Brigitte Fassbaender: Ich will die Zuschauer immer berührern

Xl_maxresdefault © Marc Gilsdorf

Ein Interview mit der ehemaligen Weltklasse-Mezzosopranistin Brigitte Fassbaender über ihr Genie Mozart, den „Figaro“ im Speziellen, ihre Inszenierungen, das moderne Regietheater und ihre weiteren Pläne.

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Wie laufen die Proben für ihren ersten „Le nozze di Figaro in Klagenfurt?

Brigitte Fassbaender: Sehr gut. Das Ensemble ist wunderbar, stimmig und spielfreudig, alle sind im besten Sinn singende Schauspieler, die das Werk lieben.

Sie selbst haben ja auch den Cherubino oftmals, u.a. unter Karl Böhm 76/77 gesungen. Welche Bedeutung hat Mozart und speziell der „Figaro“ für Sie?

Fassbaender: Ich kenne Mozart seit meiner Kindheit. Ich bin mit ihm und mit Musik überhaupt aufgewachsen, denn mein Vater Willy Domgraf-Fassbaender war Opernsänger und Mitbegründer des bekannten Glyndebourne Festival. Er hat den Figaro oft gesungen. Weil mir die Oper so nah ist, wollte ich sie eigentlich nie inszenieren. Aber ich bin erstaunt, denn ich entdecke selbst heute noch immer wieder etwas Neues. Mozart ist unfassbar als Theatermacher und Komponist, neben Bach und Schubert, für mich das größte Genie. Er eröffnet eine nicht fassbare Welt an Tiefe, Geist und Witz. Ich bin eine begeisterte Mozartianerin.

Wie werden Sie ihre Inszenierung anlegen?

Fassbaender: Die Charaktere sind sehr kompliziert, frustriert, verzweifelt. Die emotionalen Verwirrungen ziehen sich durch das ganze Stück. Jeder misstraut jedem, jeder beobachtet jeden. Deshalb haben wir ein schönes transparentes Bühnenbild gebaut, wo man die Figuren und ihr Verhalten auch dann sehen kann, wenn sie eigentlich nicht auf der Bühne sind. Es wird auch kurze Geschichten im Hintergrund geben und ich möchte die kleineren Partien stark aufwerten. „Figaro“ ist gerade in der jetzt herrschenden „MeToo“ Bewegung ein zeitloses Stück. Alle sind abhängig vom Grafen. Aber man lässt sich heute nicht mehr alles gefallen. Das Stück von Lorenzo Da Ponte ist so stark, und man sollte darauf vertrauen, sodass eine neue Sicht gar nicht nötig ist. Mein Ziel ist es, es klar und menschlich zu erzählen und die Menschen berühren.

Wie stehen Sie zum modernen Regietheater?

Fassbaender: Ich finde es legitim. Jeder junge Regisseur will seine eigene Handschrift hinterlassen. Ich selbst bin aber keine Trash-Regisseurin, das lehne ich ab, bin aber nicht konventionell, sondern sehr aufgeschlossen. Nur sollte man auf die Stärke der Werke mehr vertrauen. Sehr wichtig ist es, die Sänger und Sängerinnen zu motivieren, sich ganz zu öffnen und sich hinzugeben. Für jede Rolle sollte sich ein richtiges Charakterbild ergeben. Für mich ist immer die Personenregie das Wichtigste, der Mensch steht im Zentrum einer Inszenierung und nicht ein Video-Screen.

Was würden Sie in ihrer Gesangskarriere ihre persönlichen Highlights bezeichnen?

Fassbaender: Da gab es sehr viele, aber das beglückendste Erlebnis war der „Rosenkavalier“ unter Carlos Kleiber, wo ich den Octavian sang. Gern erinnere ich mich auch den „Werther“ mit Domingo.

Sie wurde immer wieder mit dem Octavian identifiziert, war er ihre Lieblingsrolle?

Fassbaender: Ich habe ihn zwar auf der ganzen Welt gesungen aber ich mochte auch die Charlotte, Eboli, Amneris, Brangäne, Dorabella, Sesto sehr.

Und von ihren über 250 Plattenaufnahmen, gibt es da einen Favoriten?

Fassbaender: Zweifellos die Liedaufnahmen aller drei Schubert-Zyklen, bei einem hat mich sogar Aribert Reimann, der Komponist, der ein hervorragender Pianist war, begleitet.

