Verdis "Don Carlo" am Grazer Opernhaus: Im Seelenkerker der Gefühle

Xl_don_carlo-graz-10-19-2 © Werner Kmetitsch

Immer schmäler und beengter wird der Raum, wenn sich zum Finale die seitlichen Wände auf die sich unglücklich Liebenden, auf Elisabetta und den Infanten langsam zubewegen. Und diese nehmen mit bereits aufgeschnittenen Pulsadern bewegend voneinander Abschied:  Es ist ein klaustrophobischer Seelenkerker der Gefühle, bei dem auch fast jeder andere Mitspieler unentrinnbar selbst Gefangener ist, der hier sichtbar wird. Denn bei der Eröffnungspremiere von Giuseppe Verdis „Don Carlo“ am Grazer Opernhaus hat Gideon Davey eine hölzerne Guckkastenbühne bauen lassen, die je nach Gemütslage der Protagonisten breiter oder enger wird und die mit ihren kassettenartigen Zwischenwänden auch mehrere Räume erzeugen kann. Nach hinten geschlossen zeigt sie Porträts von gekrönten Häuptern der damaligen Zeit.

Darin lässt die Regisseurin Jetske Mijnssen, sie hat hier am Haus schon Tschaikowskis „Eugen Onegin“ 2017 erfolgreich inszeniert, Verdis Meisterwerk in der vieraktigen, italienischen Fassung als intimes Kammerspiel zeitlos ablaufen. Reich und intelligent durchdacht sind ihre Ideen, mit feiner psychologischer Deutung und Zeichnung der tragischen Beziehungen der Figuren. So sind die Protagonisten in stilisierten, historischen Kostümen (Dieuweke van Reij) vielfach auch durch Wände getrennt oder belauschen sich an diesen gegenseitig. So sitzt bei der großen Arie des Königs klar erkennbar seine Geliebte Eboli auf seinem Schoß. So werden beim Autodafé, bei dem sich die Hinterwand des Zimmers öffnet und einen größeren Raum freigibt, die Deputierten aus Flandern blutverschmiert auf Tischen liegend hereingeschoben.

Nicht nur größenmäßig überragt der Hüne Timo Riihonen als Philipp II das gut besetzte Ensemble. Er singt den König mit voluminösem, kultiviertem Bass und fasziniert vor allem in seiner großen Arie „Ella giammai m’amò“. Da kann sein Widerpart Dmitrii Lebamba als Großinquisitor nicht mithalten, denn es fehlt ihm an Durchsetzungskraft und Bassestiefe. Neven Crnic zeichnet den Posa mit kernigem, kraftvollem, später auch edlem Bariton. Der Titelheld Mykhailo Malafi verfügt über ein schönes, fast immer durchschlagskräftiges Tenormaterial, teilweise klingt er etwas angestrengt. Aurelia Florian betört als Elisabetta mit wunderbar lyrischen und innigen Phrasen, aber auch gewaltiger Dramatik. Oksana Volkova singt eine impulsive, expressive Eboli. Auch über die kleineren Partien lässt sich nur Gutes sagen. Den Chor des Opernhauses Graz, dessen Einstudierung Bernhard Schneider besorgte, hört man prachtvoll und ausgewogen.

Spannungsgelangen, klangschön, nuancenreich, mit einer reichen, dynamischen Palette, die nur ganz selten in allzu großen Phonstärken abdriftet, erlebt man das Grazer Philharmonische Orchester unter der ganz exakt agierenden Chefdirigentin Oksana Lyniv.  

Das Publikum reagierte auf diese gelungene Saisoneröffnung mit großem Jubel!

Dr. Helmut Christian Mayer

 

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