Barockes Opernglück dank moderater Regie, virtuoser Händel-Solisten und zweier rivalisierender Countertenöre

Xl_ottone_hp2_1825_63ee3c15744f81.10011585 © Felix Grünschloß

Georg Friedrich Händel Ottone, re di Germania Besuch am 19. Februar 2023 Premiere am 17.Februar 2023

Internationale Händel-Festspiele Karlsruhe Badisches Staatstheater

Barockes Opernglück dank moderater Regie, virtuoser Händel-Solisten und zweier rivalisierender Countertenöre

Ein halbes Jahr lässt Georg Friedrich Händel die im Sommer 1722 fertig gestellte Partitur zu Ottone, re di Germania liegen. Er will der gerade engagierten italienischen Sopranistin Francesca Cuzzoni, die verspätet London erreicht, Gelegenheit geben, in der Rolle der Teofane das verwöhnte Publikum im Theater am Haymarket zu überzeugen. Das Kalkül geht auf. Die Cuzzoni begeistert die Besucher, schon mit ihrer ersten Aria Falsa immagine im Dialog mit dem Basso continuo. Die Uraufführung, herausragend zudem besetzt mit dem Mezzosopran-Kastraten Senesino in der Titelpartie, begründet eine der erfolgreichsten Schöpfungen des Komponisten überhaupt.

Auch mit der Eröffnungsproduktion des drei Akte umfassenden dramma per musica bei den 45. Internationalen Händel-Festspiele in Karlsruhe geht ein Kalkül auf. Das der Festspielleitung um Ulrich Peters undNicole Braunger, sollte sie darauf abzielen, mit einer moderaten Inszenierung, die gefällig ist und den historischen Kontext respektiert, ein Musik- und Sängerfest zu ermöglichen. Das stellt sich dann auch ein, mit dem Regiekonzept des aus Venezuela stammenden Händel-affinen Carlos Wagner, mit dem behutsam dirigierenden Italiener Carlo Ipata am Pult der Deutschen Händel-Solisten sowie einem Sängerensemble, das bei leichten Abstrichen Format und Form mitbringt.

Thema des Stücks ist eine vom sächsischen König Otto I. angebahnte eheliche Verbindung seines Sohnes, des späteren Kaisers Otto II, mit der byzantinischen Prinzessin Theophanu. Der König, der zugleich ein Interesse an der langobardischen Krone und damit am Kaiserthron verfolgt, verspricht sich von der 972 zustande kommenden Hochzeit eine Aussöhnung zwischen Rom, dem Westreich, und Byzanz alias Ost-Rom, eine Klärung des Zweikaiserproblems und der territorialen Interessen beider Dynastien in Italien sowie eine Absicherung der Macht für sich und seinen Sohn.

Händel lernt 1719 bei seiner Reise durch Deutschland und Italien auf der Suche nach geeigneten Sängern den Stoff anlässlich der Premiere der Oper Teofane von Antonio Lotti in Dresden kennen, die auf einer Dichtung von Stefano Benedetto Pallavicino beruht. Auf dieser Grundlage verfasst Nicola Francesco Haym das Textbuch für Händels Ottone, in dem Gismonda eine Intrige mit dem Ziel entwirft, ihren Sohn Adelberto auf den Thron Roms zu bringen und Teofane an Stelle Ottones zu heiraten. Nach etlichen Verwicklungen, für die insbesondere die in Adelberto verliebte Matilda, die Cousine Ottones, sorgt, nach Schlachten zu Lande und zu Wasser, nach geglückten und fehlgeschlagenen Entführungen kommt es zum für die Barock-Oper unvermeidlichen lieto fine mit Ottone und Teofane in seinem Zentrum.

Für seine Inszenierung verfolgt Regisseur Wagner, der 2017 bei den Händel-Festspielen in Göttingen Händels Lotario in Bildkunst verwandelt, eine Linie der Zwischenwelten. Weder lässt er das Drama in einem stereotyp historisierenden Bühnenmilieu spielen, noch überzieht er es mit modernistischen Bemühungen, dem Stück eine gegenwärtige Dynamik zu verpassen, die weder dem Sujet noch dem Genre entspricht. Der Akzeptanz des Publikums bekommt überdies, dass einige Rezitative und Arien gestrichen sind. In nunmehr zwei Mal 75 Minuten, getrennt von einer Pause, sind die Konflikte der Protagonisten und ihre musikalisch weidlich ausgemalten Gefühlspanoramen gut verstanden.

Wagner und sein Ausstatter, der für Bühne und Kostüme verantwortlich zeichnende Franzose Christophe Ouvrard, warten mit einer Idee auf, die angesichts der Komplexität der Handlung von Vorteil ist. Sie lassen die Langobarden, quasi die Deutschen, in schwarzen, die Italiener in weißen und die byzantinische Teofane in goldenen stilneutralen Kostümen auftreten. Dieses Momentum funktioniert gut, so wie dies auch die Bühnenkonstruktion des Palasts in Rom tut, wo das Geschehen seinen Lauf nimmt. Klassizistische Symmetrie beherrscht das Bühnenbild. Auf- und Abgänge links und rechts erlauben Zugänge zu höher gelegenen Etagen. Ungehindert fällt nach der Sinfonia der Blick auf das Zentrum dieser Architektur, ein weißes mutmaßliches Hochzeitsbett, in dem Teofane in der ersten Szene ihre Sehnsüchte artikuliert, während sie den Vorhang davor zur Seite zieht. In welch fragilem Zustand sich die römischen Machtverhältnisse befinden, zeigen Gesteinsbrocken, die aus den Palastmauern herabfallen.

