenexperiments reagieren? In einer Ausstellung mit Rembrandt-Gemälden wäre auch der berühmte Mann mit dem goldenen Helm zu sehen, der lange Zeit dem Künstler aus Leiden zugeschrieben wurde. Das in der PR des Kurators versprochene Highlight wäre jedoch modifiziert völlig ohne Gold als „Der Mann mit dem Kupferhelm“ zu sehen, zu bewundern oder entrüstet infrage zu stellen. Wären Rufe wie „Betrug!“ zu erwarten? Oder würde man das Eintrittsgeld zurückfordern? Zumindest, soviel scheint sicher, gäbe es wohl keinen Applaus hierfür.
Dr. Ralf Siepmann
C Foto: Jochen Quast
02. Dezember 2025 | Drucken

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