Umberto Giordanos "Andrea Chénier" an der Wiener Staatsoper: Ein Sängerfest und packendes Revolutionsdrama

Xl_andrea_chenier-wien-4-18-1 © Michael Pöhn

„Viva la morte insiem!“: Es sind die letzten Spitzentöne der beiden, die sie gemeinsam schmettern, bevor sie unter gewaltigen Orchesterklängen mit einem Holzkarren zum Schafott geführt werden. Aber nicht nur vor ihrem Liebestod, in diesem finalen Duett faszinieren Jonas Kaufmann und Anja Harteros bei Umberto Giordanos „Andrea Chénier“, sondern auch zuvor stimmlich und darstellerisch, besonders wenn sie gemeinsam in voller Harmonie singen und werden vom Publikum im ausverkauften Haus umjubelt. Nicht zu Unrecht werden die beiden immer wieder als das neue Traumpaar der Oper bezeichnet.

Dies war jedoch keineswegs von Anfang an so: Nach London und München singt Jonas Kaufmann die Titelpartie in der gleichnamigen Revolutionsoper, einem richtigen Verismo-Reißer, nun erstmalig an der Wiener Staatsoper: Denn anfänglich wirkt er kurz direkt etwas knorrig in der Tiefe und recht verhalten. Doch er steigert sich immer mehr bis in die höchsten Spitzentöne, die absolut sicher und kraftvoll sitzen. Er weiß mit seinem wunderbar samtigen, baritonal klingenden Timbre und seinem kultiviertem Schöngesang zu betören und ohne Manierismen auch ausdrucksmäßig zu berühren. Er passt ideal in die Rolle des melancholischen, ja verträumten Poeten, der ernsthaft, aber auch leidenschaftlich für die Revolution und die Liebe brennt: Diese Partie ist wie geschaffen für ihn.

Indisponiert angesagt lässt Anja Harteros, seine Münchner Dauerpartnerin, bei ihrem Wiener Rollendebüt als Maddalena di Coigny zu Beginn etwas zurückhaltende, für sie ungewohnte Töne vernehmen. Sie wirkt, wie die Rolle es vorsieht, zu Beginn sehr mädchenhaft, zeigt im Laufe des Abends immer größere Gefühle und reichere Nuancen. Sie begeistert mit großer Legatokultur und tollen Spitzentöne. Ihre große Arie „La mamma morta“ wird zum Ereignis!

Roberto Frontali ist mit seinem kernigen, kräftigen Bariton ebenfalls sehr präsent und kann mitreißend die innere Zerrissenheit des Carlo Gérard darstellen. Aus den zahlreichen Nebenrollen ragen Ilseyar Khayrullova als Bersi, Zoryana Kushpler als sehr berührende Madelon, Carlos Osuna als „Incroyable“, Wolfgang Bankl als Mathieu sowie Boaz Daniel als Roucher hervor. Untadelig singt auch der Chor der Wiener Staatsoper, der von Thomas Lang einstudiert wurde.

Marco Armiliato am Pult liebt den großen Sound und lässt das Orchester der Wiener Staatsoper mit saftiger Dramatik, aggressiven und manchmal lauten, knalligen Revolutionsklängen immer extrem spannend musizieren, nimmt dabei aber nicht immer Rücksicht auf die Sänger. Es sind jedoch auch immer wieder subtile Farbnuancen aus dem Orchestergraben zu vernehmen.

Das packende Revolutionsdrama und Sängerfest erlebt man in der schon etwas in die Jahre gekommenen, ziemlich verstaubt wirkenden Uraltinszenierung von Otto Schenk aus 1981 in traditionellen Kostümen vor einer heruntergekommenen Hausfassade. Sie ist überwiegend geprägt von den unterschiedlichen, schauspielerischen Fähigkeiten der Protagonisten. Bei den Massenszenen dominiert die Statik, die man einfach so hinnimmt.

Zum Schluss ertönt lautstarker Jubel beim begeisterten Publikum.

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