Franz Lehárs „Die lustige Witwe“ an der Wiener Volksoper: Reife Liebe von Pensionisten

Xl_lustigewitwe-c_werner_kmetitsch-3-24-1 © Werner Kmetitsch

Vor vielen Jahren muss etwas tief Emotionales zwischen ihnen gewesen sein, aber es blieb eine unerfüllte, letztlich unglückliche Liebe ohne Eheschließung. Jetzt ist er optisch schon etwas tattrig geworden dieser Graf Danilo Danilowitsch und auch die mittlerweile reich gewordene Bankierswitwe Hanna Glawari hat eine gewisse Reife erlangt: So sieht dies zumindest Mariame Clement bei der Neuproduktion von Franz Lehárs „Die lustige Witwe“, einem Dauerbrenner am Operettenhimmel seit der Uraufführung 1905, jetzt an der Wiener Volksoper. Mit diesem Zeitkunstgriff hat die französische Regisseurin, die kommenden Sommer bei den Salzburger Festspielen auch Jacques Offenbachs „Le Contes d’Hoffmann“ inszenieren wird, das Paar um Jahrzehnte altern lassen. Dadurch soll, wie sie selbst sagt, dem Geschehen in der pontevedrinischen Gesandtschaft in Paris mehr Glaubwürdigkeit verliehen werden, wodurch auch durchaus humorige Inszenierungsmöglichkeiten geschaffen werden. Und so kämpft der Melancholiker bis zum Liebesfinale stockgestützt um seine Ehre und weigert sich seine Zuneigung zu gestehen. Uncharmant wird er von anderen „Grabflüchtling“ und „Friedhofsdeserteur“ genannt. Die Beziehungsaufarbeitung findet in nostalgischen Rückblenden statt mit viel Slapsticks rundherum. Man trifft sich in einem Fotoautomaten oder das andere Paar Camille de Rosillon und Valencienne in einem großem Kleiderkoffer der Glawari. Dazu serviert man eine Art Chippendales Nummer und einen Lampenschirm als Versteck. Julia Hansen hat drehbare Phantasieräume mit schweren Samtvorhängen bauen lassen, die die Gesandtschaft, Privaträume aber auch das Maxim darstellen sollen.

Wacker spielt und singt das Ensemble, das die unzähligen Ohrwürmer dieser Meisteroperette in überwiegend hoher Qualität zu Gehör bringt: Allen voran singt Daniel Schmutzhard einen kraftvollen, leicht schwermütigen Danilo mit seinem in allen Lagen runden und ausnehmend schönen wie auch höhensicheren Bariton, der trotz des ganzen Durcheinanders immer gelassen bleibt. Anett Fritsch als Hanna Glawari verfügt über einen anfänglich etwas schrill klingenden Sopran, sie kann sich aber stimmlich steigern. Beide zeigen in Darstellung und musikalischem Ausdruck überzeugend das neuerliche Erwachen alter Gefühle. Aaron Casey Gould ist ein Rosillon, der seinen robusten Tenor immer wieder aufblitzen lässt. Hedwig Ritter ist eine herbe, „anständige“ Valencienne. Viel althergebrachte Komik liefert Jakob Semotan als köstlicher Njegus, bei dem jede Pointe sitzt. Er ist auch für die geschickte, angepasste Textbearbeitung der Dialoge verantwortlich. Nicolas Hagg gibt einen eifersüchtigen Gesandtschaftsrat Kromow, Szymon Komasa einen präsenten Baron Mirko Zeta und Brigitte Kern erlebt man als Praskowia. Ideal sind die vielen Nebenrollen besetzt. Tadellos singt der Chor des Hauses (Einstudierung: Roger Díaz Cajamarca).

Eher zackig, rasant und laut ist die Interpretation des neuen Musikdirektors und auch Operettenneulings Ben Glassberg. Für die typische Walzerseligkeit hat er beim Orchester der Wiener Volksoper kein ideales Händchen und überhaupt wenig Gespür für die Wiener Operettenmusik. Es fehlt das raffinierte Schillern und Funkeln von Lehárs Geniestreich.

Dem Publikum hat es gefallen, es spendete viel Applaus!

Dr. Helmut Christian Mayer

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