Wiener Kammeroper: "Der goldene Drache" von Peter Eötvös als Oper der Schmerzen

Xl_goldene_drache-wien-herwig_prammer-2-23 © Herwig Prammer

Fünf Asiaten arbeiten in der Küche des Thai-China-Vietnam-Restaurants „Der Goldene Drache“. Einer davon, ein Neuankömmling, leidet unter Zahnschmerzen. Wegen einer fehlenden Aufenthaltsberechtigung und mangels Geldes ist es für ihn jedoch unmöglich, zum Zahnarzt zu gehen. Weil die Schmerzen immer mehr zunehmen, ziehen ihm die Kollegen mit einer Rohrzange den Zahn, der in der Suppe einer im Lokal dinierenden Stewardess landet. An der nicht endendwollenden Blutung stirbt er schließlich, dabei wollte er eigentlich nur seine Schwester suchen. Er wird von den anderen von einer Brücke in den Fluss geworfen und treibt über die Meere auf einer langen Reise bis in seine Heimat nach China zurück. Dies erzählt er (er wird von einer Sopranistin gesungen) selbst in einer ergreifenden und sehr anrührenden Arie am Ende des 90-minütigen Stücks.

Das ist die Haupthandlung der Oper „Der Goldene Drache“. Daneben gibt es noch mehrere weitere absurde Handlungsstränge, wenn etwa einen Stock darüber eine junge Frau ihrem Großvater von ihrer Schwangerschaft erzählt und bald darauf von ihrem Freund verlassen wird. Und dazwischen ist eine symbolisch überhöhte Parabel von einer Ameise und einer Grille eingeflochten, die von dieser misshandelt wird. Die dick ausgefressene Ameise ist nicht bereit, etwas von ihrem Besitz mit der hungernden Grille zu teilen, mit der Begründung, dass diese selbst nichts zum Besitz beigetragen hat. Der Ausbeutung der Hilflosen gelten weitere Szenen der Oper.

Die Oper basiert auf Roland Schimmelpfennigs gleichnamigem Theaterstück, das 2009 am Wiener Akademietheater uraufgeführt wurde und aus 45 (!) Szenen bestand. Der ungarische Komponist Peter Eötvös sah das Stück in seiner Heimatstadt Budapest und schuf darüber eine Oper, die dann 2014 in Frankfurt uraufgeführt wurde. Als eigener Bearbeiter des Textes kürzte er die ausufernden Handlungselemente extrem. Trotzdem blieben immer noch 20 Szenen und 17 verschiedene Rollen übrig. Diese sind in bunter Folge auf nur fünf Interpreten, zwei Frauen und drei Männer, verteilt.

Jetzt erlebt man das Werk in der Wiener Kammeroper, der Dependance des Theaters an der Wien für kleinere Opern. Dabei gibt es eigentlich kein Bühnenbild, denn nur einige (fiktive) Zuschauer sitzen auf der Bühne mit dem Rücken zum Publikum und geben sehr selten einen Sprechchor ab. Regisseur Jan Eßinger hat den Raum der Kammeroper erweitert. Das eigentliche Geschehen spielt sich nicht nur auf der Vorderbühne,sondern meist im Zuschauerraum selbst, um die Reihen des tatsächlichen Publikums hautnah ab, worauf sich diverse Szenenwechsel von selbst ergeben (Bühnenlösung: Sonja Füsti). Die Akteure sind nur am Rande mit Kostümwechseln beschäftigt (Kostüme: Benita Roth), nicht immer ist dabei auch ganz klar, was gerade los und wo man gerade ist: Anfänglich wird von einer entsprechend gewandeten Putztruppe der Zuschauerraum gesaugt. In der recht drastischen Regie entstehen Momentaufnahmen von persönlichen Katastrophen, Gewalt, Verzweiflung und Schmerz, wobei der gezogene Zahn das „fatale Symbol“ des allgegenwärtigen Schmerzes ist, bis auch dieser am Ende von einer Stewardess auch in den Fluss geworfen wird. Das Werk widmet sich insgesamt der schonungslosen Darstellung der Schattenseiten und Abgründe unserer modernen, globalisierten Welt.

Peter Eötvös, dessen Oper „Die drei Schwestern“ an der Wiener Staatsoper 2020 aufgeführt wurde, zeigt auch diesmal eine komplexe Mixtur aus Geräuschen, schillerndem Sound, Sprechgesang, lautmalerischen, bisweilen mit asiatischen Anklängen versehener Musik, die durchaus auch tonal klingen kann, aber auch mit schmerzlichen stimmlichen Exzessen der Stimmen. Neben dem klassischen Instrumentarium kommen auch Putzkübel, Küchenutensilien und Glückskekse zur Klangproduktion zum Einsatz. Und dies alles kommentiert passend das tragische Geschehen und geht unter die Haut. Die Musik wird von Walter Kobéra, einem ausgewiesenen Fachmann in Sachen zeitgenössischer Oper und den 16 Musiker des Klangforums Wien in Kooperation mit der Kunstuniversität Graz dicht und eindringlichumgesetzt. Es kommt dabei zu einer gewollten Verdichtung der quälenden Situationen. Die pochenden, bohrenden Strukturen kommentieren und illustrieren das Geschehen und schaffen eine dichte Atmosphäre.

Die Protagonisten spielen reichlich unterschiedliche Figuren. Nur Camilla Saba Davies ist ausschließlich der leidende Chinesenjunge, die zentrale Figur mit höchsten Tönen, die immer wieder oft nervig ihren furchtbaren Schmerz kundtun muss. Die intensiv agierende Christa Ratzenböck ist unter anderem die gierig skrupellose Ameise, der exzessive Felix Heuser als Grille ihr bedauernswertes Opfer. Hans-Jürgen Lazar und Peter Schöne agieren u.a. als die Stewardessen und meistern wie alle anderen bravourös ihre wahrlich nicht einfachen Aufgaben.

Viel Applaus!

Dr. Helmut Christian Mayer

 

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