„Stallerhof“ von Gerd Kühr an der Neuen Oper Wien: Isolation mit allen emotionalen Schattenseiten

Xl_stallerhof-wien-2-22-1 © Armin Bardel

Die Musik schreit, bäumt sich auf, ist radikal. Sie schmeichelt aber auch, ist melodiös, feinnervig und man hört Anklänge an Volksmusik, Kinderliedern und Kirchenmusik. Und vor allem: Gerd Kühr illustriert in seinen vielschichtigen und komplexen Klängen seiner ersten Oper „Stallerhof“, dessen Uraufführung 1988 in München im Rahmen der Biennale höchst erfolgreich stattfand, ideal die Handlung. Damit ist dem aus Kärnten stammenden und lange an der Grazer Universität für Musik und darstellende Kunst lehrenden Komponisten ein großer Wurf gelungen. Bei der Neuen Oper Wien, im Semperdepot wird sie jetzt vom 18-köpfigen amadeus ensemble – wien unter Walter Kobéra, dem unermüdlichen Motor der Neuen Oper Wien, nuancenreich und hochkonzentriert wiedergegeben, wobei im Orchester auch Instrumente wie das Hackbrett und Bassetthorn vorkommen.

Leicht ist die Kost nicht, die da vorgesetzt wird. Die Handlung beruht auf einem Theaterstück von Franz Xaver Kroetz, der auch am Libretto mitwirkte. Denn es geht um Isolation mit allen Schattenseiten, die gerade jetzt in der Pandemiezeit topaktuell ist. Hinter der bäuerlichen Fassade am Stallerhof verbirgt sich Gewalt und Vergewaltigung, aber man spricht nicht darüber, denn jede Sünde muss verheimlicht bleiben. Erzählt wird das Leben der vermeintlich zurückgebliebenen Bauerntochter Beppi, die von ihren Eltern unterdrückt und missachtet wird. Dann wird Beppi schwanger von Sepp, dem wesentlich älteren Knecht, der sie am Jahrmarkt vergewaltigt und den Hof verlassen muss. Eine Abtreibung misslingt.

Regisseurin Shira Szabady zeigt zwar keine beschönigende Bauernidylle, aber ein radikaler Realismus bleibt meist ausgespart.Auf mehreren Holzpodesten mit großteils umgeworfenen Stühlen und einem Bett (Ausstattung: Nikolaus Webern) wird trotzdem sehr emotional gespielt. An der Spitze des überwiegend im Dialekt singenden Ensembles erlebt man Ekaterina Protsenko: Sie spielt die Beppi mit großer Naivität und eingeschüchterter Ängstlichkeit und singt sie mit glockenreinem Sopran. James Tolksdorf ist der wandlungsfähige, nicht unbedingt böse Knecht, mit schönem Bariton. Franz Gürtelschmied spielt den Bauern Staller stets in Unterwäsche und mit der Flasche in der Hand und singt ihn mit passend schneidendem Tenor. Anna Clare Hauf ist seine gut singende, zu ihrer Tochter bösartige Frau. Drei absolut rein singende Solistinnen des Wiener Kammerchors sind zudem noch beim Prolog und den Zwischenspielen mit Bibeltexten zu hören, was einen starken textlichen und musikalischen Kontrast bildet.

Großer Jubel im vollen Haus!

Im Anschluss an die Aufführung wurde noch der alljährlich vergebene „Preis der Deutschen Verlage 2021“ an die Neue Oper Wien verliehen, die seit ihrer Gründung 1980 bereits 86 Produktionen, meist Uraufführungen oder österreichische Erstaufführungen gezeigt hat.

Dr. Helmut Christian Mayer

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