Debussys "Pelléas et Melisande" aus Genf: Ästhetische Bildmacht

Xl_pelleas_et_melisande-geneve-1-21-2 © Grand Theatre de Genève

Der von Licht umzirkelte, glänzende Ring am Boden ist in Graublau getaucht.  Dahinter glitzert ein kreisförmiger Sternenhimmel. Aus diesem schält sich bald ein riesiges Auge heraus, das immer größer werdend, aus Planeten besteht und immer mehr zum Universum wird. Daraus entstehen  später sogar galaktische Eruptionen. Und immer wieder taucht das große Auge auf. Es scheint die Protagonisten zu beobachten, damit sie nicht von der überirdischen Macht entfliehen können. Auf der Bühne werden später verschiedenste titanenhafte, von innen beleuchtete, weiße Monolithen in unterschiedlichen Positionen platziert, die scheints schicksalhaft die Grenzen des Königsreich symbolisieren. Und dieser völlig abstrakte Bühnenraum ist insgesamt stets in suggestives Licht getaucht, zeitweise vom Theaternebel umspielt: Es sind ungemein ästhetische Bilder von bezwingender Bildmacht, denen wir bei Claude Debussys einziger Oper „Pelléas et Mélisande“ im Grand Theatre de Genève begegnen, dessen Premiere jetzt live aber ohne Publikum im Internet gestreamt wurde. Die Produktion dieser Oper nach dem symbolistischen Drama von Maurice Maeterlinck, das der französische Komponist des Impressionismus in eine sinnliche und traumähnliche Atmosphäre versetzt, ist eine Übernahme von der Flämischen Oper, wo sie schon 2018 Premiere hatte.

Dazu kommen noch omnipräsente bis zu zehn männliche Tänzer, die das Geschehen mit expressiven Gesten begleiten und dokumentieren, als ob sie die Gedanken und Gefühle der handelnden Personen zeigen wollten. Meist mit langen Seilen umgarnen sie die Protagonisten, um symbolhaft zu zeigen, dass die ihrem Schicksal nicht entrinnen können. Während die Sänger wenig in Bewegung sind, beeindrucken die Tänzer, sie stammen alle vom hauseigenen Ballett, mit einer atemberaubenden Körpersprache, Leidenschaft, Körperlichkeit, Sehnsucht und drücken so das unausgesprochene Unterbewusstsein aus. Dies imponiert ganz besonders bei den Zwischenspielen.

Diese Kunstinstallation, der Einklang von bebildertem Raum, Handlung und Musik - hier wird er zum Ereignis. Gleich drei Personen zeichnen für diese Produktion szenisch verantwortlich: Damien Jalet und der grandiose Choreograph Sidi Larbi Cherkaoui für Inszenierung und Choreographie, für Szenographie und Gesamtkonzept die Performancekünstlerin Marina Abramovic. Marco Brambilla hat die faszinierenden Videos organisch in den Hintergrund eingepasst. Die Kostüme der Haute-Couture-Designerin Iris van Herpen reichen von futuristisch, wie aus einer anderen Welt (Mélisande) bis avantgardistisch (Arkel, Golaud und Pelléas).

Aber auch musikalisch ist die Produktion ein Hochgenuss: Mari Eriksmoen kann der Mélisande mit zartem, irisierendem Gesang etwas Mystisches und Rätselhaftes verleihen. Jacques Imbrailo versprüht als Pelléas viel Leidenschaft und warmem Schöngesang. Leigh Melrose ist ein kerniger, extrem eifersüchtiger Golaud, der seine Gefühle exzessiv und geradezu furchterregend auslebt. Matthew Best ist ein König Arkel mit reifem aber edlem Timbre, Yvonne Naef gestaltet die Mutter Geneviève mit Noblesse. Marie Lys ist ein entzückender Yniold.

Jonathan Nott, der neue Chefdirigent in Genf, kann am Pult des Orchestre de la Suisse Romande die Musiker zu ungemein sphärischen, irisierenden Tönen mit subtiler Klangfarbendramaturgie, schillernder Atmosphäre und feinster Raffinesse animieren.

Dr. Helmut Christian Mayer

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