Mussorgskijs „Boris Godunow“ an der Wiener Staatsoper: Musikalisch aufregend, szenisch fad

Xl_boris_godunow-wien-5-22-1 © Michael Pöhn

Die Entscheidung zur Wiederaufnahme Modest Mussorgskijs Oper Boris Godunow an der Wiener Staatsoper fiel schon vor vielen Monaten noch weit vor dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Jetzt wurde auf die Aktualität des Stoffes angesichts dessen im Programm verwiesen. Aber es wurde ein langer Abend! Hauptverantwortlich dafür ist die oberflächliche, szenische Realisierung von Yannis Kokkos der Urfassung der Oper. Minimalistisch, zeitlos, schwarz und nichtsagend ist das Bühnenbild, das irgendwo und irgendwann sein könnte und alles Eindeutige verweigert mit geometrischen Formen, Treppen und nur ganz wenigen Versatzstücken, wie einem Engel, einer später umgestürzten Riesenstatue und einem Goldthron. In einem modernen Kostüm - Mischmasch mit wenigen Goldroben wird hauptsächlich herumgestanden und –geschritten. Der griechische Regisseur und Ausstatter vermochte weder zu einer packenden Einzelpersonenführung finden und auch nicht die Massen in dynamische Formationen zu organisieren. Wenn da nicht doch einige Singschauspieler nach eigenem Gutdünken agiert hätte, hätte sich überhaupt nur szenische Langeweile verbreitet.

Dass der vierstündige Abend aber doch Profil gewann, dafür sorgte das Sängerensemble: Der Ukrainer Alexander Tsymbalyuk lieferte ein differenziertes Rollenprofil des wegen des Kindsmords durch Gewissensbisse geplagten und in den Wahnsinn getriebenen, zerrissenen Zaren Boris ab. Von eminenter Präsenz waren sowohl seine stimmlich kraftvollen als auch szenischen erschütternden Auftritte mit nobler Phrasierung. Vor allem seine Sterbeszene, in der er ergreifend von seinem Sohn Fjodor (tadellos: Margaret Plummer) Abschied nimmt, gingen unter die Haut. Der Russe Vitalij Kowaljow war ein sonorer, warm timbrierter Pimen, auch Dmitry Golovnin mit einem durchschlagskräftigen, Tenor als Grigori, der sogenannte falsche Dmitri, gefiel. Gut auch die vielen anderen Partien, die teils mit verlässlichen Ensemblemitgliedern besetzt wurden: Thomas Ebenstein als schmieriger Schuiskij, Dan Paul Dumitrescu als profunder Hauptmann, Stephanie Maitland als voluminöse Schenkwirtin und Ilja Kazakov als kraftvoller Bettelmönch Warlaam. Etwas blass: Ileana Tonca (Xenia) und Stephanie Houtzeel (Amme). Auch Sergey Kaydalov in der Partie des Schtschelkalow, und Evgeny Solodovnikov als Nikilitsch überzeugten. Der Chor der Wiener Staatsoper, verstärkt vom Slowakischen Philharmonischen Chor, einstudiert von Thomas Lang, war mit Klanggewalt und überwiegender Homogenität zu hören.

Auch das Orchester der Wiener Staatsoper unter Sebastian Weigle sorgte für keine Längen, es musizierte vielmehr sehr differenziert in Dynamik und Stimmungen. Manchmal fehlte es jedoch an Feinzeichnung. Zudem gab es einige Koordinationsprobleme mit der Bühne.

Dr. Helmut Christian Mayer

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