Verdis "Traviata" an der Wiener Staatsoper: Ein IT-Girl namens Violetta

Xl_traviata-wien-3-21-6 © Michael Pöhn

Sie steht ständig im Schweinwerferlicht und wird umschwärmt. Denn sie ist ein Pariser IT-Girl, eine Influencerin, die in den heutigen sozialen Medien zu Hause aber auch gefangen ist. Ihr genießerisches Leben als teils sehr sexy angezogenes Partygeschöpf, das zudem auch für ein Parfumkette wirbt, ist der Schaugier der Massen ausgeliefert: So sieht dies zumindest Simon Stone, der Giuseppe Verdis „La Traviata“ ins Heute verlegt. Jetzt sieht man seine Inszenierung, die schon letztes Jahr an der Opéra national de Paris - sie ist eine Koproduktion mit diesem Opernhaus - gezeigt wurde, an der Wiener Staatsoper. Allerdings durften wieder nur eine Handvoll ausgewählter Journalisten ins Haus. Der Opernfreund konnte sich die tragische Geschichte der Violetta allerdings über Stream bzw. im TV ansehen.  

Und so flimmern fast ständig auf riesigen Videowänden SMS, Emojs, Herzen, Tränen und Selfies und andere Nachrichten herum. Instagram und Twitter sind omnipräsent aber auch reißerische Schlagzeilen. Zudem sind immer wieder Videos und riesige Fotos der Titelheldin, manchmal gar nur von ihren Augen und teils auch von ihrem geliebten Alfredo zu sehen. Natürlich wirken das beinahe ständige Schweinwerferlicht und die häufigen Projektionen für den Betrachter recht anstrengend, überbordend und erschlagen manchmal regelrecht die realen Personen. Aber sie sind immer beeindruckend zeitgemäß. All dies wird auf einen großen Kubus projiziert, der auf der, sich recht häufig drehenden Drehbühne montiert ist, wo sich die lebensnahe Tragödie abspielt. Auf dessen geöffneter Seite sieht man als Zentrum eine minimalistisch eingerichtete, weiße Spielfläche (Bühne: Robert Cousins). Hier wandert Violetta am Denkmal der Jean d’Arc, an einer Döner-Bude oder auch an einer Müllinsel vorbei. Das Landleben wird symbolisiert durch einen roten Traktor inklusive Heuballen und einer Scheibtruhe, die Alfredo vor sich herschiebt. Bis wieder rote Zahlenkolonnen im Hintergrund herunterrattern, die Violettas völlig überzogenes Konto und die bevorstehende Pleite dokumentieren sollen. Insgesamt ist die Bilderflut, die einen förmlich überschwemmt, schon grenzwertig aber trotzdem imposant und topaktuell.

In deren Zentrum steht immer Violetta. Pretty Yende spielt die immer mehr dahinsiechende Frau, die verzweifelt gegen die hoffnungslose Diagnose, aus Tuberkulose wurde ein zeitgemäßer Krebs, ankämpft, mit größter Intensität. Und sie singt die Rolle mit perfekten Koloraturen, großer Innigkeit und Intimität. Vor allem im Finale im Krankenbettsind ihre Piani und ihr Spiel beim Sterben ergreifend.Zum Schluss schreitet sie in einen Spalt mit gleißendem Licht. Als Alfredo ist Juan Diego Flórez zu erleben: Er sprang kurzfristig für Frédéric Antoun ein, der aufgrund der Covid-Beschränkungen die Reise nach Europa nicht antreten konnte. Für Flórez ist es nicht nur seine erste Wiener „Traviata“-Premiere, sondern – nach 125 Abenden im Haus am Ring (!) – überhaupt sein erster Staatsopern-Alfredo. Er muss während des „Brindisi“ singend Champagner in eine Gläserpyramide einschenken. Er schmachtet seine Violetta sehr an und singt ganz klar, sicher und mit viel Gefühl und weltmeisterlich mit seiner phänomenalen Höhe. Als Giorgio Germont erlebt man Igor Golovatenko. Darstellerisch sehr steif singt er dessen Vater mit sehr kultiviertem Bariton, jedoch akzentreich und schwer verständliches Italienisch. Bei den Szenen von Vater und Sohn hätte sich man sich vom Regisseur auch eine detailliertere Personenführung gewünscht. Der gut und homogen singende Staatsopernchor (Einstudierung: Martin Schebesta) in ungemein exzentrischen, grellen Kostümen (Alice Babidge) beim Fest ausgestattet, wird sehr lebendig und spielfreudig in Szene gesetzt. Auch die kleineren Partien sind von hohem Niveau, wie etwa Ilja Kazakov als Doktor Grenvil sowie Margaret Plummer als Flora und Donna Ellen als Annina. Und ein echtes Hausdebüt feiert Giacomo Sagripanti, dessen steile Karrierekurve in den letzten Jahren nach Paris, München, Moskau, St. Petersburg, Dresden und Venedig führte. Der italienische Dirigent sorgt im Orchester der Wiener Staatsoper für einen sängerfreundlichen Klang, ist teilweise doch etwas zu zurückhaltend, aber es gibt auch immer wieder Momente von hoher musikalischer Intensität.

Geplant ist übrigens, dass Simon Stone nächste Saison an der Wiener Staatsoper Alban Bergs „Wozzeck“ inszenieren wird.

Dr. Helmut Christian Mayer

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