Wiener Staatsoper Spielplanpräsentation medienwirksam im Fernsehen aber wenig neue Produktionen

Xl_pk_wiener_staatsoper-netrebko-roscic-20-21 © Michael Pöhn

„In quelle trine morbide“: Es war schon ein sehr bewegender Moment, als diese Arie aus Puccinis „Manon Lescaut“ erklang. „Ach in diesen kalten Spitzen“ – so herzzerreißend besingt die junge Manon ihre Einsamkeit in all der Pracht und Luxus und ihre Sehnsucht nach dem Geliebten Des Grieux. So einsam fühlen sich auch die Liebhaber von klassischer Musik und insbesondere die Opernfreunde, die ihre geliebten Stars und den unerschöpflichen Reichtum der Musik im Liveerlebnis vermissen.

Empfindsam wird die Arie durch Opernstar Anna Netrebko mit ihrem Luxussopran dargeboten, mit Gänsehautfaktor in feinste, innige Töne gegossen. Für die Klavierbegleitung sorgt der Studienleiter und Korrepetitor Jendrik Springer der Wiener Staatsoper. Bewegend aber auch, weil sie einsam auf der Bühne der Wiener Staatsoper in Blickrichtung des Zuschauerraums stattfand, und dieser war leer.

So endete eine Übertragung in ORF III am Sonntagabend aus der Wiener Staatsoper, bei der der zukünftige Staatsoperndirektor Bogdan Roščić einen neuen Weg beschreitet. Noch nie wurde eine Spielplanvorschau in einem Fernsehprogramm vorgestellt und somit breiten Publikumsschichten regional aber auch weltweit zugänglich gemacht. Die Auswirkungen der Corona Krise führten zu diesem Schritt, der aber auch dem allgemeinen dringenden Wunsch der Kulturmanager entspricht, das Genre Oper sowie die gesamte klassische Musik einem breiten Publikum näher zu bringen, aber auch zum Werdegang und Hintergrund des neuen Intendanten passt.

Als Roščić im Dezember 2016 als neuer Staatsoperndirektor präsentiert wurde, war zweifelsohne ein Überraschungscoup gelungen, denn auf ihn hatte eigentlich niemand gesetzt. 1964 in Belgrad geboren, emigrierte seine Familie 1974 nach Österreich. Roščić studierte in Wien Philosophie und Musikwissenschaft. Seine ersten beruflichen Schritte machte er in den österreichischen Medien, zunächst als Journalist bei den Tageszeitungen „Die Presse“ und „Kurier“, danach beim Hörfunk des ORF, wo er zuletzt Senderchef des Programms Ö3 war, der vornehmlich Popmusik für ein junges Publikum aussendet. 2001 wechselte Roščić in die Musikindustrie. Nach ersten Jahren als Geschäftsführer von Universal Music Austria war er künstlerischer Leiter der Deutschen Grammophon Gesellschaft in Hamburg und Direktor von Decca Records in London. Die letzten zehn Jahre leitete der erklärte Klassik- und Opernfan von New York und Berlin aus die weltweiten Klassik-Aktivitäten von Sony Classical. In diesen Positionen war Roščić einerseits verantwortlich für die traditionsreichen Kataloge der verschiedenen Labels, vor allem aber für neue Signings und die Aufnahme-Projekte einer Reihe wichtiger internationaler Künstler.

Im Gespräch mit dem jungen Moderator Peter Fässlacher, der verhalten und zumeist an der Oberfläche verweilend seine Fragen formuliert, präsentiert der neue Herr am Ring nun seine mit Spannung und Skepsis erwartete erste Spielzeit (Nähere Details finden sich im Artikel von Opera-Online: „Wiener Staatsopernsaison 20/21“) und mehr. Hierzu gehört die Wiederaufnahme des Betriebes eines Opernstudios, für das sich über 1.000 junge Sänger (!) beworben und letztlich aber nur 12 engagiert werden konnten. Zwei Mitglieder des neubegründeten Opernstudios stellten sich im Rahmen der Sendung vor. Die Niederösterreicherin Patricia Nolz mit dem Richard Strauss Lied „Morgen“ wortdeutlich, stilvoll und berührend gesungen sowie der Slowake Peter Kellner, der Wolfgang Amadeus Mozarts Arie „Si vuol ballare“ aus „le nozze di Figaro“ sehr charmant und kernig zum Besten gab.

