Mahler an der Wiener Staatsoper fragwürdig in Szene gesetzt

Xl_kindertotenlieder-mahler-wien-10-22-2 © Michael Pöhn

Von 1897 bis 1907 war Gustav Mahler Direktor der Wiener Hofoper (der Vorgängerin der jetzigen Staatsoper) und prägte wie kaum ein anderer das Haus am Ring. Er holte damals das Opernhaus in die Moderne. Der Schöpfer von grandiosen Symphonien hat leider selbst keine Oper geschrieben. Er kam über die Jugendversuche und Fragmente von „Die Argonauten“ und „Rübezahl“ nie hinaus. Und so kam der amtierende Operndirektor Bogdan Roscic auf die Idee, Mahler heuer zum 125. Mal jährenden Amtsantritt an der Staatsoper entsprechend zu würdigen. So wurden unter dem Titel „Von der Liebe Tod“ als erste diesjährige Premiere zwei Werke, und zwar das Jugendwerk „Das klagende Lied“, sein Opus 1, und die viel später entstandenen „Kindertotenlieder“ zusammengespannt und zur Aufführung gebracht. Aber warum ausgerechnet szenisch?

Im frühen Stück, einem Märchenspiel, geht es um ein Brüderpaar, das eine Königin erobern will. Das funktioniert aber nur dann, wenn man ihr eine bestimmte Blume bringt. Einer der Brüder findet sie auch tatsächlich, wird aber vom anderen Bruder erschlagen, der auch die Leiche vergräbt. Der Überlebende bekommt dann die Königin zur Frau. Ein Spielmann findet viel später einen Knochen und bastelt daraus eine Flöte. Als er darauf spielt, kommt der Mord zum Vorschein und der gesamte Palast stürzt ein. In den späten „Kindertotenliedern“ hingegen beklagen Eltern, den Tod eines Kindes.

Jetzt hat man diese zwei nicht für das Theater geschaffenen, so grundverschiedenen Stücke, die kaum einen Handlungsstrang besitzen, zusammengespannt und szenisch umzusetzen versucht. Dies scheint derzeit eine Modeerscheinung zu sein, denn auch das Opernhaus Graz versuchte vergeblich eine gelungene, szenische Umsetzung von Benjamin Brittens „War Requiem“. An der Wiener Staatsoper wurde Calixto Bieito mit dieser Aufgabe betraut und das Ergebnis ist sehr fragwürdig. Er zeigt eine Art Endzeitdrama mit der Abhängigkeit des Menschen von den digitalen Realitäten: Ein kahler, blendend weißer, steril wirkender Raum (Bühne: Rebecca Ringst), alle Protagonisten und der Chor in weißen Kostümen (Ingo Krügler), verpackte Blumen, ein dominanter, riesiger bunter Kabelsalat, wie das Wurzelwerk eines Baumes, der von oben hereinbricht und herunterschwebt und von den Choristen wie ein Schirm aufgespannt wird. Dann wird mit den einzelnen Kabeln getanzt und gekuschelt, was wie eine künstliche Beschäftigungstherapie wirkt. Diese Elektroleitungen dominieren auch den zweiten Teil des Abends, bei dem die Bühne jetzt in Pink getaucht ist, und wo Kinder fluoreszierende, abstrakte oder symbolhafte Wandmalereien anbringen. Natur kommt nur bei einem Blumentopf mit roten Blüten und etwas Erde vor. Viel ist dem Regisseur sonst nicht eingefallen und alles wirkt ziemlich farblos.

Hauptsächlich wird auch statisch gesungen, aber das ganz ordentlich und gut: Vor allem vom sehr homogenen Chor der Wiener Staatsoper (Einstudierung: Thomas Lang), der im ersten Teil die Hauptlast trägt. Auch die Solisten gefallen: Vera-Lotte Boecker mit klarem Sopran, Tanja Ariane Baumgartner mit imposantem Alt, Daniel Jenz mit höhensicherem Tenor und Florian Boesch, der vor allem bei den zärtlichen und tieftraurigen Kindertotenliedern unterstützt von der hingebungsvollen Altistin seine feinen, stimmlichen Qualitäten mit liedhafter Intimität einbringen kann.

Lorenzo Viotti weiß bei seinem Staatoperndebüt beim Orchester der Wiener Staatsoper, einen unpathetischen Mahler mit reichen Nuancen und feinsten Lyrismen besonders im zweiten Teil zu erzeugen.

Viel Applaus im erstaunlich halbleeren Auditorium des Hauses!

Dr. Helmut Christian Mayer

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