Graz: Szenische Überflutung von Benjamin Brittens „War Requiem“ am Opernhaus

Xl_war_requiem-graz-9-22-1 © Photowerk

Von Anfang an steht der blumenübersäte Sarg im Foyer. Er wird dann über den Zuschauerraum hineingetragen und auf der Bühne zentral aufgestellt: Es ist ein skurriles Begräbnis, das da stattfindet. Chor und eine Unmenge von Statisten als aufgeputzte, ordenbehangene Offiziere, Damen in Abendkleidern, Herren in Smokings, Burschenschaftler und viele mehr ziehen endlos zeitraubend in grotesken Kostümen (Annette Braun) in den Zuschauerraum. In diesen ragt eine eigens konstruierte Bühne samt Buffet (Bühne: Sebastian Hannak) weit hinein, wofür etliche Reihen im Parkett entfernt werden mussten. Logen, Balkon und Parkett werden von dieser skurrilen Trauergesellschaft bespielt und auch das Publikum ist Teil der Inszenierung. Nach gefühlten 20 langen Minuten erklingt erst der erste Ton von Benjamin Brittens “War Requiem“ als Eröffnungspremiere der Oper Graz. Für dessen ausufernde, szenische Umsetzung zeichnet Lorenzo Fioroni verantwortlich. Er hat in Graz 2016 Bohuslav Martinus „Griechische Passion“ und 2018 die beiden Opernzwillinge „Cavalleria rusticana“ von Pietro Mascagni und „I Pagliacci“von Ruggero Leoncavallo inszeniert. Der Schweizer Regisseur ertränkt mit seinen völlig ausufernden Ideen und einer überfrachtenden Bilderflut das Werk zur Gänze. Requien zu inszenieren, ist keine neue Idee, wie dies beispielsweise bei den Händel Oratorien immer wieder passiert ist, nur Brittens kontemplatives Stück ist ohne äußere Dramatik und erzählt keine Handlung. Und es wird noch schlimmer: Immer wieder gibt es Gewalttätigkeiten unter den Ehrengästen, einmal sogar in eine chaotische Massenrauferei ausartend. Besonders „störend“ sind die beiden Solisten, die englische Kriegsgedichte von Wilfried Owen rezitieren, während der Chor ein lateinisches Requiem intoniert. Einer davon wirkt mit seiner Halbmaske wie das Phantom der Oper, der andere wie eine Hardrock-Legende von „Motörhead“. Weiters: Kinder mit Matrosenanzügen, ein Todesengel, der mit einer Maschinenpistole die Gesellschaft bedroht, Transparente mit Protestaufschriften werden von den Logen herabgelassen, Papierschnipsel fliegen durch die Luft. Zahlreiche Videoprojektionen sind zu sehen, auf einer sucht sich ein Flugkörper zum Finale zielgerichtet die Grazer Oper und detoniert, das Licht erlischt. Jetzt ist der Krieg auch hier angekommen.

Da die exzellent spielenden Grazer Philharmoniker ganz weit hinten an der Rückwand der Bühne sitzen, sind sie akustisch unter ihrem Chefdirigeten Roland Kluttig unterrepräsentiert. Dazu stören auch das ständige, laute Herumgerenne, Getrampel, Gezappel, Lachen, Weinen. Aber trotzdem ist es erstaunlich, wie er alles souverän koordiniert. Das seitlich situierte Kammerorchester unter Johannes Braun spielt ebenfalls hervorragend. Sehr gut die Solisten: Flurina Stucki (Todesengel) singt mit klarem, höhensicherem Sopran die exponierte Rolle. Matthias Koziorowski mit hellem, höhensicherem Tenor (Phantom) und Markus Butter mit herbem Bariton. Spielfreudig, erstaunlich homogen und klangvoll trotz der ständigen Aktionen singen der Chor und Extrachor der Grazer Oper (Einstudierung. Bernhard Schneider) und der Kinderchor des Hauses ihren heiklen Part.

Trotzdem viel Applaus!

Dr. Helmut Christian Mayer

 

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