Neben der Gründung dieses Studios, worin die Sängerinnen und Sänger zwei Jahre bleiben und auch viel auf der Bühne singen werden, waren für Roščić drei weitere Punkte wichtig: Die Erneuerung des Kernrepertoires, weiters das Werk von Mozart und Wagner sowie der Moderne, insbesondere des 20. Jahrhunderts sowie die Öffnung der Oper für alle. Mit letzterem will er junge Menschen, insbesondere Jugendliche aber auch mit einer speziellen Programmschiene Kinder ins Haus locken.

Zehn Premieren stehen am Programm, soviel wie noch nie, der Vorgänger Dominik Meyer brachte nur auf fünf bis sechs pro Saison, und ein reiches Repertoire an 300 geplanten Abenden. Schade ist allerdings, dass lediglich insgesamt 41 Werke am Spielplan stehen, um ca. zehn weniger als bisher. Sehr spärlich ist das Angebot an Wagner-Opern, obwohl als Schwerpunkt angekündigt: Neben der Neuinszenierung des „Parsifal“ sind noch „Die Walküre“ und „Lohengrin“. Im Spielplan, fehlen allerdings ein kompletter „Ring des Nibelungen“ (dieser soll in der nächsten Saison kommen) wie auch – schon länger vermisst – „Der fliegende Holländer“, „Die Meistersinger von Nürnberg“, „Tristan und Isolde“ und „Tannhäuser“.

Zehn Premieren in einer Saison sind ein sehr ambitioniertes Vorhaben, damit will ihm die Erneuerung bedeutender, der meistgespielten Werke des Repertoires in einer Blitzkur gelingen, im Eiltempo quasi. Allerdings sind acht von den Premieren Übernahmen von schon mehrfach gezeigten Inszenierungen, zwar meist große Regiewürfe anderer Häuser, die in verschiedensten Opernhäusern allerdings weltweit schon gezeigt und nicht wirklich neu sind. Das kommt an sich nicht überraschend, denn es war eine der ersten Ankündigungen von Roščić, dass er Regisseure ans Haus bringen wird, die weltweit tätig sind, aber noch nie in Wien gearbeitet haben. So wurde etwa die angesetzte „Carmen“ von Georges Bizet in der Inszenierung von Calixto Bieito aus 1999 (!) mittlerweile schon in 29 Häusern (!), an diversen Spielplätzen rund um den Globus gezeigt. Und da stellt sich schon die Frage, ob man es sich da nicht etwas zu leicht macht und warum man nicht auf mehr eigene Ideen und Akzente setzt.

Als wirklich neue, mit internationaler Aufmerksamkeit verbleibende Inszenierungen bleiben eigentlich nur zwei übrig: Das verratene Meer“ von Hans Werner Henze, unter dem Dirigat von Simone Young, inszeniert von Jossi Wieler & Sergio Morabito sowie Richard Wagners „Parsifal“, inszeniert vom im Hausarrest befindlichen russischen Regimegegner Kirill Serebrennikov, in absoluter Starbesetzung mit Jonas Kaufmann in der Titelpartie, Elina Garanča mit ihrem Debüt als Kundry und Ludovic Tezier.

