Das Glück ein Tanz: Belcanto-Zauber dank einer quirligen Regie und eines spielfreudigen Ensembles

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La Cenerentola Gioacchino Rossini Besuch am 21. Dezember 2022 Premiere 17. Dezember 2022

Oper Köln Staatenhaus

Das Glück ein Tanz: Belcanto-Zauber dank einer quirligen Regie und eines spielfreudigen Ensembles

Warum nicht einmal mit dem Ende anfangen? Im Finale der Neuproduktion von Gioacchino Rossinis Oper La Cenerentola steht Angelina exponiert auf dem schmalen Steg, der sich im Kölner Staatenhaus über die ganze Breite vor dem Orchesterpodium entlang zieht. Sie ist allein, ganz bei sich. Lediglich vom charismatischen Alidoro begleitet, fast abgeschirmt. Die Bühne ist jetzt ausschließlich ihr Revier, obwohl mehrere Dutzend Augenpaare von Sängern, Choristen und Tänzern auf sie gerichtet sind. Ihr fulminantes Abschiedsrondo Nacqui all’affanno – Non più mesta, ausklingend mit dem Chor, der alle Schatten des Vergangenen davonjagt, ist musikalisch wie dramaturgisch das erhoffte lieto fine. Schluss eines Märchens, das vom Liebenswerten wie von der Bösartigkeit des Menschen erzählt.

Es ist der eine große Ruhepunkt, den die italienische Regisseurin Cecilia Ligorio sich und den Protagonisten in einer Inszenierung gestattet, die auf Tempo, Bewegung und Dynamik setzt. Das Dramma giocoso, zum Karneval 1817 im Teatro Valle in Rom uraufgeführt, ist bereits ein Spektakel der Exzellenz. Die Partitur ist mit atemberaubenden Crescendi, perlenden Sechzehntelnoten sowie Kantilenen und Ensemblenummern im Stil der turbulenten Rossini-Girlanden gespickt. Es kombiniert Belcanto der gehobenen Klasse mit witziger Spielfreude, kuriose Randfiguren mit Situationskomik.

La Cenerentola ossia La bontá in trionfo, halb buffa, halb semiseria, ist eine Geschichte von oben und unten in der Gesellschaft. Sie passiert seit 200 Jahren auf allen Opernbühnen der Welt mit dem Vorzug, dass sie gut ausgeht und das Glück schenkt, das wir märchenhaft nennen. Sie erzählt von einer Welt, die streng trennt zwischen der feinen Herrschaft und ihren Bediensteten. Die da oben sind aber weder fein, geschweige nobel. Und die da unten müssen auch noch erleben, verachtet zu werden.

Die „Springflut der Phantasie“, von der der Rossini-Kenner und Cenerentola-Liebhaber Stendhal spricht, toppt Ligorio noch um eine Drehung. Angelinas Bitte an ihren Stiefvater, er möge sie doch auf den Ball des Prinzen mitnehmen, weil sie tanzen möchte, ist der Dreh- und Angelpunkt ihres Regiekonzepts. Im Team mit Gregorio Zurla (Bühne) und Vera Pierantoni (Kostüme) sowie der Choreografin Daisy Ransom Phillips fokussiert sie die Komödie auf den großen Ball hin, auf dem sich Aschenputtels Dasein als geknechtete Küchenmagd zum Glück wendet. Das Leben ein Tanz, die Geschichte einer Verwandlung quasi als Tanzrevue.

Das Puppenhaus im rechten Teil der Bühne lässt noch Assoziationen zu Charles Perraults Fassung des Märchens zu, das dem Libretto von Jacopo Ferretti zugrunde liegt. Hier schurigeln die garstigen Schwestern Clorinda und Tisbe die Küchenmarkt Angelina, die man über eine Seitentür aus dem Raum scheuchen kann. Die Regieakzente verschieben sich recht schnell in dem Maße, wie die Auftritte der einzelnen Sängerdarsteller zu Tanzszenen entwickelt werden.

