Wolfgang Rihms Kammeroper „Jakob Lenz“ im Stadttheater Klagenfurt geht unter die Haut

Xl_jakob_lenz-klagenfurt-_c_arnold_poeschl-klagenfurt-2-22-1 © Arnold Pöschl

Das Netzbett schwebt hoch im Raum. Darinnen stöhnt und wälzt sich ein Mensch. Es ist der Titelheld: So lässt man Jakob Lenz“ von Wolfgang Rihm am Stadttheater Klagenfurt beginnen und auch enden.  Dazwischen erlebt man komprimiert in rund 80 Minuten den tragischen Verfallsprozess dieses Sturm-und-Drang-Dichters um 1778. Basierend auf der gleichnamigen Novelle von Georg Büchner, das Libretto schrieb Michael Fröhling sucht Lenz abgebrannt und geplagt von psychotischen Schüben Zuflucht beim Pfarrer Johann Friedrich Oberlin im Elsass. Dieser, ein Sozialreformer und liberaler Pragmatiker (Steven Scheschareg singt ihn mit mächtigem Bass) und der Literat Christoph Kaufmann Robert Künzli erlebt man in dieser Figur mit schneidendem Tenor) versuchen ihm vergeblich zu helfen, können aber die Krankheit nicht aufhalten. Zusätzlich sind noch sechs sauber singende Vokalsolisten, alle Protagonisten agieren in heutigen Kostümen (Bettina Breitenecker), zu hören, seine inneren Stimmen, die nur der Titelheld wahrnimmt. Sie wirken wie Insassen einer psychiatrischen Anstalt: Sich stets verrenkend und zitternd kommentieren sie, verspotten Lenz („Du bist ein Versager, du bist wertlos“), schlagen ihn, ketten ihn an Hals und Armen an, wollen ihn zum Selbstmord drängen. Mit einer Meisterleitung als Titelheld wartet Ivan Ludlow auf, der meist mit nacktem Oberkörper agiert, auf dessen Rücken ein großes Kreuz tätowiert ist. Der Brite ist in allen Lagen ein szenisch ungemein intensiver Lenz, der in dieser extrem schwierigen Partie alle Möglichkeiten des stimmlichen Ausdrucks vom liedhaften Lyrismus bis zum Schreien, wie auch Keuchen und Sprechen präzise und scharf ausleuchtet.

Die absolut moderne Tonsprache, die extreme Drastik, die unheimliche suggestive Wirkungskraft, die schneidende Präzision und die sich abrupt immer wieder ändernde Ausdruckswucht dieser Musik wirken noch heute unverbraucht. Das Werk ist seit seiner Uraufführung 1979 in Hamburg eine der meistgespielten zeitgenössischen Opern überhaupt. Am Pult des mit nur elf Instrumentalisten besetzten Kärntner Sinfonieorchesters (drei Cellisten, sechs Bläser, ein Cembalist und ein viel beschäftigter Schlagzeuger) bringt Mitsugu Hoshino mit Akribie und höchster Konzentration die zwischen höchster Hoffnung und Vernichtung zerrissenen Suggestionen kühn, schroff und frei von Sentimentalitäten zur Geltung. Die Musiker spielen unter Hochspannung.

Eine Oper also, die weder vom Stoff noch von der Musik eine leichte Kost ist, die auch das Publikum sehr fordert sowie von diesem eine enorme Konzentrationsfähigkeit abverlangt, was durch die Inszenierung von Sophie Springer noch außerordentlich verstärkt wird. Die hier am Stadttheater tätige Regieassistentin lässt in einem Raum mit eisernen Plattformen und sich senkenden und hebenden Querbrücken (Bühne: Thomas Stingl) die Kammeroper mit teils drastischer Personenführung ungemein unter die Haut gehen. Hier agieren auch immer wieder die sechs Vokalisten und greifen manchmal auch aktiv ins Geschehen ein. Zusätzlich erscheinen zwei meist kerzentragende Kinder wie auch die ehemalige Geliebte von Lenz Friedrike in weißem Hochzeitsgewand und einmal mit einer langen rotbeleuchteten Schleppe, wodurch gemeinsam mit einigen Projektionen im Hintergrund auch starke Bilder erzeugt werden: Hier greift einmal eine riesige Hand nach dem schreienden Lenz, hier finden sich immer wieder Zitate aus seinem Schaffen, Buchstaben, die manchmal zerrinnen und so seinen zerrüttenden Geisteszustand symbolisieren sollen.

Stehende Ovationen des pandemiebedingt nur rar erschienenen Publikums!

Dr. Helmut Christian Mayer

| Drucken

Mehr

Kommentare

Loading