Sie haben am Höhepunkt ihrer beispiellosen Karriere zu Singen aufgehört, warum?

Fassbaender: Ich wollte ein Nachlassen meiner stimmlichen Vitalität selbst nicht erleben. Wiewohl ich eine Herodias und eine Klytämnestra gesungen habe, habe ich mich bei den sogenannten Altersrollen nicht wohlgeführt.

Warum begannen Sie eigentlich zu inszenieren?

Fassbaender: Das hat sich eigentlich von selbst ergeben. Ich hatte ja eine Professur an der Opernschule der Münchner Universität. Und da habe ich schon inszeniert. Dann wurde ich eingeladen, in Coburg und Augsburg „La Cenerentola“ und später „Hänsel und Gretel“ zu inszenieren. Und da habe ich Blut geleckt. Das war zu seinem Zeitpunkt, als ich noch sang. Beides war aber zu anstrengend und so habe ich die „Fronten“ gewechselt. Das hat sich alles logisch ergeben. Mittlerweile werden es schon 80 Inszenierungen sein.

Sie sind auch bei der Nachwuchsförderung der Sänger sehr aktiv.

Fassbaender: Ich gebe viele Meisterkurse. Ich bin allerdings enttäuscht, wie wenig der deutschsprachige Nachwuchs gefördert wird. Es gäbe genug Talente. Es gibt Opern und vor allem Operetten, wo kaum noch deutsche Namen auftauchen. Bald wird man mangels Dialogfähigkeit, Operetten gar nicht spielen können.

Was sind ihre nächsten Pläne?

Fassbaender: In Frankfurt werde ich Brittens „Death in Venice“ inszenieren, nächsten Sommer in Erl die Fortsetzung des Rings mit der „Walküre“, im Jahr 23 sogar „Siegfried“ und „Götterdämmerung“. Eine „Elektra“ ist in Lübeck geplant, eine UA in Frankfurt, ein „Barbier“ in Meiningen u.v.m. Auch in Klagenfurt könnte sich noch etwas ergeben, vielleicht eine Fortsetzung der Da Ponte Opern von Mozart. Ich arbeite sehr gerne mit dem Dirigenten Nick Milton zusammen. Ich möchte die hundert noch voll machen. Nein, ich meine nicht mein Alter, sondern die Zahl der Inszenierungen. Denn Arbeit ist mein Leben.

Waren Sie schon einmal zuvor in Kärnten?

Fassbaender: Als Kind war ich mit meinen Eltern in Velden am Wörthersee. Davon gibt es noch ein altes Foto, wo wir allen in einem Boot sitzen. In der Intendanz von Dietmar Pflegerl war ich mehrmals als Besucherin im Stadttheater. Ich finde das Theater zauberhaft und die Stadt sehr schön und freundlich mit viel Grün. Ich genieße es, hier zu sein.

Dr. Helmut Christian Mayer

Zur Person:

Geboren in Berlin, studierte in Nürnberg Gesang bei ihrem Vater Willy Domgraf-Fassbaender. Mit 21 Jahren Debüt an der Münchener Staatsoper, von wo ihre internationale Karriere ihren Ausgang nahm. Sie sang an allen führenden Opernhäusern und Festspielen der Welt (Metropolitan, San Francisco, Chicago, Scala Milano, Covent Garden/London, Wien, Berlin, Hamburg, Salzburg, Bayreuth, Glyndebourne usw.) und verkörpert alle bedeutenden Partien ihres Fachs. Kammersängerinnentitel der Bayerischen und der Wiener Staatsoper.

Über 250 CDs mit zahlreichen Preisen, darunter zweimal den renommierten Grammophone-Award. 1994 beendete sie ihre Gesangskarriere, um sich ganz der Regie zu widmen. Über 80 Inszenierungen im In- und Ausland.

Von 1995-1997 Operndirektorin am Staatstheater Braunschweig. 1999 -2012 Intendantin des Tiroler Landestheater. 2009 - 2017 Leiterin des Richard-Strauss-Festivals in Garmisch-Partenkirchen, seit 2002 leitet sie den „Eppaner Lied Sommer“.

Wohnt in einem alten Bauernhof im Chiemgau in Bayern.

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