Gounods "Faust" in Wien: Szenisch überfrachtet-musikalisch ansprechend

Xl_faust-esposito-kulchynska-osborn__c__stephan_br_ckler-11-25 © Stephan Brückler

Ständige Video-Einspielungen auf mehreren Leinwänden, meist live von mehreren Kameras, die von störend auf der Bühne herumhuschenden Kameraleuten bedient werden, wo man das Geschehen aus anderen Perspektiven und in Nahaufnahmen wahrnehmen kann: Man kennt ja schon die detailreichen, ständig reizüberflutenden und von der Musik ablenkenden Stilmittel inklusive Brechungen von Frank Castorf in seiner Inszenierung von Charles Gounods Oper „Faust“, die jetzt an der Wiener Staatsoper wiederaufgenommen wurde, zur Genüge. Und sie irritieren noch immer, vor allem zerstören sie Stimmungen, wenn etwa beim Liebesduett Videos von Autowaschungen sowie Waschmittel- und Zahnpastawerbung gezeigt werden. Zudem gibt es in Zeiten wie diesen viele Geschmackslosigkeit, wenn etwa die vom Krieg heimkehrenden Soldaten jeder ein abgeschlagenes Haupt eines Feindes mitschleppen und mit diesen sogar Fußball spielen. Oder wenn das tote Kind von Marguerite im Kinderwagen verbrannt wird.

Dazu sieht man ein völlig überfrachtetes, komprimiertes Mini-Paris auf einer Drehbühne (Aleksandar Denic) voll Trash mit einer Metro-Station namens Stalingrad, die es tatsächlich gibt, einem Cola-Automaten, einer altmodischen Telefonzelle, einem abgetakelten Café, einem Voodoo-Laden, wo der Teufel haust, einer schäbigen Wohnung im ersten Stock, wo Marguerite zusammen mit Marthé wohnt und einem Kirchturm.

Dafür ist die musikalische Umsetzung sehr ansprechend: John Osborn ist ein ausdrucksstarker Titelheld und ungefährdeten Höhen. Olga Kulchynska spielt und singt die Marguerite bei ihrem Rollendebüt an der Wiener Staatsoper fulminant, reich an Nuancen und leuchtenden Höhen. Vor allem im Finale krönt sie ihre Leistung mit wunderbarer Intensität. Statt zu sterben geht sie allerdings auf ein Gläschen ins Caféhaus,vielleicht ist da Gift drinnen. Extrem verschlagen, zynisch und markig, ist der dynamische Mephisto des Alex Esposito. Recht schönstimmig, allerdings etwas angestrengt erlebt man Stefan Astakhov als Valentin.  Er überzeugt auch schauspielerisch eindrucksvoll, vor allem bei seinem Tod vor der blutverschmierten Telefonzelle. Sièbel wird von Castorf als Frau dargestellt. Margaret Plummer singt die Rolle ideal. Monika Bohinec ist eine stark aufgewertete, gut singende Marthe, die im gemeinsamen Zimmer mit Marguerite durchaus auch ein Opiumpfeifchen raucht. Leonardo Neiva singt den Wagner solide. Fallweise zwar manchmal etwas außer Tritt singt der Staatsopernchor gut.

Im Graben steht Frédéric Chaslin am Pult des Wiener Staatsopernorchesters: Da wird sängerfreundlich mit reichem, feinsinnigem Raffinement, französischem Parfum und mannigfaltigen Valeurs musiziert. Der eine oder andere Moment hätte vielleicht akzentuierter erklingen können.

Großer Jubel für die musikalischen Leistungen!

Dr. Helmut Christian Mayer

 

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