Mit Kameras ausgestattete Tänzer mimen eine Medienmeute, die jeden Augenblick der Brautwerbung im Bild festhalten möchte. Dandini, Diener des Fürsten Ramiro, entert die Szene wie ein Revuestar. Wiederum Tänzer vermitteln der Fürstin in spe eine Ahnung vom künftigen glücklichen Leben, wenn sie sie in Höhen wuchten, die über das Irdische hinauszuführen scheinen. Der prächtig aufgelegte Herrenchor, einstudiert von Rustam Samedov, tanzt und singt rund um weiß gedeckte Banketttische, die das wohlige Gefühl eines ballrooms amerikanischer Prägung hervorrufen.

Wie schon in Leonardo Muscatos Bonner Inszenierung 2021 spielt Alidoro in Ligorios Regiekonzept eine sehr spezielle, aufgewertete Rolle. Zu Beginn sitzt der Lehrer des Fürsten im Wohnzimmer Don Magnificos, später am linken Bühnenrand, und arbeitet zur Ouvertüre auf der Schreibmaschine an einem Manuskript. Die auf die Bühne in Leuchtschrift gerollte Zeile Int. Home-Night erweckt den Eindruck, als entstehe jetzt erst der Plot. Alidoro, gespielt von Christoph Seidl, avanciert im Verlauf des Geschehens zum Librettisten. Es ist Alidoro, der in der Rolle des hungrigen Bettlers die Empathie Angelinas testet und bestätigt findet. Es ist Alidoro, der die Fäden zieht und Aschenputtel das Ballkleid offeriert. Es ist Alidoro, der wie ein Spielleiter durch die räumliche und soziale Ober- und Unterschicht dieser Produktion schreitet.

So phantasievoll die Inszenierung ist, so nicht ganz schlüssig ist sie in Teilen. Die „Enttarnung“ Angelinas auf dem Ball ist keine, da sie die ganze Ballszene über als diejenige zu erkennen ist, in die sich Ramiro in dem Hause Magnificos verliebt hat. Der Blitz, von dem Alidoro nach der in der Vorlage beschriebenen Entschleierung Angelinas berichtet, kann so gesehen eben nicht zünden. Die Commedia-dell’Arte- und Slapstick-Einfälle, die Ligorios Personenregie bestimmen, generieren allerlei Kurzweil und Vergnügen beim Publikum. Ob indes der Fürst, immerhin ein Aristokrat, in Dienerlivree hinter einer Unbekannten niederen Standes herläuft, ist schon überzeichnet. Auch die Wand über dem Kamin im Puppenhaus mit Broadway-Filmplakaten und Abbildungen von Fred Astaire und anderen Tanzstars der 1940-er Jahre wirkt arg willkürlich. Sie hat nichts mit der Märchenwelt nach Charles Perrault zu tun, aber alles mit einer Regie, die an der Kurbel dreht.

Die musikalische Dimension bewegt sich auf einem Niveau, das regelmäßig etwa beim Festival Rossini in Wildbad im Schwarzwald zu erleben ist. Wenn auch nicht ganz auf der Höhe der Produktion dort 2004 mit Joyce di Donato undJosé Manuel Zapata als am Ende vereintes Liebespaar sowie Alberto Zedda am Pult. Das Gürzenich-Orchester Köln steigert sich unter der Leitung von Matteo Beltrami in ein Belcanto-Fest. Es „erlaubt“ sich allerlei Witz, den die Trompete, die Violinen und insbesondere Theresia Renelt am Hammerflügel liefern, mit großem Spaß an ihrem exquisiten Handwerk.

Adriana Anna Alàs i Jové, die als Angelina der Premierenbesetzung Adriana Bastidas-Gamboa folgt, steigert sich bei ihrem Rollendebüt nach einem verhaltenen Beginn mit der Sehnsuchtsarie Una volta c’era un re zu einer ausgezeichneten Leistung. Die Mezzosopranistin beherrscht die lyrische Innigkeit des armen Wesens wie die prätentiös gespielte Pose beim Ball des Fürsten. Ihre Koloraturen sind technisch ausgezeichnet, die Höhe ihrer Stimme beeindruckt. Ihre von disruptiven Sprüngen begleiteten vokalen Linien erinnern an Wasserspiele in Schönbrunn oder Versailles. Leider fehlt der samtene Melos in der tiefen Lage, die diese Rolle so einzigartig in den Partien macht, die Rossini für das von ihm präferierte Mezzo-Fach komponiert hat.

