Leoš Janáčeks „Katja Kabanova“ in Graz: Zwischen unterdrückter Sexualität und scheinheiliger Bigotterie

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Hammer und Sichel werden gleich zu Beginn von den Fenstern abgekratzt und durch Heiligenbilder ersetzt. Das Hallenbad, das noch mit Kacheln und Leitern rudimentär vorhanden ist, wurde wieder zur Kirche zurückgebaut (Bühne: Eleni Konstantatou). Anika Rutkofsky versetzt am Grazer Opernhaus den dörflichen Hintergrund der russischen Vorlage, dem Drama „Gewitter“ von Alexander Ostrowski, für „Katja Kabanova“ von Leoš Janáček in die Zeit des Verfalls der Sowjetunion. In diesem Einheitsbild spielt die tragische Geschichte der Katja, die von ihrer Schwiegermutter terrorisiert wird und letztlich eine Affäre mit Boris eingeht. Die Regisseurin betont dabei nicht immer gerade subtil die erotischen Träume der Titelheldin, die sich auch im Bühnenbild mit einem überdimensionalen Vorhang, der stark an eine Vulva erinnert, widerspiegelt. Wie überhaupt die Lust der Gläubigen tagsüber unterdrückt wird und sie alle sittsam in der Kirche beten, während man sich nächtens hier zu ausgiebigen Schäferstündchen trifft. Nach ihrem Geständnis des Ehebruchs geht Katja entgegen dem Libretto nicht in selbstmörderischer Absicht in die Wolga, sondern wird von der Kirchengemeinde kollektiv mit Gebetsbüchern erschlagen. Ebenso wie ihr schwacher Mann Tichon, als er sich scheinbar erleichtert über den Tod seiner Frau, den Kirchendiener Kuligin (gut: Martin Fournier) vor allen küssend, als homosexuell outet.

Noch aufwühlender als die Szene ist zweifellos die musikalische Seite und hier vor allem die Grazer Philharmoniker unter Roland Kluttig, der damit seine letzte Opernpremiere hier am Haus bestreitet. Janáček Musik wird mit mitreißender Schönheit und Ausdruckskraft gespielt. Dunkel gefärbt werden Gefühle der Personen aber auch die Naturstimmungen und ihre Gewalten in einer ohne Pause gezeigten Fassung geschildert.

Marjukka Tepponen gibt ihr Rollendebüt als eine von Liebe und Zärtlichkeit träumende, sehnsuchtsvolle Titelheldin mit lyrischer Eleganz, intensiver Leidenschaft aber auch großem Leiden, ohne je forcieren zu müssen. Die finnische Sopranistin kann sich auch im Schlussmonolog noch immens steigern. Unerfüllt ist sie in ihrer Ehe mit dem schwachen Muttersöhnchen Tichon. Er ist ein Symbol für das willenlos gehorchende Volk und die weiche russische Seele. Er wird von Matthias Koziorowski mit kraftvollem Tenor gestaltet. Terrorisiert werden beide von ihrer dominanten Schwiegermutter Kabanicha, die von der ungemein präsenten, bösen und kalten Iris Vermillion, mit weißen engelsgleichen Kirchengewändern auftretend, gesungen wird. Sie hat ein Verhältnis mit dem zum orthodoxen Popen umgedeuteten Kaufmann Dikoj, der von Wilfried Zelinka ideal gesungen. Katjas Liebhaber Boris ist hier ein Novize und wird von Arnold Rutkowski mit höhensicherem, leuchtendem Tenor gesungen. Kokett und lasziv spielt und singt Mareike Jankowski die Varvara, mit hellem Tenor Mario Lerchenberger ihren geliebten Kudrjasch. Exzellent und sehr homogen hörte man den Chor der Grazer Oper (Einstudierung: Bernhard Schneider).

Viel Applaus!

Dr. Helmut Christian Mayer

 

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