Akribische Regie, vernetzt mit dem Sozialrealismus des Dramas und der Eigenart der Musik

Xl_6519_jenufa_promo2324 © Copyright Foto: Barbara Aumüller

Jenůfa Leoš Janáček Besuch am 26. April 2024 Premiere am 18. April 2024

Deutsche Oper am Rhein Theater Duisburg

Akribische Regie, vernetzt mit dem Sozialrealismus des Dramas und der Eigenart der Musik

Jenůfavon Leoš Janáček, 1904 in Brünn uraufgeführt, ist nach Bedřich Smetanas Die verkaufte Braut, 1866 erstmals in Prag auf der Bühne, die am häufigsten aufgeführte tschechische Oper. Beide gründen im Milieu der dörflichen Idylle, unterscheiden sich indes dramaturgisch und musikalisch diametral. Während die Komische Oper Smetanas Böhmens folkloristisch-romantische Lebensweise feiert, sind Janáčeks Protagonisten Menschen, die fehlen und scheitern können. Von Ängsten, Vorurteilen und dumpfen Emotionen beherrschte „Antihelden“, denen der Komponist konsequenterweise auch beseligende Melodik und volkstümliche Schwelgerei versagt.

Wie Janáček, der in den Jahren vor und während der Komposition der Oper aus dem mährischen Bauernleben Sohn, Tochter und die menschliche Beziehung zu seiner Frau verliert, mit den Klischees der traditionsbefrachteten Volksoper aufräumt, wie er einen vormodernen Stil des naturalistischen Realismus durchaus parallel zu Giacomo Puccinis Verismo entwickelt und so ein absolut packendes Musiktheater kreiert – dies alles macht das Ereignis der Neuinszenierung von Jenůfa an der Deutschen Oper am Rhein aus. Nach Katja Kabanova im Jahr 2022 legt die Regisseurin Tatjana Gürbaca nun eine neuerliche Auseinandersetzung mit einem Werk aus dem Quartett der Opern Janáčeks vor, die zum Weltrepertoire der Musiktheater gehören.

Für das Drama um drei starke, Freiheit und Selbstverwirklichung ersehnende Frauen in einer von den Männern dominierten vorindustriellen Gesellschaft hat Hendrik Ahr in ähnlicher Weise wie bei Michael Thalheimers Inszenierung von Peter Tschaikowskys Eugen Onegin die Schreinerwerkstatt der Rheinoper intensiv bemüht. Im Düsseldorfer Onegin ist das Landgut wie der Salon in der St. Petersburger Oberschicht durch eine aus Holz gezimmerte orange-braune Schachtel ersetzt. Einerseits eine Allegorie für die Enge der damaligen Lebensverhältnisse. Andererseits Ausdruck der Mission des Regisseurs, Inszenierungen von Opern radikalen Vereinfachungen zu unterziehen und so das Publikum zu fordern.

In Jenůfa ist ein aus massiven Brettern gezimmertes Holzhaus mit seitlich schließenden Wänden zu sehen. Mit einer düster herabhängenden Decke sowie einer Treppe, die steil in die Höhe führt. Es ist der aller sentimentalen Bilder wie Mühle und Mühlrad beraubte nüchterne Schauplatz, auf dem sich die Tragödie der Jenůfa vollzieht, der Števa ein Kind macht, von dem er aber später nichts wissen will. Der Števas Stiefbruder Laca eine Schnittverletzung im Gesicht zufügt, nachdem sie seine Annäherungsversuche abgelehnt hat.

Auf den rohen Planken dieser sozial komprimierten Welt kommt es – kurios genug – inmitten der Dorfbewohner zur sexuellen Begegnung der Ziehtochter der Küsterin mit Števa, woraus das Unglück erwächst, das Kind, das des dörflichen „Ehrenkodexes“ wegen beseitigt wird. Die Holzbohlen sind ferner die Szene für den Dialog der Küsterin mit der jungen Frau im zweiten Akt, nach dem in der Stiefmutter der Plan reift, das Kind umzubringen. Es ist einer der dramatischen und musikalischen Höhepunkte des Werks, der mit einem extrem berührenden Momentum abschließt. Stufe um Stufe schleppt sich die Küsterin die Treppe hinauf, unter der Last der Schuld, die sie auf sich geladen hat.