Pablo Martinez ist mit seinem schlanken, lyrisch geprägten Tenor, an den Rossini-Spezialisten Juan Diego Flórez erinnernd, ein sympathischer Ramiro, in den sich eine junge Frau fürwahr verlieben kann. Im Duett mit Angelina Un soavve non so che, einer der prächtigsten Belcanto-Architekturen Rossinis überhaupt, übernimmt er mit der fast gehauchten Introduktion Tutto è deserto eine Führungsrolle, die ihm am Ende ja auch das Märchen schenkt.

Wolfgang Stefan Schwaiger als Dandini ist unter den Sängern die angenehmste Überraschung des Abends. Der Bariton ist auch tänzerisch begabt und zaubert Stepptanzschritte auf den Bühnenboden, während er mit dem großartigen Verführungsduett Zitto, zitto, piano, piano zusammen mit Ramiro das sprudelnde Finale eins auf Touren bringt. Omar Montanari gibt den Erzkomödianten Magnifico, korrupt, empathielos und grob, mit großem Gespür für die Buffo-Elemente dieser Partie. Was die Rolle an poltrigen Ausbrüchen zulässt, schmettert er mit Kraft und Vehemenz heraus. Was sie an nuancierten Farben zu bieten hat, bleibt er schuldig. Beides wird in seiner Kavatine Miei rampolli femmini, einem Traum vom Reichtum, in dem ein Esel auf der Kirchturmspitze landet, manifest.

Jennifer Zein als Clorinda und Charlotte Quadt als Tisbe, in dieser Rolle auch schon bei der Bonner Cenerentola auf der Bühne, sind in einem Atemzug zu nennen. Sie überzeugen als Buffo-Paar. Mit ihrer Introduktion No, no, no, no, non v’è´ wird gleich zu Beginn deutlich, dass sich da zwei maßlos überschätzen und nichts als Herzenskälte zu bieten haben. Als Darstellerinnen sind sie von der Regisseurin allzu zickig angelegt. Außerdem ist ihr Bewegungsrepertoire nach drei, vier Szenen bereits ausgeschöpft.

Rossinis Gabe, Melodien im Champagnerkelch zu kredenzen und Sängern die charakteristische Note auf die Kehle zu schreiben, äußert sich am eindrucksvollsten in den Ensemblenummern. Von denen gibt es hier mindestens zwei Prachtexemplare. Auf dem instrumentalen roten Teppich, den Beltrami mit sichtlichem Vergnügen ausrollt, zaubern die Ballbesucher im Sextett Parlar, pensar, vorrei jene Verblüffung herbei, von der das Libretto spricht. Noch brillianter gestaltet das Ensemble in feiner Koordination mit der Regie das Sextett Siete voi? Questo è un podo aviluppato. Einträchtig kuschelt sich die Bagage auf dem Sofa zusammen, wobei Angelina dabei Blätter an alle verteilt. Vielleicht die Noten.

Im begeistert applaudierendem Publikum im fast ausverkauften Saal, das alle Mitwirkenden, besonders die Tänzer und den Chor feiert, befinden sich zahlreiche junge Leute, auch Kinder. Aktionen in Schulen und Theatervereinigungen pro Opernbesuch scheinen sich auszuwirken. Die Jugendlichen haben zwar nicht das Aschenputtel-Märchen ihrer Kindheit erlebt, aber immerhin das, was das Musiktheater in seinen guten Stunden zu bieten hat. Eine Kunst, die sie vielleicht auch künftig erleben möchten. Hoffentlich.

Dr. Ralf Siepmann

Copyright Matthias Jung

 

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