"Semele" von Händel im Stream aus Berlin: Die Unmöglichkeit einer göttlichen Liebe

Xl_semele-berlin-1-21-1 © Monika Rittershaus

Die Unmöglichkeit einer göttlichen Liebe

Gewaltig dampft der Aschenhaufen, aus dem sie schon während der Ouvertüre heraussteigt. Der herrschaftliche Salon rundherum ist völlig verkohlt, der Spiegel verrußt, die Sessel bis aufs Gerippe abgebrannt. Sie will aus dem Raum, doch die Türen sind versperrt. Sie klopft dagegen und schreit: In diesem düsteren Ambiente wird an der Komischen Opern Berlin „Semele“ von Georg Friedrich Händel nicht nur am Beginn, sondern bis zum Ende gezeigt. Denn zum Finale wird die Königstochter blutverschmiert und mit Asche bedeckt wieder in den rauchenden Aschenhaufen steigen. Dieses verkohlte Endzeit-Bühnenbild stammt von Natacha Le Guen de Kerneizon, darin hat Hausherr Barrie Kosky inszeniert.

Die Geschichte von Semele hat Ovid in seinen Metamorphosen festgehalten: Die Königstochter, eine Geliebte Jupiters, wird am Tage ihrer erzwungenen Heirat von Gottvater entführt. In einem schwerbewachten Nest turteln die beiden, bis die eifersüchtige Gattin Juno Rache will. Der von Einsamkeit und Verlassensängsten geplagten Semele pflanzt sie intrigantisch den Wunsch ein, Jupiter in seiner wahren Götterpracht sehen zu wollen und so selbst Unsterblichkeit zu erlangen. Sie fällt darauf herein und stirbt im alles verzehrenden Flammenmeer. Der traurige Gott fügt sich seinem Schicksal, hütet allerdings das gemeinsame ungeborene Kind, das, so will es der Mythos, einmal als Bacchus für Furore sorgen wird.

Barrie Kosky, ist erst relativ spät aufgrund der Krankheit der ursprünglich vorgesehenen Regisseurin Laura Scozzi in den Werdegang der jetzt im Stream gezeigten Produktion aus 2018 eingesprungen. Er macht aus Händels Oratorium entstanden 1744 kein moralisierendes Lehrstück, sondern eine düstere Parabel über die Unmöglichkeit einer Liebe zu einem Gott. Und zwar aus einem retrospektiven Blickwinkel, indem er das Ende vorwegnimmt. Er schafft wie immer ideenreiche, packende Bilder, magische Momente und eine ungemein vitale und rasante Personenführung. Immer dröhnt Donner aus den Lautsprechern. Der Raub erfolgt durch den Kamin, nur ein kleiner, weißer Schleier bleibt für den verzweifelten Bräutigam zurück.

Nicole Chevalier, die auch im Negligé eine tolle Figur macht, meistert die Titelpartie mit intensivem Spiel und wunderbarer Phrasierung, einer reichen Farbpalette sowie perfekten Koloraturen. Allan Clayton singt den Gottvater Jupiter mit viel Gespür und Wärme, besonders bei seiner herrlichen Arie „Where’er you walk“, die ihm wunderbar und poesievoll gelingt. Als eifersüchtige Juno hört man Ezgi Kutlu rasend, hysterisch mit wilder Mimik und einer mitreißenden Rachearie. Evan Hughes singt den Gott des Schlafes Somnus wunderbar kernig und betört die Frauen mit von ihnen erwiderter Erotik. Der Counter-Tenor Eric Jurenas hingegen ist ein ziemlich tölpelhafter und immer blass bleibender Liebhaber Athamas. Als Schwester der Titelheldin Ino erfreut Katarina Bradić mit sehr sanftem Mezzosopran. Philipp Meierhöfer gefällt in der kleinen Rolle des Königs Cadmus von Theben, Nora Friedich sals Iris, der Vertrauten von Juno. Der Chor des Hauses fällt bei seinen rasanten Auftritten mit homogen und ausgefeiltem Gesang auf.

Der Barock-Spezialist Konrad Junghänel am Pult des Orchesters der Komischen Oper lässt Händels Musik ungemein präzise, teils oft sogar zu penibel aber immer sehr durchhörbar erklingen.Erstaunlich was er aus diesem wandlungsfähigen Berliner Klangkörper an barocker Stilsicherheit herausholte.

Viel Jubel nach drei ereignisreichenund nie langweiligenStunden!

Dr. Helmut Christian Mayer

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