Boitos „Mefistofele“ in Stuttgart: Bildmächtiges, dominantes Böses

Xl_mefistofele-stuttgart-stream-3-21-1 © Thomas Aurin

Eigentlich ist Arrigo Boito der Musikwelt in erster Linie als Librettist von Giuseppe Verdis Opern „Otello“ und „Falstaff“ bekannt. Aber er war auch Komponist und schrieb eine Oper über den Fauststoff: „Mefistofele. In dieser, wie schon der Titel verrät, stellt er das Böse, den Verführer und Menschenverächter in den Mittelpunkt der Handlung, der für ihn die reizvollere Figur darstellt und vereint Szenen aus Faust I und II miteinander. Das Werk hat durchaus seinen Weg auf die Bühne gefunden, wird aber leider unverständlicherweise viel zu selten aufgeführt, denn es verbindet eigentlich alles, was für seine Bühnentauglichkeit spricht. Das dachte man sich offensichtlich auch an der Stuttgarter Staatsoper, die dem Werk 2019 zur Premiere in einer Koproduktion mit der Opera de Lyon verhalf.

Ungemein spektakulär nimmt gleich einmal die turmartige, mit seitlichen Treppen begehbare Eisenkonstruktion (Bühne: Alfons Flores) gefangen. Dort oben ganz in rotes Licht getaucht, thront in der Walpurgisnacht das Böse, der Teufel selbst, tumultartig umgeben von allerlei in Fellen gekleideten, satanisch tanzenden Hexen und Dämonen am Blocksberg: Zweifellos das stärkste Bild der Produktion, das eine albtraumhafte Atmosphäre erzeugt. Dieser Thron mutiert dann später zum elektrischen Stuhl, auf welchem Gretchen bei einem Blitzgewitter durch einen von oben herabgelassenen Kopfkranz von Kabeln hingerichtet wird. Der Bühnenboden selbst ist anfänglich statt des Studierzimmers von Faust wie ein giftgrün ausgeleuchtetes Labor mit sterilen Schreibtischen ausgestattet. Hier sitzen Faust und viele andere Personen in weißen Schutzanzügen in Reih und Glied und sezieren blutverschmierte Gliedmaßen. Auf der später hochgefahrenen Unterbühne regiert der Teufel selbst in einem Höllenkreis aus Sand. Dort ist sein Reich und er setzt Engelskindern nicht nur das Messer an die Kehle, sondern bringt auch drei gleich um. In der späteren klassischen Walpurgisnacht treten Helena und Pantalis gleichgekleidet mit langem geschlitztem Glitzerkleid (Kostüme: Lluc Castells) auf. Die himmlischen Heerscharen, die dem Satan immer wieder starke Kopfschmerzen verursachen, brechen im Epilog in Fausts Studierstube ein, wo Mephisto Faust kurzerhand die Kehle durchschneidet. Er vermag ihn aber nicht in sein Höllenreich mitzunehmen, sondern er wird gerettet. Allerdings ist dem Regisseur Àlex Ollé von der spanischen Gruppe La Fura dels Baus außer dieser bunten Ausstattungsrevue und einigen symbolischen Anwandlungen nicht viel eingefallen. Die Hauptfiguren bewegen sich wenig und zeigen viel zu wenig Emotionen. Es fehlt ein gedankliches Konzept, das dem grandiosen Opernstoff und der Musik szenisch gerecht wird.

Der Stuttgarter Chor, der nicht umsonst häufig zum Chor des Jahres in Deutschland gekürt wurde und dem in dieser Oper die heimliche Hauptrolle zukommt – als himmlische Engeln, als Volk, als Hexen und Dämonen - macht auch diesmal seinem Ruf alle Ehre:  Vom lieblich harmonischen Gesang der Engel über dem vergnügungssüchtigen Volk bis zum orgiastischen Treiben beim Hexensabbat bis zum hymnischen Finale des Epilogs ist er bestens einstudiert von Manuel Pujol und Bernhard Moncado  (Kinderchor). Von großer Präsenz, schon allein wegen seiner hünenhaften Gestalt, und von gewaltiger Stimmgewalt erlebt man als Mefistofele den schwarzen Bass des Mika Kares, sehr diabolisch und durch und durch böse, ja fast tierisch brutal im Spiel. Es fehlt ihm das Herz, denn dieses wird ihm zu Beginn von den Engeln herausgeschnitten. Er soll laut dem Regisseur ein Psychopath, die Personifizierung der grausamen Wildheit des Bösen sein. Ein stimmliches Highlight ist auch die Margherita/Elena der Olga Busuioc mit ihrem warm timbrierten, blühenden Sopran und reicher Gefühlspalette. Der Faust im Glitzerjackett wird von Antonello Palombi gestaltet, auf Grund seiner Leibesfülle wenig beweglich, aber mit farbenreicher, geschmeidiger, schöner Italianitá und viel Schmelz aufwartend.  Den Wagner und den Nereo singt Christopher Sokolowski mit feinem Tenor. Als Marta und Pantalis reüssiert der junge Mezzosopran Fiorella Hincapié.

Die wunderbaren, auf Überwältigung zielenden Klanggewalten aber auch die Lyrismen Boitos werden vom Staatsorchester Stuttgart unter Daniele Callegari musiziert: Da hört man die gesamte Bandbreite von düsteren fahlen über wunderbar feine, lyrische bis zu schwelgerisch, hochdramatischen Klängen. Bei einigen spannungsvollen Momenten wäre mehr herauszuholen gewesen, da hätte es mehr Motivation durch den Dirigent bedurft.

Großer Jubel im Haus!!

Dr. Helmut Christian Mayer

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