Realität und Vision: „Die tote Stadt“ von Erich Wolfgang Korngold in Linz

Xl_tote_stadt-linz-9-22-3 © Philip Brunnader

Als „letzte echte Oper“ bezeichnete kein Geringerer als Marcel Prawy diesen Geniestreich von Erich Wolfgang Korngold. Denn im Alter von erst 23 Jahren schuf der österreichische Komponist, 1920 die Oper „Die tote Stadt“, deren Libretto sein Vater Julius nach dem Roman „Bruges-la-Morte“ von Georges Rodenbach verfasste. Die Partitur ist reich an Stilen und pendelt zwischen aggressiver Harmonik, spätromantischen Überschwang und feinem Impressionismus. Zudem hat Korngold mit „Mariettas Lied“ und dem „Tanzlied des Pierrot“ zwei ins Ohr gehende Schlager ersten Ranges geschaffen, deren melodiöse Schlichtheit beeindrucken. Am Landestheater Linz, wo das Werk zum ersten Mal aufgeführt wird, lassen unter einem sehr differenzierten Dirigat von Markus Poschner das Bruckner Orchester Linz seine Musik schillern und glitzern sowie glockenläutend aufblühen. Sie sorgen für atmosphärische Dichte und einer aufwühlenden Dauererregung ohne in Schwülstigkeit abzugleiten und ohne die Sänger zuzudecken.

In den extrem schwierigen Partien erlebt man Erica Eloff als Marie/Marietta: Strahlend in der Höhe, mit vielen Nuancen in den Lyrismen und dramatischen Ausbrüchen. Andreas Hermann als Paul verfügt über einen textverständlichen, lyrischen Tenor mit schönem Timbre, allerdings nur wenigen Farben. Zum Finale zeigt er leichte Ermüdungserscheinungen. Kernig klingt der Bariton des Martin Achrainer als Frank, kraftvoll hört man Manuela Leonhartsberger als Brigitta. Adam Kim singt den Pierrot mit schön gefärbtem Bariton aber das sehr breit musizierte „Mein Sehnen, mein Wähnen“ mit zu wenigt Ausdruck und ohne Raffinement. Auch die kleineren Rollen und der Chor, Kinder- und Jugendchor des Hauses singen tadellos.

Paul wird von Anfang an in einem Art Sanatorium von Ordensschwestern betreut. Frank wirkt wie ein Polizist, der sich ständig Notizen macht und gemeinsam mit einem zweiten die „Die Kirche des Gewesenen“ durchsucht. Dies und große Projektionen von Marie auf durchsichtigen Vorhängen sowie geheimnisvolle Lichtstimmungen erzeugen eine Atmosphäre wie bei einem Hitchcock-Thriller. Eine Prozession zuerst als Video, dann real erinnert wiederum an Fritz Lang Filme: Dies erzeugt eindringliche Bilder in einem etwas altväterisch eingerichteten Raum (Bühne: Harald B. Thor) in Kostümen der Entstehungszeit der Oper (Tanja Hofmann). Die Vermischung von Realität und Visionen, die der Handlung immanent ist, gelingt so dem deutschen Regisseur Andreas Baesler ideal, die Geschichte wird dicht erzählt. Zum Schluss darf Paul allerdings die Stadt nicht mit Frank verlassen, sondern muss in eine Zelle, die er durch ein großes Gittertor betritt.

Stehende Ovationen!

Dr. Helmut Christian Mayer

 

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