Wiener Staatsoper: „Animal Farm“ von Alexander Raskatov : Manche sind doch gleicher als andere

Xl_animal_farm-wien-3-24-4 © Michael Pöhn

„All animals are equal - but some of them are more equal than others”: prangt in riesigen, pinkfarbigen Neonlettern zum Finale auf der Bühne. Es ist das berühmt gewordene Zitat aus George Orwells Tierparabel „Animal Farm“, ein Klassiker aus 1945, das dieser als Satire über den damaligen Sowjetkommunismus und Stalin verstanden wissen wollte. Es handelt von der Genese einer mörderischen Diktatur, von Schweinen, die die Macht auf einem vernachlässigten Bauernhof eines brutalen Besitzers übernehmen aber dann selbst zu Unterdrückern der anderen Tiere werden. Es geht um Inbesitznahme von Privilegien, um Machterhalt und um Tyrannisierung anderer. Auch jetzt nahezu 80 Jahre später erscheint der Roman nach wie vor topaktuell. Der aus Russland stammende, in Deutschland lebende Komponist Alexander Raskatov hat als koproduziertes Auftragswerk nach dem Libretto von Ian Burton daraus eine Oper geschaffen, die nach der Uraufführung im Mai 2023 in Amsterdam nun an der Wiener Staatsoper Premiere hatte.

Die Tiere als Hauptfiguren tragen manchmal Tiermasken oder solche vor sich her, wobei sich der Plot nicht auf einer Farm sondern gleich in einem Schlachthof abspielt. Bei diesen sind Politiker der Sowjetunion porträtiert wie Stalin, Lenin oder Trotzki, von denen es auch Originalzitate gibt. Und sie sind alle durchaus menschlich, oft sogar menschlicher als die Menschen auch im negativen Sinn. Denn sie werden bei ihrem Freiheits- und Gleichheitskampf selbst zu brutalen Wesen, insbesondere das Schwein Napoleon, bald in Menschenkleidern agierend und für Stalin stehend. Und so zeigt Damiano Michieletto in dem Schlachthof voll in Gitterkäfigen eingesperrten oder angeketteten Tieren (Bühne: Paolo Fantin) durchaus sadistische Szenen. Er vermeidet aber plumpe Aktualisierungen würzt sie aber mit viel schwarzem Humor.

Kompositorisch erlebt man alle nur erdenkliche Arten von Tierlauten: da wird gegrunzt, geblökt, gewiehert und gemeckert. Die Gesänge sind meist kurz, teils von extremen Koloraturen und Tonwechseln bestimmt. Es sind nicht weniger als 21 gleichwertige Solistinnen und Solisten auf der Bühne sowie ein hochkonzentrierter Chor der Wiener Staatsoper zu erleben. Gleich zu Beginn erlebt man das alte Schwein Old Mayor als Lenin oder Karl Marx, das von einer gerechten Gesellschaft, von Freiheit von der Sklaverei des Menschen und eine Welt der Selbstbestimmung für Tiere träumt. Es wird von Gennady Bezzubenkov ambitioniert verkörpert. Wolfgang Bankl ist der immer mehr zum Tyrannen mutierende Napoleon, er singt ihn mit forcierter Rhythmik und von allen am menschlichsten. In kaum vorstellbare und kaum singbare Höhen katapultiert sich Holly Flack als Stute Molly. Tadellos auch zu erleben: Andrei Popov als grunzend lachender (Squealer), ein Scherge von Napoleon, Elena Vassilieva mit rabenartiger Krächzerei (Blacky), Michael Gniffke (Snowball), Karl Laquit (Benjamin / Young Actress), Artem Krutko (Minimus),und Clemens Unterreiner (Mr. Pilkington).

Riesig ist das Instrumentarium im Orchestergraben, wo nicht einmal alles Platz hat: Da gibt es zusätzlich E-Gitarren, Piccolotrompeten, Kuckucksflöten, Sirenen, Kuhglocken, Vibraphone, Reibetrommeln, Ratschen u.v.m. Das Orchester der Wiener Staatsoper unter dem souverän und packend dirigierenden Alexander Soddy weiß die komplexe Partitur mit auch jazzigen und reizvollen Passagen hochambitioniert und farbenprächtig umzusetzen. Kompositorisch fehlt es trotz Stil- und Ausdrucksvielfalt an einem Sog, denn der musikalische Fluss wird immer jäh durch Pausen unterbrochen. Viel Applaus!

Dr. Helmut Christian Mayer

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