Irrwege zur Macht: Festspiel-Eröffnung überzeugt mit Fantasy-Theater und vorzüglichen Sängerdarstellern

Xl_siroe_hp2_1123_65ccf6dcdc5bb0.61586943 © Copyright Foto: Felix Grünschloß

Siroe, Re di Persia Georg Friedrich Händel Besuch am 18. Februar 2024 Premiere

Badisches Staatstheater Karlsruhe 

Irrwege zur Macht: Festspiel-Eröffnung überzeugt mit Fantasy-Theater und vorzüglichen Sängerdarstellern

Erstaunlich, möchte man meinen. Selbst in ihrer 46. Ausgabe sind die Internationalen Händel-Festspiele Karlsruhe noch in der Lage, ein Bühnenwerk des deutsch-britischen Komponisten und Opernunternehmers als Karlsruher Erstaufführung zu präsentieren. Die Neuinszenierung des Hausherrn und Regisseurs Ulrich Peters von Siroe, Re di Persia zur Eröffnung der diesjährigen Festspiele variiert gekonnt das im Barock besonders populäre ewige Spiel um Macht, Betrug und Rache, um Liebe, Verrat und Eifersucht. Sie überzeugt auch in musikalischer Hinsicht.

Der Siroe-Stoff ist eines der gefragtesten Sujets für Librettisten und Komponisten des 18. Jahrhunderts. Über 30 Vertonungen sind bekannt. Pietro Metastasios Libretto dient Leonardo Vinci, Nicola Porpora, Johann Adolph Hasse und weiteren bedeutenden Komponisten als willkommene Vorlage, ehe Händel sich 1728 für eine Siroe-Produktion am Londoner King’s Theatre erstmals mit dem jungen Textkünstler verbindet und seinen Hauslibrettisten Nicola Francesco Haym mit Detailänderungen beauftragt. Das Dramma per musica wird mit einer Spitzenbesetzung ein Erfolg, überlebt infolge der Schließung des Theaters aber die Saison nicht und verschwindet für fast zwei Jahrhunderte aus allen Spielplänen.

Der Titel von Siroe Re di Persia ist eine gewollte Irritation. Händel und Metastasio geben ihn vor, obwohl Siroe zu Beginn nicht an der Macht ist und – ganz im Gegenteil – auf dem Weg dahin auch noch umkommen kann. Der erstgeborene Sohn des Königs Cosroe wird durch Intrigen seines Bruders Medarse beschuldigt, ein Mordkomplott gegen den Vater zu schmieden. Als sich seine Unschuld herausstellt, versucht ihn sein Bruder aus dem Weg zu schaffen, um selbst auf den Thron zu gelangen. Diesen Plan durchkreuzt Emira. Sie ist die einzige Tochter des Königs von Cambaia, den Cosroe auf dem Schlachtfeld besiegt hat, und liebt Siroe.

Unter dem Namen Idaspe hat sie sich als Mann verkleidet das Vertrauen Cosroes erworben, den sie ermorden will, um ihren Vater zu rächen. Siroe, der als Einziger Emiras wahre Identität kennt, rettet anonym den Vater, vergibt ihm sowie Medarse und folgt Cosroe als Regent nach. Im lieto fine der Oper avanciert Siroe zu einem frühen Verfechter der Aufklärung. Die übliche Erwartung des damaligen Londoner Publikums an einen versöhnlichen Schluss wird einmal mehr erfüllt.

Historischer Hintergrund ist das Ende der Regentschaft des Perserkönigs Chosrau II. 628 n. Chr. Sein Beiname Der Unbesiegbare belegt zahlreiche militärische Erfolge in Kriegen gegen benachbarte Völker. Er täuscht allerdings über sein persönliches Ende durch Hinrichtung hinweg, die sein Sohn anordnet. 

Für den Politthriller im Stil der Tragödien Shakespeares haben Peters und der Bühnen- und Kostümbildner Christian Floeren eine eigene Welt geschaffen, die der naheliegenden Verführung trotzt, das Stück mit orientalischem Dekor zu überziehen. Sie knüpfen an verschiedene Fantasy-Stoffe des Mittelalters an und erzeugen Tableaus, die Elemente von König-Artus-Sagen wie auch von Tolkiens Herr der Ringe einbinden. Im Zentrum der mit allerlei erobertem Kriegsgerät übersäten zumeist im düsteren Schwarz-Grau gehaltenen Bühne ist eine mächtige Skulptur aus Bronze postiert, deren abgeschlagenes Haupt daneben liegt.

Mit einfachen Verschiebeaktionen, bei denen die Karlsruher Drehbühne nur moderat eingesetzt wird, entstehen effektvolle Bilder. Der mit Kerzen ausgeleuchtete Raum für das königliche Mahl. Der Turm mit transparentem Treppenaufgang, der sich als Teil einer Burg deuten lässt. Der Kerker des Königs, an dessen Wand der in Misskredit geratene Siroe angekettet ist. Der Thronsaal mit einem Ornament von Schwertern, das den Strahlen der Sonne nachgebildet ist. Mit einem solchen Kopfschmuck darf sich zu Beginn auch Laodice schmücken, die sich auf der Sonnenseite am Hofe sieht. Die Schwester Arasses, eines Freundes und Kampfgefährten Siroes, hat als Mätresse des Königs Einfluss am Hof, ist aber auch Siroe in Liebe verbunden. Ein Opernstoff, zwei Kulturen, drei Konfliktebenen – was will man mehr!