Im Programm sind so keine wesentlichen neuen künstlerischen Aspekte erkennbar. Es wird weiterhin auf anerkannte Namen und Stars, sowie gängige beliebte Opern gesetzt. Sehr aktiv wird der neue Musikdirektor Philippe Jordan sein, der nicht nur wesentlicher Teil des neuen künstlerischen Führungsteams ist, sondern auch an vielen Abenden am Dirigentenpult stehen wird. So bereits bei der Eröffnungspremiere der Saison von Giacomo Puccinis: „Madama Butterfly“ mit Asmik Grigorian in der Titelrolle, weiters bei Giuseppe Verdis „Macbeth“ mit Anna Netrebko erstmalig als Lady in Wien wie auch beim „Rosenkavalier“ von Richard Strauss, insgesamt fünf Opern. Ansonsten gibt es einige Wiederkehrer (Bertrand de Billy, Franz Welser-Möst, Cornelius Meister und Adam Fischer) am Pult, einige Debütanten und zahlreiche schon in den letzten Jahren tätige Dirigenten. Angekündigt sind jedenfalls die wichtigsten Dirigenten und Sänger, bei Letzteren setzt Roščić auf eine Mischung von Stars, von neuen, aber auch jungen Sängern. Es tauchen viele Sängernamen auf, die man in Wien bisher entweder nur aus anderen Theatern oder den Konzertsälen kannte. Stellvertretend seien hier etwa Tanja Ariane Baumgartner, Michael Spyres, Javier Camarena, Michael Fabiano, Georg Zeppenfeld und Albert Pesendorfer genannt.Die absoluten derzeitigen Topstars sind größtenteils vertreten, zum Teil in zumindest für Wien neuen Rollen und auch die Fans von Placido Domingo dürfen sich freuen. Günther Groissböck soll nach der Absage von Bayreuth hier seinen ersten Wotan singen. Viele der Besetzungen hören sich interessant an. „Es sollen auf jeden Fall die besten ihres Fachs sein“, so Roščić.

Philippe Jordan ist bei der Sendung in ORF III von Paris zugeschaltet, wo er noch musikalischer Direktor der Opera National de Paris ist, und freut sich sichtlich auf seine neue Aufgabe als Musikdirektor und auf die Zusammenarbeit mit Bogdan Roščić in Wien. Aus Düsseldorf hörte man ein kurzes, positives Statement des neuen Ballettchefs Martin Schläpfer, zuletzt Ballettchef der Deutschen Oper am Rhein. Gemeinsam treten sie alle drei ihr Amt zum 1. Juli an.

 

Filmische Porträts dieser drei Personen des neuen Leading-Teams, sowie  Video-Clips und Videobotschaften von Sängern ( Anna Netrebko, Jonas Kaufmann, Elina Garanca und Asmik Grigorian) sowie Regisseuren ( Barrie Kosky, Simon Stone, Hans Neuenfels und Calixto Bieto) über ihre Vorhaben und ihre Vorfreuden belebten erfrischend die Sendung und trugen zum Informationsgehalt bei.

Der designierte neue Chef der Wiener Staatsoper stellte auch provokativ bisherige Erfolgsmaßstäbe infrage. „Vielleicht ist das der größte Irrtum überhaupt, dass es bei einer Institution wie der Wiener Staatsoper darum gehen könnte, als Auslastungsstreber nie unangenehm aufzufallen“, sagte der 56-jährige Bogdan Roščić. Unter dem bisherigen Direktor Dominique Meyer, der nun an der Mailänder Scala den Chefposten innehat, galt die fast 100-prozentige Auslastung des Hauses als wichtige Größe. Neue Ansätze und Erfolgsmaßstäbe liess er offen, wie sie sich auch nicht aus dem Programm der kommenden Saison erkennen lassen.

Die Folgen der Corona-Krise hält Roščićfür noch gar nicht absehbar. Die Krise sei eine Situation, in der man aufpassen müsse, „nicht als das fünfte Rad am Krisen-Wagen davon zu rollen.“ Viele Entscheidungen in der Kulturpolitik stünden nun an. „Die Qualität dieser Entscheidungen könnte das Haus, könnte die ganze Kultur-Szene über Jahre prägen.“

So oder so, man darf auf jeden Fall gespannt sein!

 

Dr. Helmut Christian Mayer

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