Die Sopranistin Chen Reiss im Wiener Stephansdom: Glasklare, innige Töne

Xl_reiss-frisee-wien-dom-stream-3-21-4 © Bildschirmfoto

„Ave Maria“: Ganz zart und von Anfang an schon mit Gänsehautcharakter erklang diese bekannte Komposition von Johann Sebastian Bach aus dem ersten Präludium des „Wohltemperierten Klaviers“, die Charles Gounod leicht bearbeitet und eine Gesangsstimme zugefügt hatte, als Chen Reiss zum Singen anhob. Aber nicht nur damit wusste die israelische Sopranistin von ihrem kleinen Podium in der Mitte des Stephansdoms, in der Nähe des Spieltisches der Orgel, zu faszinieren. Beim mittlerweile dritten „Wiener Dom-Konzert“, einer neuen und strahlenden Wegmarke, veranstaltet von Radio Klassik Stephansdom, das jetzt live gestreamt wurde und auf Youtube noch nachgehört werden kann, lautete diesmal das Motto „Romantik im Dom“: Und so waren auch noch das „Pie Jesu“ aus dem „Requiem“ von Gabriel Fauré, sowie ein weiteres „Ave Maria“ von Camille Saint Saens zu erlauschen. Und ganz stilsicher sang Reiss auch die wunderbare, wohl die bekannteste Arie von Georg Friedrich Händel überhaupt „Lascia ch‘io pianga“, aus der Oper „Rinaldo“ sowie einen Teil aus der Bach-Kantate „Jauchzet Gott in allen Landen“. All dies konnte die oft in Wien auftretende Sängerin mit seelenvoller Innigkeit, großer Wortdeutlichkeit, wunderbarem Legato und vielen Zwischentönen ihres glasklaren, hellen und flexiblen Sopran präsentieren.

Subtil, mit feinsten Tönen und den ideal abgestimmten Registern begleitet wurde die Sopranistin von Peter Frisée auf der Orgel. Davor und dazwischen ließ der aus Graz stammende Organist die Riesenorgel mit den fünf Manualen mächtig aufrauschen, als er vier Stücke aus verschiedenen Orgelsinfonien von Charles-Marie Widor musizierte: „Choral et Allegro“, und das sensible „Dolce“, wie auch das „Intermezzo““ erklangen ebenso wie zum Finale wohl dessen bekanntestes und berühmtestes Stück, das im Stephansdom schon öfters gespielt worden war, die „Toccata“ aus der 5. Sinfonie effektvoll gekonnt und mit höchster Virtuosität. Neben diesem abschließenden Highlight präsentierte sich Peter Frisée aber nicht nur als exzellenter Solist sondern auch noch als Komponist: Die österreichische Erstaufführung von „Elbwellen – einer Meditation für zwei Orgeln“ aus 2018 war ein weiterer Höhepunkt auf der Orgel: Gemeinsam mit Roman Hauser aus Tirol stammend,der die zweite Orgel des Doms, die Chororgel bediente und dem diese Komposition auch gewidmet war, hörte man den großen Strom regelrecht wellenartig dahinfließen. Das feinsinnige Werk erzeugte zudem einen starken meditativen Charakter.

Insgesamt bot der Abend eine großartige, klangliche Symbiose in einer wunderbaren prächtigen Akustik und einem absolut stimmigen Ambiente, leider wieder einmal ohne Publikum.

Und wieder erstaunte die ideal Kameraführung, die neben den Künstler in allen möglichen Perspektiven, wunderbare, aus diesen Blickwinkeln noch nie gesehener Einblicke aus dem herrlichen Innenraum des Wiener Stephansdoms mit fast magischem Licht zeigte.

Nächster Programmpunkt in dieser Serie ist übrigens die „Johannes Passion“ von Johann Sebastian Bach am 27. März.

Dr. Helmut Christian Mayer

| Drucken

Mehr

Kommentare

Loading