"Hoffmann" in Berlin: Wahnvolle, seltsame Kuriositätenschau

Xl_hoffmann-berlin-komische_oper-stream-1-21-4 © Komische Oper Berlin - Bildschirmfoto

Zuerst glaubt man doch tatsächlich, in der falschen Oper zu sitzen: Denn die ersten Töne, die erklingen, stammen nicht von Jacques Offenbach, sondern von Wolfgang Amadeus Mozart. Es ist die Ouvertüre aus „Don Giovanni“. Aber noch bevor die Musik überhaupt erklingt, sitzt ein alter Mann auf einem erhöhten Viereck, vollgeräumt mit einem Flaschenmeer, und lallt vor sich hin. Er steigert sich dann in einen wilden Text auf Deutsch, in dem auch immer wieder der Name „Stella“ fällt: Bald lässt sich erahnen, dass dies der alte Hoffmann sein könnte, der von Uwe Schönbeck, auch später omnipräsent und immer wieder sprechend, gespielt wird. Die sonst üblichen, nunmehr völlig gestrichenen Dialoge werden durch eingestreute Erzählfragmente, die von E.T.A. Hoffmann stammen, ersetzt. Aber die Regie begnügt sich nicht mit diesem Schauspieler in der Titelpartie von „Hoffmanns Erzählungen“, sondern es kommen noch zwei weitere „Hoffmänner“ als Sänger, die französisch singen, dazu. Ein Bariton für die ersten beiden Akte, so wie es der Komponist irgendwann einmal vorgesehen haben soll: Dominik Köninger fällt so die Aufgabe zu. Und da er über ein sehr warmes, äußerst angenehmes hohes Register verfügt, passt seine, nur manchmal naturgemäß in der Höhe angestrengt wirkende Stimme gut zu dieser Partie. In den letzten beiden Akten musss er die Rolle an einen Tenor abgeben, dem Edgaras Montvidas zum Betören von Antonia und Giulietta seine schmelzige Stimme leiht: Hoffmann ist also in dieser Produktion multipel, was aber überhaupt nicht zur größeren Verständlichkeit der ohnedies schon verworrenen Handlung führt.

Wie so oft hat man also für die nicht fertiggestellte, einzige Oper von Offenbach auch an der Komischen Oper Berlin jetzt wieder eine eigene Fassung kreiert, hauptsächlich um damit Barrie Kosky seinen eigenen Vorstellungen einer Hoffmann Fantasie, ja einem Wahn in einer rauschhaften, seltsamen Kuriositäten-Schau gerecht zu werden. So sieht man jetzt im Stream dieser Inszenierung aus 2005 viele Skurrilitäten und verrückte, überbordende Ideen: Der bestens singende Chor der Studenten in der Wienstube ist in lange Frauenkleider gehüllt, Olympia singt aus einem Holzkasten, deren Laden sich öffnen lassen. Katrin Lea Tag hat dazu ein frei schwebendes, in alle Richtungen bewegliches und stimmungsvoll ausgeleuchtetes Quadrat, einen fliegenden Teppich der Hoffmann'schen Fantasien, in den Raum gehängt, auf, vor und unter dem sich ein geschickt und gefällig arrangiertes Treiben entfaltet. Da wird im Takt getanzt und gewippt, da eilen im Antonia-Akt ganze Horden geigender Mütter herbei, um ihrer Tochter alptraumatisch mit den Bögen über Kehle und Körper zu streichen. Bis es einem letztlich auf Grund der überbordenden Idee einfach zu viel wird.

Das Orchester der Komischen Oper Berlin unter Stefan Blunier spielt süffig, dazu sehr akzentuiert, manchmal recht laut, und nicht immer mit der nötigen poesievollen Sensibilität.

Nicole Chevalier ist eine Klasse für sich: Sie singt alle von Hoffmann begehrten Frauen erstklassig und ungemein differenziert wie auch wandlungsfähig: Als Olympia mit saubersten Koloraturen und zusätzlich mit überschnappenden, witzigen Geräuschen, wobei sie zudem in einem Varieté-Zauberkasten steckt, wo nur der Kopf sichtbar ist und aus deren Schubladen fremdgesteuerte Hände auftauchen. Ungemein innig, lyrisch singend und szenisch berührend, wie sie dann die Antonia als Verlorene anlegt und schließlich als durchaus erotische Kurtisane Giulietta. Die Gegengestalt zu den Frauenfiguren ist der Hoffmann von Schauspieler Uwe Schönbeck: Ekelhaft schnaubend, gurgelnd und kichernd porträtiert er den Dichter als altes, lächerliches Weinfass, der zum Schluss eingesargt wird und bei dem Realitäten und Fantasien völlig verschwimmen. Zuvor krächzt er mit Karolina Gumos, die einen wunderbaren Niklas/Muse und auch die die Stimme der Mutter singt, noch das „La ci darem“-Duett aus „Don Giovanni“. In den Rollen der Bösewichter erlebt man mit Dimitry Ivashchenko einen ungemein schönen, kernigen und auch durchaus dämonischen Bariton. Solide singen Peter Renz (Andrès/Spalanzani/ Pitichinaccio) sowie Philipp Meierhöfer (Cochenille/Crespel/Peter Schlémil).

Zum Schluss gibt es viel Applaus aber doch einige Buhs für Kosky.

Dr. Helmut Christian Mayer

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