Teatro La Fenice Venezia: Unerbittlicher, schwarzer Terror bei Verdis "Don Carlo" als Saisoneröffnung

Xl_don_carlo-venedig-11-19-3 © Michele Crosera

Zum Schluss gibt es die ultimative Intrige: König Phillip II und sein Sohn, der Infant Don Carlo werden vom Großvater Karl V, der nicht gestorben, sondern versteckt im Kloster lebt, erschossen. Posa, der zuvor nur zum Schein getötet wurde, wird zum König gekrönt und das Motiv des Verrats somit auf die Spitze getrieben! Und hinter allem steckt der Großinquisitor als Strippenzieher: Das ist zumindest die veränderte Lesart Robert Carsens von Friedrich Schillers Drama, auf dem Guiseppe Verdis „Don Carlo“ basiert. Gezeigt wird als diesjährige Eröffnungsproduktion des Teatro La Fenice, eine Koproduktion mit dem Aalto Theater Essen und der Opera national du Rhin Strasbourg, bei letzterer wurde diese Inszenierung schon gezeigt,die vieraktige, italienische Fassung ohne Fontainebleau-Akt, die sogenannte Mailänder Fassung aus 1884. Diese sehr eigenwillige Auslegung des kanadischen Regisseurs von Verdis Meisterwerk, die am Ende beim Publikum hauptsächlich Kopfschütteln auslöste, wird in einem radikal schwarzen, nach hinten ansteigenden und sich verengenden, bedrohlich wirkenden Einheitsraum von Radu Boruzescu, bei dem sich immer wieder in zwei Stockwerken Türen für Beobachter öffnen und schließen, demonstriert. Monochrom schwarz sind auch die herumstehenden, zahlreichen Särge aber auch alle schlichten heutigen, meist kirchlich aussehenden Kostüme (Petra Reinhardt), offenbar um die Übermacht der Kirche zu demonstrieren. Einige weiße Tupfer liefern nur Lilien als Totenblumen. Das radikale Schwarz soll offenbar auch die Ängste und den unerbittlichen Terror der Herrschenden nicht nur am spanischen Hof sondern auch im Heute aufzeigen. Deswegen ist es nur logisch, dass die protestantischen Gesandten aus Flandern mit Genickschuss hingerichtet werden. Leergeräumt und reduziert ist ansonsten die Szene. Trotzdem sind die Begegnungen von Posa mit dem König sowie von diesem mit dem Großinquisitor psychologisch durchdacht und packend inszeniert. Carsen lässt auch sonst die tragischen Beziehungen der zweifelnden und verzweifelten Figuren mit vielen Details und Ideen intelligent ablaufen.Dabei verzichtet er weitgehend auf historisierende Elemente, aber ebenso auf eine klare Neuverortung des dramatischen Geschehens.

Musikalisch bewegt sich die Vorstellung auf höchstem Niveau: Dafür sorgt in erster Linie Myung-Whun Chung am Pult: Spannungsgeladen, nuancenreich oft innerhalb einer einzigen Phrase, mit einer reichen, dynamischen Palette, vom fünffachen aus dem Nichts entstandenen Pianissimo bis hin zu gewaltigen Ausbrüchen kann der Chefdirigent das Orchester des Teatro La Fenice durch seine Zeichengebung vom ersten Ton so motivieren, das es uns gefangen nimmt. Und dabei musizieren die ausgezeichneten Musiker immer mit großer Klangschönheit.

Für die hohe musikalische Qualität sorgen aber auch die Sängerinnen und Sänger: Der Titelheld Piero Pretti verfügt über ein schönes, nicht unsinnliches, immer durchschlagskräftiges und höhensicheres Tenormaterial. Der Rollendebütant Julian Kim zeichnet den Posa mit kernigem, kraftvollem, später auch edlem Bariton und fasziniert von allen Sängern am meisten. Alex Esposito debütiert als Phillip. Er singt den König mit voluminösem, kultiviertem Bass allerdings könnte seine große Arie „Ella giammai m’amò“ berührender sein. Marco Spotti als Großinquisitor hat Dämonie und Tiefe, kämpft jedoch mit der Höhe der Rolle. Maria Agresta betört als Elisabetta mit wunderbar lyrischen und innigen Phrasen, aber auch gewaltiger Dramatik. Veronica Simeoni singt eine impulsive und expressive Eboli. Der junge Leonard Bernard ist der Rolle des Mönchs (Karl V) allerdings nicht ganz gewachsen. Der Chor des Hauses (Einstudierung: Claudio Marino Moretti) singt prachtvoll und ohne Tadel.

Zum Finale gab es großen Jubel!

Dr. Helmut Christian Mayer

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