Amsterdam: Webers „Freischütz“ völlig entfremdet und verwirrend

Xl_der_freisch_tz_-_bart_grietens-amsterdam-7-22 © Bart Grietens

Er ist knallrot gewandet und stürmt bereits vor der Ouvertüre auf die Bühne. Er gesteht, sich verirrt zu haben, denn er wollte eigentlich zum Musical „Cats“ von Andrew Lloyd Webber gehen. Dass er nun in Der Freischütz von einem gewissen Carl Maria von Weber sei, verwundere ihn, sei ihm auch letztlich doch egal, denn beide Stücke begännen mit einem C. Kirill Serebrennikov hat die romantische Oper an der Niederländischen Oper in Amsterdam, die jetzt im Stream zu erleben ist, völlig gegen den Strich gebürstet und gleich eine neue hippieartige, diabolische Figur erfunden, die es in der Oper eigentlich gar nicht gibt. Diese ist eine Art Conférencier, sieht aus wie aus einer Phantasiewelt und gibt auf Englisch nicht nur zu Beginn, sondern ständig zwischendurch derartig „Geistreiches“ von sich. Gespielt vom Schauspieler Odin Lund Biron ist der omnipräsent: Er tanzt, hüpft und singt sogar einmal mit einer auf die Bühne hereingeschobenen Band aus „The Black Rider“ von Tom Waits. Und er nervt auch mit endlos neu erfundenen Dialogen, großteils auch über die Untugenden des Opernbetriebes. Bei der Ouvertüre erklärt er schon den gesamten Inhalt der Oper. Hier treten auch schon alle Figuren real in völlig traditionellen Kostümen auf, die von ihm, wie in Stummfilmanier gefilmt werden, was man auf Videowalls über sowie rechts und links von der Bühne sehen kann.

Wie eine Nummernrevue sieht man dann die eigentliche Oper, in einer Art Rahmenhandlung in einem kargen Theaterraum als Probe. Regieassistenten sausen herum und führen die Sänger. Anstelle der hölzern wirkenden Originaldialoge klagen diese über ihre diversen Sorgen. Die Texte sind eher skurril als witzig. Klischeehaft und ohne Tiefgang, wie die erste Opernprobe überhaupt, wirkt das Geschehen. Schlüsselszenen wie die Wolfsschluchtsszene werden verschenkt. Hier ist ihm lediglich eingefallen, das am Rand platzierte Inspizientenpult grell zu erleuchten und in die Mitte zu schieben. Serebrennikov zeigt einen szenisch völlig entfremdeten, das Publikum verwirrenden „Freischütz“, eine Opernshow ohne Magie mit wunderbarer Musik.

Diese kann man weidlich genießen: Benjamin Bruns ist ein höhensicherer Max mit tenoralem Glanz. Günther Groissböck ein dunkler, böser aber doch edel singender Bösewicht Kaspar. Johanni von Oostrum ist eine innige Agathe mit schönem Timbre und Ying Fang ein leichtes, nicht immer verständliches Ännchen. Michael Wilmering als Ottokar und Kilian singt gut. Der Chor der Holländischen National Oper singt passabel aber nicht immer eines Sinnes, den berühmten Jägerchor hat man schon raffinierter gehört.

Das königliche Concertgebouw Orchester unter dem jungen österreichischen Dirigenten Patrick Hahn, eingesprungen für den erkrankten Riccardo Minasi, sorgt für strahlende Momente, Farbenreichtum und fassettenreiche Spannung. Viel Klangschönheit wie auch viele, versteckte Details der Partitur sind auch zu vernehmen.

Dr. Helmut Christian Mayer

 

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