Humperdincks "Hänsel und Gretel" im Wiener Staatsopernstream: Klangzauber im dunklen Wald

Xl_h_nsel_und_gretel-wien-4-20-1 © Wiener Staatsoper

Gemütlich ist sie schon, diese warme Stube, wo die gesamte liebe Familie zusammensitzt. Mit einer „Laterna magica“ beginnt der Vater während der Ouvertüre wundersame Bilder an die Wand zu zaubern, die von den Kindern bestaunt werden. Plötzlich machen sich diese selbstständig und ganz überraschend fliegt eine Hexe über die Wand. Und dann - Hokuspokus - weitet sich der Raum immer mehr und die zwei Kinder finden sich in einer Grimmschen Zauberwelt wieder.

Mit dieser Rahmenhandlung lässt Adrian Noble seine Inszenierung von Hänsel und Gretel an der Wiener Staatsoper beginnen, Erstaunlicherweise war diese im Jahre 2015 die erste Produktion dieser populärsten Märchenoper von Engelbert Humperdinck, die meist die erste Begegnung der Kinder mit dem Genre Oper überhaupt darstellt, seit der Wiedereröffnung des Hauses 1955. Jetzt wurde eine Reprise davon vom Jänner 2017 gestreamt. Und angepasst an diese „Laterna magica“, diesem optischen Wundergerät aus dem 19. Jahrhundert sieht man auf der Bühne immer kreisrunde Bilder, wie durch ein Kaleidoskop betrachtet, in Scherenschnitt-Optik, die von einem schwarzen Wald dominiert werden (Ausstattung: Anthony Ward). Mit zusätzlichen, filmischen Projektionen, wie einem lächelnden oder gähnenden, riesigen Mond, der auch mit den Augen blinzeln kann, oder schwirrenden Schmetterlingen, wie auch einem riesigem, beobachtenden Auge der Hexe entsteht eine gewisse Fantasy-Atmosphäre. Während der schwebende Käfig, in dem Hänsel gefangen ist, mit dem riesigen Raben darauf und der große Backofen recht imposant wirken, nimmt sich das putzige, winzige Knusperhäuschen, das von unten aus der Versenkung erscheint, geradezu minimalistisch aus. Der britische Regisseur zeigt die Geschichte, dessen Libretto von Adelheid Wette, der Schwester des Komponisten stammt und das absolut dem gleichnamigen Märchen der Gebrüder Grimm folgt,  sehr konventionell, ohne Neudeutungsversuche. Frei von irgendwelchen tiefenpsychologischen Deutungen, ist es durchaus für Jung und Alt geeignet ohne Langweile mit Märchenromantik und einigen faszinierenden Bilder. Nur hätte man sich in so mancher Szene, etwa der Pantomime mehr Fantasie und Poesie gewünscht.

Die Stimmen sind auf gehobenem Qualitätsmaß zu hören: Chen Reiss ist eine entzückende, kindliche Gretel. Margaret Plummer singt einen stimmkräftigen und kompakten Hänsel. Beide singen und spielen mit natürlicher und jugendlicher Naivität. Michaela Schuster als Knusperhexe spielt listig-bösartig, wirkt aber eher humoristisch denn bedrohlich. Maria Nazarova hört man als glasklares, blitzsauberes Sand- und Taumännchen. Sehr kraftvoll singt Sebastian Holecek den Vater Peter Besenbinder. Donna Ellen ist eine solide Mutter Gertrud. Der Kinderchor der Opernschule und die Studierenden der Ballettakademie der Staatsoper, faszinieren durch ihre Spielfreude.

Beim Orchester der Wiener Staatsoper unter Axel Kober, wird der spätromantische, von Richard Wagner unverkennbar und immens beeinflusste Orchestersatz, der mit Elementen der Volksmusik verbunden ist, mit seiner sprechenden Natur- und Waldschilderung wunderbar schillernd und delikat musiziert. Die vielen Feinheiten der Partitur werden weidlich und detailreich ausgekostet.  Kober mischt wunderbar die Farben und modelliert den Klang, dass es eine Freude ist. Bei der Uraufführung 1893 in Weimar stand übrigens Richard Strauss am Pult des Orchesters.

Viel Applaus!

Dr. Helmut Christian Mayer

| Drucken

Mehr

Kommentare

Loading