Dank der Drehbühne und der ausgezeichneten Videotechnik fesselt der mobile Mittelteil das Auge. Die Projektion der wogenden See bringt Furcht erregend die Welt des Piraten Emireno hervor, der in Wirklichkeit Basilio ist, der Bruder der umworbenen byzantinischen Schönheit. Auf einem Steg quer über die Bühne in halb abgeschattetem Licht (Rico Gerstner) bewegen sich die Kontrahenten mit Effekten wie in einem Schattenspiel, Degen und Mantel schwingend. Wagners Personenführung ist sängerfreundlich, unaufdringlich in dem Sinne, dass den Barock-Virtuosen Zeit und Raum bleibt, die Ornamentik, die gesanglichen Melismen, ohne Hast oder inadäquate Körperbewegung zu zelebrieren. Einzige Ausnahme davon ist der italienische Countertenor Raffaele Pe in der Partie des Adelberto. Wagner lässt Pe sich in die Texte antizipierender Weise häufig am Boden winden, was der Sängerdarsteller mit schlangenartigen Bewegungen perfekt umsetzt, ohne dabei im stimmlichen Ausdruck nachzulassen. Nicht unbedingt schön, aber sehr wirkungsvoll.

In der Vorlage von Pallavicino/Haym wird die Rivalität um den Thron Westroms wie die byzantinische Schönheit von Ottone und Adelberto ausgetragen, auf der künstlerischen Ebene dieser Aufführung von zwei Countertenören. Dabei lässt der ukrainische Virtuose Yuriy Mynenko, einer der fünf Countertenöre in der legendären Aufführung von Leonardo Vincis Atarserse, zu keiner Phase Zweifel daran, wem Paris, ginge es ausschließlich um die Schönheit des Gesangs, den Apfel überreichen würde. Mynenko stellt seine Counter-Klasse in der Altus-Lage eindrucksvoll unter Beweis. Er eilt durch die Intervall-Sprünge und stimmdynamischen Kletterpartien mit einer Souveränität und ja, scheinbaren Leichtigkeit, die erstaunen lassen. Besonders bewegend seine noble Klage Tanti affanni im dritten Akt.

Pe singt sich in der Partie von Ottones Gegenspielers anrührend in das Verderben hinein, das ihm das Schicksal über weite Strecken bietet. Er ist glaubhaft als der Mann zu erleben, der sich nach Teofane verzehrt, dem aber nicht einmal das Mittel ihrer Entführung reicht, um an sein Ziel zu gelangen. Nathanaël Tavernier, der Einzige aus dem Ensemble des Badischen Staatstheaters, ist als Emireno mit seinem kernigen Bass ein Pirat aus dem Bilderbuch. Schade, dass das Libretto ihn zwingt, diese Identität zugunsten seiner wahren aufzugeben.

Die ukrainische Mezzosopranistin Lena Belkina in der Rolle der Gismonda strahlt die Souveränität aus, die es braucht, um ihre bösartigen Pläne zu verfolgen. Es ist schon eine besondere Kuriosität der Partitur, dass Händel mit Vieni, o figlio ausgerechnet ihr den höchsten Grad melodiöser affetti schenkt, der einen Moment absoluten Händel-Glücks vermittelt. Die Solo-Arie über die Sorge um das Leben ihres Sohnes entwickelt sich auf der allein von ihr beherrschten Bühne zu einer vokalen Skulptur zum Niederknien. Sie erklingt unmittelbar vor der Pause und bietet den Besuchern reichlich Stoff zum Nacherleben oder einfach nur Schwärmen.

Als Teofane in den großen Fußstapfen der Cuzzoni ist die spanische Sopranistin Lucía Martín-Cartón eine überzeugende Besetzung. Sie gibt der Tochter des byzantinischen Kaisers eine erfrischende Anmutung, gefällt mit ihrer spielerischen Raffinesse und versteht es, die Schönheit ihrer Erscheinung wie der Rolle im Geschehen geschickt auszuspielen. Mit Falsa immagine gestaltet sie einen der vokalen Höhepunkte des ersten Teils. Sie gibt in betörender Musiklinie ihrer Verwunderung darüber Ausdruck, in dem, der sich als Ottone ausgibt, ihren Künftigen sehen zu sollen.

Rätsel gibt die italienische Altistin Sonia Prina, die auf eine lange erfolgreiche Bühnenkarriere schaut, in der Schlüsselrolle der Matilda auf. Ihre Tessitura scheint für die anspruchsvolle Partie deutlich zu begrenzt. Die Stimme entbehrt der Leuchtkraft, ist phasenweise spröde und den Intervallsprüngen nur bedingt gewachsen. Es sind Unstimmigkeiten in der Tongebung zu vernehmen. Prina startet die emotionalen Ausbrüche mit Vehemenz, lässt aber diese bisweilen in der Entfaltung wieder abreißen. Dennoch avanciert ihr Duett Notti cara mit der Gismonda Belkinas zu einem Höhepunkt des zweiten Aufzugs. Hier vereinen sich zwei Frauenseelen im Glücksempfinden über Taten, die freilich eher ihre Schattenseiten beleuchten.

Die Deutschen Händel-Solisten nehmen sich der Partitur in schlanker Besetzung mit großer Kompetenz an. Händel hat die Blechbläser ausgespart. Harfe und Laute geben zu einem gewissen Grad den Ton an. Das Orchester hat fast einen pazifistischen Anspruch. Es sind die Streicher, die die Militärmusiken anstimmen. Ihnen und ihrem Leiter sowie dem Sängerensemble gilt der tosende Beifall des ausverkauften Hauses.

In den bis zum 3. März andauernden Festspielen gibt es noch drei Termine, sich ein persönliches Bild von Händels Kunst und seinem Ottone zu verschaffen. Es sei empfohlen.

Dr. Ralf Siepmann 

Copyright: Felix Grünschloß

 

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