Die Regisseurin erzählt die Tragödie der Jenůfa, die auf einem Theaterstück von Gabriela Preissová beruht, das von nationalkonservativen Tschechen lange Zeit als „unwürdig“ und „unplausibel“ abgelehnt wird, mit eindrucksvollen Bildern. In der engen Holzhauswelt kommen diese auch durch die naturalistischen Kostüme von Silke Willrett wie Reprisen aus einem bunten Volkstheater plastisch zur Geltung. Ihre Personenregie ist akribisch, arbeitet die harmonischen wie die konfliktgeleiteten Beziehungen der Protagonisten genau heraus. Die tiefen Verwundungen, die sich die Menschen antun, manifestieren sich rund um die verschiedenen Tatorte spektakulär. Die Szene, in der die Küsterin einen Waschbottich umstürzt, der sich als leer erweist, ist großes Theater. War er nicht eben noch Kinderwiege? Und ist er jetzt nicht ein elender Sarg?

Die Musik der Jenůfa hat etwas Rätselhaftes. Schon gleich zu Beginn, wenn das Xylophon mit treibenden Schlägen den Takt des Dramas vorgibt, enervierend, unaufhaltsam, bedrohlich. Der tief im Eigenen der Kulturlandschaft Böhmen und Mähren wurzelnden volksnahen Erzählweise entspricht Janáčeks durchkomponierte Musik, wobei dieser Folklorismus eine gänzlich andere Aufgabe hat. Die volksliedhafte Artikulation der Motive befördert den Ausdruck und verschärft die psychologischen Effekte. Die ohne Nummerngliederung vor sich hintreibende musikalische Handlung verdichtet sich in einem einzigen strömenden Prozess, der den Sprechgesang der Sängerdarsteller trägt und akzentuiert.

Generalmusikdirektor Axel Kober versteht es in seiner letzten Neuproduktion an der Rheinoper, die Duisburger Philharmoniker ungeachtet der stereotypen Motivwiederholungen auf eine durchgängige Linie hin zu steuern, die keine Redundanz entstehen lässt. Die Feinheiten der Partitur erfahren ebenso Kontur wie die gewollte Brutalität, etwa unter Einsatz der Tuba, wenn im dritten Akt der tote Säugling aufgefunden und dies gemeldet wird.

Regelrecht staunen lässt die Fähigkeit der vier Hauptakteure, ihren Part in einer der schwierigsten Sprachen Europas zur Artikulation zu bringen. Sind doch drei von ihnen ohne persönliche Affinität zum Slawischen. Insbesondere beeindrucken Rosie Aldridge als Küsterin und Jacquelyn Wagner in der Titelrolle. Als ungleiche, auch im Temperament höchst unterschiedliche Brüder beeindrucken Jussi Myllys (Števa) und Georgi Sturua (Laca). Knarzend gestaltet Sami Luttinen den Dorfrichter. In weiteren Rollen ergänzen Stefanie Schaefer als alte Buryja, Lavinia Dames als Karolka, Katarzyna Włodarczyk als Schäferin sowie Günes Gürle in der Partie des Altgesellen den vorzüglichen Gesamteindruck. Der von Gerhard Michalski einstudierte Chor agiert mit Leidenschaft und Spielfreude.

Das Publikum feiert die Leistung aller Mitwirkenden direkt nach dem letzten Wort Jenůfas, durch das sie Laca eine gemeinsame Zukunft verspricht, mit furiosem Beifall. Die Sängerdarsteller, den Chor und ganz besonders die Philharmoniker und ihrem Dirigenten Kober, dem auch schon vor dem dritten Aufzug begeisterter Applaus gilt. Die Emphase kann aber nicht die Tatsache verdecken, dass Parkett und beide Ränge nur etwa zur Hälfte belegt sind. Dies ist umso bedauerlicher, weil diese Produktion mit zum Besten gehört, das der Rheinoper in dieser Spielzeit gelingt. Zum Glück gibt es noch weitere Vorstellungen bis in den Mai. Zudem ist das Theater Duisburg gut zu erreichen, auch für Janáček-Anhänger von wo auch immer.

Dr. Ralf Siepmann

Copyright Foto: Barbara Aumüller

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