Prokofjews “Der feurige Engel“ am Theater an der Wien: Siedende Expressivität

Xl_feuriger_engel-wien-3-21-1 © Bernd Uhlig

Bis zum obersten Bühnenrand steht der Turm aus aufgestapelten und verschlungenen Metallbetten, auf welchen in verschiedensten Höhen Frauen sitzen und zum wuchtigen Finalchor singen. Und sie alle werden Zeugen des letzten Übergriffs auf Renata. Ein Inquisitor, ein rauchender Schreibtischtäter, lässt sie sich von Mephisto vorführen und erschießt sie dann: Mit diesem starken Bild lässt Andrea Breth Sergej Prokofjews selten gespielte Oper „Der feurige Engel am Theater an der Wien enden, die jetzt wieder vor wenigen Journalisten als Aufzeichnung für TV und eine DVD ohne Stream aufgeführt wurde. Der Komponist schrieb auch selbst das Libretto (nach dem Roman von Valerij Brjussow) dieser absoluten Rarität, die obwohl schon 1922 bis 1925 entstanden, erst nach dem Tode von Prokofjew 1954 in Paris erstmalig vollständig, wenn auch nur konzertant, uraufgeführt wurde. Die szenische Premiere erfolgte ein knappes Jahr später im Teatro La Fenice in Venedig.

Renata ist eine von religiösem und zugleich erotischem Wahn besessene Frau. Sie ist auf der ständigen Suche nach Madiel, einer seit ihrer Kindheit immer wieder auftauchenden Erscheinung, die sie liebt. Zwecks körperlicher Vereinigung hat sich dieser feurige Engel in den Grafen Heinrich verwandelt. Das Glück endet jedoch, als er sich aus der Zweisamkeit schleicht. Seitdem ist Renata auf der Suche nach ihrem Grafenengel. Ihr aktueller Reisegefährte ist ein gewisser Ruprecht, der sie immer zu lieben beginnt und sie letztlich vergeblich zu retten versucht.

Auf Grund dieses offensichtlichen Wahns der Renata in dieser doch ziemlich kruden, dunklen aber symbolprallen Geschichte aus Deutschland aus dem 16. Jahrhundert war es für Andrea Breth offensichtlich naheliegend, gleich die gesamte Handlung in eine geschlossene Psychiatrie unserer Zeit zu verlegen. Kahle Wände, Bretterverschläge, hässliche Metallbetten, blanke Matratzen, aseptische Badewannen, Mistkübel: Grau in Grau, blutleer und kalt ist das Einheitsambiente der nackten Anstaltsräume, das Bühnenbildner Martin Zehetgruber dazu erdacht hat. Alle handelnden Personen, außer den Ärzten, sind traurig umnachtete, zuckende und sich kratzende Insassen. Schädelvermessungen, Gruppentherapien und sadistische Anwandlungen der Ärzteschaft finden statt. Erzeugt wird zwei Stunden lang eine quälende Atmosphäre der Aussichtslosigkeit und das fahle Gesicht des menschlichen Grauens. Jedoch wird mit diesem Konzeptionsansatz kaum mehr die Beziehung Renatas zum, sie liebenden Ritter Ruprecht gezeigt. Auch alles Mystische und Märchenhafte, wie alles Moralische wird ausgeblendet. Breth nimmt durch diese Reduktion dem Stoff die Vielschichtigkeit der Bedeutungsebenen und die Ambivalenz der Figuren. Die Frage, ob es sich bei Renata um einen psychotischen Wahn oder eine religiöse Erleuchtung handelt, kommt gar nicht erst auf. Was aber total mitreißend ist, ist die herausragende, packende, punktgenaue, teils sehr drastische Führung der Figuren und des Chores.  Dank den tollen Sängerschauspielern bis hin in die kleinste Nebenrolle und einigen zusätzlichen Schauspielern gelingt das Kunststück, all dies ohne Billigkeit darzustellen.

Und mit Ausrine Stundyte, die "Elektra" der vergangenen Salzburger Festspiele wurde eine grandiose Renata gefunden. Die Litauerin, die die Partie bereits in Zürich in der Regie von Calixto Bieto gesungen hat, schafft es, die herausfordernde Rolle nicht phänomenal zu singen, sondern die Kindsfrau auch grandios zu spielen. Sie krümmt sich, hämmert mit ihren Fäusten auf den Kopf und findet nur manchmal wie ein Kind Trost bei einem kleinen Teddybären. Bo Skovhus als der sie liebende, exzessiv singende Ruprecht kann als Zerrissener zwischen Wut und Resignation keinen Frieden finden. Natascha Petrinsky als Wirtin/hier gestrenge Ärztin überzeugt ebenso wie Elena Zaremba als intensive Wahrsagerin. Nikolai Schukoff ist ein subtil böser und schneidender Agrippa/Mephisto, der Wolfskopfsmenschen füttert, einem Patienten das Herz herausreißt und diese Leiche in der Mülltonne entsorgt. Markus Butter ist ein idealer Matthias, der später zum Faust mutiert ebenso wie Alexey Tikhomirov als Inquisitor. Auch sonst ist die Sängerriege ohne Schwachstellen. Großartig ist wie immer der Arnold Schönberg Chor.

Es ist auch eine großeLeistung, die Sängerinnen und Sänger nicht hinter der Klangwand verschwinden zu lassen, denn Prokofjew hat ein groß instrumentiertes Werk geschaffen, das tonale Passagen mit starken Dissonanzen als Hinleitung auf die Brüche der Charaktere kombiniert. Es sind eindringliche Klanggebilde, in denen die dichten Themen sich wie Blöcke auftürmen. Constantin Trinks lässt das ORF Radio-Symphonieorchester Wien kontrastreich und raffiniert musizieren, peitscht es mächtig, beinahe bis zur Unerträglichkeit auf und erzeugt mit der hochexpressiven, dunklen Tonsprache einen unwiderstehlichen packenden Sog, der gefangen macht und eine schneidende Siedehitze.

Und doch wird diese Leistungen nach der Aufzeichnungspremiere vor weitgehend leerem Haus wohl für längere Zeit niemand zu sehen bekommen. Die Gespräche über die noch für die erste Jahreshälfte angedachte TV-Ausstrahlung laufen noch. Fix ist aber immerhin, dass man die Oper anhören kann: Ö1 strahlt den Mitschnitt am 27. März ab 19.30 Uhr aus.

Dr. Helmut Christian Mayer

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