Gesteigert wird die Suggestion einer Fantasy-Welt von Rittern und Vasallen durch Schwerterkämpfe, die von der Statisterie des Theaters mit lärmender Wonne und klirrendem Material ausgetragen werden. Hierfür hat Annette Bauer eine robuste Kampfchoreographie ersonnen. Videosequenzen werden sparsam eingesetzt, entfachen aber durchaus Effekte, dann etwa, wenn Urwesen wie Drachen und Lindwürmer am Firmament erscheinen.

Händels Musik liegt in einem fast schon amüsanten Sinne ein Stück quer zum Ernst, zum Pathos des Librettos. Die Partitur ist leicht, bisweilen verspielt, gespickt mit Einfällen, die die Musik des Films und der Games vorweg zu nehmen scheinen. Der Komponist verzichtet auch in Ermangelung großer lyrischer Arien auf Blechbläser und Flöten und gibt den Streichern das Prä. In der Continuo-Gruppe setzen die Cembali und die Lauten die Akzente. Ungeachtet der zum Teil ausgedehnten Rezitative kommt das Stück, das keine Duette und keinen Chor aufweist, ohne Längen aus. Attilio Cremonesi, der ohne Dirigentenstab agiert, spornt die Deutschen Händel-Solisten zu prächtigem Barock-Format an.

Ungewöhnlich wie manches in dieser Trouvaille ist auch die Besetzung. Zwei Countertenöre, zu Zeiten des King‘s Theatre Kastraten, zwei Soprane und zwei tiefe Männerstimmen, Bass oder Bariton. Gewiss aus den damaligen Bedingungen zu erklären, unter denen Händel seine Akademie gegen wachsende Widerstände in der Öffentlichkeit zu bewahren sucht. Metastasios Gabe, scene con affetti für die Bühne zu schreiben, zeigt sich insbesondere in den dramatischen Zuspitzungen dieser Oper. In der Szene des inhaftierten Thronfolgers angekettet an Gefängnismauern. In der des Cosroe, der sein Leid verströmt, nachdem er erkennt, Siroe zu Unrecht verdächtigt zu haben. In der Szene der Emira, die ihre Rüstung ablegt und ganz als Frau fühlen darf.

Gibt der Plot keine weiteren Bravourstücke en miniature her, beschwört Metastasio Gott und die Welt, hier vor allem antike Götter und die Natur, um den Sängern Tribünen für vokale Glanzstücke zu errichten. Auf diesem Podium barocker Ornamentik richtet sich das Sextett der Sängerdarsteller vorzüglich ein, wobei beide Soprane ungeachtet ihrer rollenspezifischen Unterschiede den stärksten Eindruck hinterlassen. Die Emira alias Idaspe von Sophie Junker mit viriler Ausstrahlung und imposanter Stimme. Die Laodice von Shira Patchornik als beseelte Frau, die ihre Liebessehnsucht in perlende Koloraturen kleidet und mit ihrem schönen Timbre vorzüglich in das Rollenbild passt.

In der Titelrolle gibt Rafał Tomkiewicz den vielfach gespaltenen Charakter des Siroe mit großer Einfühlung und umfassender Tessitura. Allerdings wäre ihm mehr stimmliche Durchschlagskraft zu wünschen, zumal bei Partien in großen Häusern. Rein sängerisch sticht ihn Filippo Mineccia als Medarse in manchen Szenen deutlich aus. Dafür hat er mit seinem verschlagenen Wesen und seiner an Irokesen erinnernden Haarfrisur auch mehr Rollenaggressivität zu bieten. Armin Kolarczyk ist ein berührender Cosroe, Konstantin Ingenpass ein Arasse, der mit vokaler Wärme Loyalität und Würde ausstrahlt.

Das Publikum gefällt sich darin, praktisch jeden einzelnen Sängerauftritt mit ansprechendem bis tosendem Szenenapplaus, dann und wann auch mit Bravo!-Rufen durchsetzt, zu quittieren. Daran mag im Prinzip nichts auszusetzen sein. Tatsache ist allerdings, dass die Unverhältnismäßigkeit dieser Beifallsketten dazu beiträgt, den atmosphärisch großen Bogen der Aufführung nicht wirklich entstehen zu lassen. Auf der Basis dieser Akklamationsserie steigern sich die Besucher am Ende noch in einen anhaltenden intensiven Jubel, der alle Mitwirkenden einschließt, auch das Regieteam um den Hausherrn.

Siroe, Re di Persia, in Händels, dann auch in Hasses Fassung, könnte in Zukunft das ohnehin an Entdeckungen nicht arme Repertoire an Barockopern im Musiktheater erweitern. Es sei hierzu geraten.

Dr. Ralf Siepmann

Copyright Foto: Felix Grünschloß

 

| Drucken

Mehr

Kommentare

Loading